Demozug im Namen von Fabrizio Ceruso
Die Kommunistische Jugendfront (FGC) organisierte am Samstag einen großen Demozug durch San Basilio (Rom) zum Gedenken des mit 19 Jahren ermordeten Aktivisten Fabrizio Ceruso.
Italien/Rom. Der Fronte della Gioventù Comunista stellte am vergangenen Samstag einen gut organisierten Demozug durch das Stadtviertel San Basilio auf die Beine. Grund hierfür war der zeitnahe Jahrestag des Todes von Fabrizio Ceruso, einem Aktivisten von Lotta Continua. Ceruso starb am 8. September 1974 infolge einer brutalen Straßenschlacht mit der örtlichen Polizei, an der fast die gesamte Wohngegend involviert war. Die Ereignisse um seinen Tod sind eng verwoben mit der Geschichte eines strukturell immer wieder in Vergessenheit geratenen bzw. absichtlich in Vergessenheit gedrängten Wohnviertels.
San Basilio – ein gebeutelter römischer Bezirk
Bei dem zu Rom gehörigen Bezirk San Basilio handelt es sich schon historisch betrachtet um eine sträflich vernachlässigte Gegend. Gebaut wurde sie unter Mussolini in den 30er Jahren und, propagandistisch aufgeladen, als ein Geschenk an das römische Volk vermarktet. Tatsächlich blieb lebensnotwendige Infrastruktur unvollendet oder gänzlich aus, so war das nächstliegende Krankenhaus zur damaligen Zeit rund sieben Kilometer entfernt. Nach dem Faschismus wurden Gelder aus dem Marshall-Plan durch das UNRRA (Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen) flüssig gemacht, die aber der dort ansässigen Bevölkerung nicht zugutekamen. In den 50er Jahren wurde die Gegend nämlich zunehmend Opfer von Grund- und Bauspekulationen sowie ungenehmigten Bautätigkeiten. Sanierungen und organisierter Wohnungsbau wurden erst im Hinblick auf die Olympischen Spiele 1960 planmäßig vorgenommen, um vor der Weltöffentlichkeit ein Meer von über mehrere Stellen Roms verstreuten Barackenanlagen zu verbergen.
So wurden in San Basilio die Menschen untergebracht, die vorher in Barackenlagern auf dem Campo Parioli lebten und die nun u.a. dem Bau des Stadio Flaminio Platz machen mussten. San Basilio wurde insgesamt zu einem Ballungsraum von einerseits im und nach dem Faschismus aus Rom in die Peripherie Umgesiedelten und andererseits von Arbeitskräften aus dem Süden, die in der Hauptstadt vergebens nach Integration in den Arbeitsmarkt suchten. Bei diesen und späteren Umsiedlungen und Wohnungszuweisungen wurde die dort länger ansässige und nicht kaufkräftige Bevölkerung nie berücksichtigt. Nur durch Wohnungs- und Fabriksbesetzungen (1964 und 1968) erlangten Menschen das Recht, über einen längeren Zeitraum hinweg in ihren Wohnungen bleiben zu können.
Die direkte Vorgeschichte der Geschehnisse im September 1974 und Fabrizio Ceruso´s Ermordung bildet jedoch die Zuweisung von etwa 600 Wohnungen in San Basilio, Pietralata und Tiburtino III im Februar 1973, aus der die dort bereits lebende Bevölkerung durch eine Klausel von vornherein ausgeschlossen war. So begann der mehr als ein Jahr dauernde Konflikt der sich in Komitees für den Kampf um das Recht auf Wohnen zusammenschließenden Bevölkerung, die maßgeblich von Lotta Continua mitorganisiert wurde. Auf die Wohnungsbesetzungen folgten Räumungen durch die Polizei, die wiederum nicht von langer Dauer blieben. Auf dem Höhepunkt der Ereignisse rund um San Basilio waren 146 Wohnungen von Familien besetzt und die Stadtverwaltung sah sich genötigt, Gespräche mit den (hauptsächlich von Frauen angeführten) Komitees einzugehen. Langsam schien Ruhe eingekehrt, bis Anfang September 1974 wieder ein riesiges Polizeiaufgebot anklopfte.
Kollektiver Abwehrkampf 1974
1974 widersetzten sich viele Anwohnerinnen und Anwohner von San Basilio aktiv den gewaltsamen Räumungsversuchen der Polizei. Als Polizeikräfte am 6. September versuchten, einige besetzte Wohnungen in der Via Montecarotto zu räumen, stießen sie auf rabiaten Widerstand der darin lebenden Menschen sowie der Nachbarinnen und Nachbarn. Barrikaden wurden errichtet und man setzte sich mit Molotowcocktails und Steinen mehr oder weniger erfolgreich zur Wehr. Die Polizei setzte Unmengen an Tränengas ein schaffte es nach und nach durch die dürftig zusammengestellten Verteidigungsanlagen zu dringen und den Wohnungskomplex zu umzingeln. Der massierte Tränengasangriff ging aber weiter und es wurde mit Absicht auf Balkone geschossen, um die Menschen in den Wohnungen zu treffen und herauszutreiben. Ein zwölfjähriges Mädchen wurde dabei verletzt, in einigen Wohnungen brach Feuer aus. Die Nachricht gewaltsamer Wohnungsräumungen verbreitete sich inzwischen aber wie ein Lauffeuer und Menschen aus ganz Rom fanden den Weg nach San Basilio, um dem maßlosen Treiben der Polizei Einhalt zu gebieten. Dies gelang nach einigen Stunden und die Polizei musste wieder abrücken.
