IG Metall im Krisenmodus
Gleich zu Beginn des Jahres 2021 steht der IG Metall die wichtige Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie (M+E) ins Haus. Angesichts der insgesamt unsicheren wirtschaftlichen Situation und der andererseits sehr unterschiedlich vollen Auftragsbüchern beziehungsweise Prognosen in den einzelnen Betrieben ist es keine einfache Aufgabe, sich auf gemeinsame Forderungen zu verständigen und für diese in den Betrieben auch arbeitskampffähige Mehrheiten zu organisieren.
Derzeit diskutieren die Funktionärinnen und Funktionäre der IG Metall in den Betrieben, welche Interessen sie verfolgen. Die Wirtschaft hatte bereits vor Ausbruch der Pandemie geschwächelt und sich angesichts des anstehenden Brexit sowie der ökologischen Transformation unsicher gezeigt. Vor allem deshalb, weil das Kapital selten langfristige Pläne macht, sondern in kurzfristig angelegten Profitzyklen denkt und agiert. In der M+E-Industrie hatte der Abbau von Arbeitsplätzen bereits im 4. Quartal 2019 begonnen. Seitdem sind laut Statistischem Bundesamt in Deutschland schon mehr als 113.000 Jobs vernichtet worden.
In vielen Betrieben wird der Fokus deshalb genau hier gesetzt: auf den Erhalt der Arbeitsplätze. Doch dies soll nicht, wie vom Kapitalistenverband Gesamtmetall in Schärfe gefordert, durch einen „doppelte Nullrunde“ (also in 2021 und 2022 keine Entgelterhöhung) passieren. Stattdessen wird intensiv der Vorschlag diskutiert, den der IG Metall Vorsitzende Jörg Hofmann ins Spiel gebracht hat – die 4-Tage-Woche mit einem „gewissen Entgeltausgleich“.
Gemeint ist damit nicht eine Verkürzung um volle 7 Stunden, sondern es soll dafür an den vier Tagen jeweils 8 Stunden gearbeitet werden. Macht in Summe also 32 Stunden Wochenarbeitszeit und damit drei Stunden weniger als bislang. Wenn es dazu noch eine tarifliche Lohnerhöhung gibt, fiele der Einschnitt insgesamt moderat aus und könnte in den Betrieben mehrheitsfähig werden. Allerdings gilt das mit Sicherheit eher für die Belegschaften der großen Automobilhersteller als für deren Zulieferer, die oft genug ja schon schlechter als den Flächentarif bezahlen oder längere Arbeitszeiten ableisten müssen.
Ähnlich wie schon in der Tarifrunde 2018 soll die Variante der Reduzierung von Arbeitszeit allerdings eine Option bleiben. Eben weil die wirtschaftliche Lage der einzelnen Unternehmen sehr stark voneinander abweicht. So stellt der Bezirksleiter der IG Metall Küste, Daniel Friedrich, fest: „Bei unseren Forderungen werden wir eine breite Spannweite berücksichtigen: Unternehmen wie Airbus oder einige Werften sind in schwierigem Fahrwasser, anderen wie dem Medizintechnikhersteller Dräger geht es dagegen gut.“
Und Knut Giesler, Leiter des größten Bezirks NRW, unterstreicht: „Es gibt Betriebe, in denen es nach wie vor gut läuft. Hier braucht es eine Entgeltentwicklung, die Kaufkraft stärkt und damit die Binnenkonjunktur belebt. An anderen Stellen brauchen wir ein materielles Volumen, das Beschäftigung sichert, in dem es zum Beispiel zum Teilentgeltausgleich bei der 4-Tage-Woche eingesetzt wird.“
Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das sinnvoll, ist doch momentan der private Konsum eine tragende Säule der Wirtschaft, deren Exporte sich nur langsam wieder erholen werden. Die Analysten der IG Metall gehen davon aus, dass erst Ende 2021 wieder das „Vorkrisenniveau“ erreicht wird.
Aber auch betriebswirtschaftlich sei ihr Vorschlag sinnvoll, denn bei einer 4-Tage-Woche würde durch eine längere Regeneration die Produktivität steigen. Das könnte das Kapital zwar auch durch Entlassungen erreichen, doch stünden hier auch die Kosten für Sozialpläne sowie für Wiedereinstellungen gegenüber. Einfach gesagt: Es ist billiger oder kostenneutral, Beschäftigte über einen gewissen Zeitraum „in Arbeit“ zu halten, als sie zu entlassen und später wieder neue Leute einzustellen. Diese „Brücke zur Beschäftigungssicherung“ soll sowohl für ganze Betriebe angewendet werden können, als auch für einzelne Abteilungen oder Teilbereiche, die wirtschaftlich nicht gut laufen.
Über die Höhe des Entgeltausgleichs scheiden sich derweil noch die Geister. Daniel Friedrich meint: „Forderungen nach Nullrunden führen uns in den Konflikt und tragen nicht zur Lösung bei. Die besondere Situation in der Metall- und Elektroindustrie erfordert kühle Köpfe am Verhandlungstisch und keine medialen Scharfmacher.“ Die IG Metall bleibt also bei ihrer Linie und möchte den Wandel der Industrie lieber sozialpartnerschaftlich verhandeln, als in den Konflikt mit den Kapitalisten gehen.
Im von „Strukturwandel“ gebeutelten NRW spielt das Thema Transformation eine sehr gewichtige Rolle. In einem Zukunftspaket soll geregelt werden, dass auf Verlangen der IG Metall Verhandlungen zu betrieblichen „Zukunftstarifverträgen“ geführt werden müssen. Ziel seien zum Beispiel die Festlegung konkreter Investitions- und Produktperspektiven, Vereinbarungen über Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung und zum Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen.
Um den Weg für die Verhandlungen freizumachen, haben die großen Tarifkommissionen aller sieben Bezirke Mitte Oktober beschlossen, einzelne Bausteine des Tarifvertrags aufzukündigen, um in der Stoßrichtung: „weniger Arbeitszeit plus mehr Entgelt bei gleichzeitiger Sicherung der Arbeitsplätze“ in die nächsten Diskussionen zu gehen. Die konkreten Forderungen sollen Mitte November beschlossen und Anfang Dezember übergeben werden.
Bis dahin müssen die Belegschaften sich schon mal warmlaufen. Und das tun sie auch. In allen IG-Metall-Bezirken sind bereits Kampagnen gestartet, die dem momentanen Dauerfeuer der Arbeitgeberverbände etwas entgegensetzen sollen. So haben in Bayern letzte Woche insgesamt über 17.000 Beschäftigte bei 75 Aktionen mit 150 Betrieben für sichere Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven demonstriert. Denn eines wissen sie bei der IG Metall auch: Sozialpartnerschaft funktioniert nur dann, wenn es auch einen „Partner“ dafür gibt – ansonsten ist Konfliktfähigkeit gefragt.
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