Nachdem der bürokratische Weg mittels der römischen Prätur fehlschlug und es zu keiner Einigung darüber kam, die Räumung abzuwenden, rückte die Polizei am 8. September um 08:00 früh besser ausgerüstet an. Aber auch die Anwohnerinnen und Anwohner hatten sich in der Zwischenzeit besser organisiert und waren darauf vorbereitet, auf erneute Polizeiaggressionen zu reagieren.
Fabrizios Tod
Die Barrikaden waren wieder aufgerichtet, man kämpfte mit Molotowcocktails, Steinen und ausgerissenen Lichtmasten. Eine Frau benutzte etwa gegen 17:00 Uhr ihr eigenes Jagdgewehr, um die Angriffe der Polizei abzuwehren, wobei der Vizepolizeidirektor verwundet wird. Insgesamt werden 47 Polizisten verletzt. Zwischen 19:00 und 19:30 ereignen sich die blutigsten Zusammenstöße, nachdem Polizei und Carabinieri eine volle Ladung Tränengaspatronen in gefährlicher Augenhöhe verschießen. Ohne Munition sehen sie sich gezwungen, ungeordnet und chaotisch das Weite zu suchen. Anstatt sich vom Brennpunkt am raschesten zu entfernen, biegt eine Gruppe streitsüchtiger Polizisten in die Via Fabriano ein, um dort auf eine Gruppe von Demonstrantinnen und Demonstranten zu treffen, mit denen sofort ein Streit ausbricht. Auch Fabrizio Ceruso befindet sich dort und muss mitansehen, wie in Rage geratene Polizisten plötzlich zu schießen anfangen. Der Aktivist von Lotta Continua ist eigens von Tivoli hergekommen, um die Wohnungsbesetzerinnen und ‑besetzer in ihrem Kampf zu unterstützen. Fabrizio ist zu jenem Zeitpunkt, als ihn eine Kugel mitten in der Brust trifft, erst 19 Jahre alt. Von seinen Genossinnen und Genossen wird er sogleich in eine kleine nahegelegene Unfallstation gebracht, doch stellt sich deren Instrumentarium für die Schwere der Verletzung als unzureichend aus. Sie müssen mit einem Taxi weiter zum nächsten Spital. Auf dem Weg dorthin erliegt Fabrizio seiner Verletzung. In jener Nacht bricht der gerechtfertigte Volkszorn über die Polizisten herein, die sich nun selbst umzingelt sehen und sich in ein Fußballfeld neben dem Pfarrheim flüchten müssen. Die Straßenschlacht, an der sich nun das ganze Viertel beteiligt, dauert bis in die Morgenstunden. Die Behörden zählen 30 Verletzte unter den Polizisten, viel mehr sind es aber bei den Demonstrantinnen und Demonstranten. Am 9. September ordnet Innenminister Paolo Emilio Taviani (DC) den Rückzug der Polizeitruppen an und die Region entscheidet sich dafür, die Menschen, die vor dem 8. September an den Besetzungen teilgenommen haben, weiter dort leben zu lassen.
FGC
Die Demo der Kommunistischen Jugendfront startete um 16:00 bei Ceruso´s Gedenktafel in der Via Fiuminata und durchzog mehrere Straßen des aktuell etwa 23.000 Einwohner zählenden Arbeiterviertels. Thematisch passend ging es dabei um das Recht auf Wohnung und Arbeit insbesondere im Hinblick auf die konstant vernachlässigten Peripherien und Randgebiete. Für den FGC ist klar, dass die Geschichte des Viertels und die Ereignisse um Fabrizio´s Tod nicht vergessen werden dürfen: „Fabrizios Geschichte zeigt Lehren auf, die aktueller denn je sind. Die Notwendigkeit, für alle uns zustehenden Rechte zu kämpfen, das Bewusstsein, dass uns diese Rechte nicht geschenkt werden und dass wir stark sein müssen angesichts der Repressionen, die schon immer zuallererst diejenigen getroffen haben, die sich entschlossen haben, ihre Stimme zu erheben; die Lehre, dass die vereinigten und organisierten Volksschichten siegreich aus ihren Schlachten hervorgehen und im Kampf für eine andere Gesellschaft vorankommen können.“
Quelle: FGC/Senzatregua/Rerum Romanarum/Il Massagero
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