Pakt öffnet Tür und Tor für Zurückweisung an Europas Grenzen
PRO ASYL zum Treffen des Rats der EU-Justiz- und Innenminister am 08.10.2020
Vor dem Ratstreffen der EU-Justiz- und Innenminister am 8. Oktober warnt PRO ASYL vor der faktischen Abschaffung des Zugangs zum Recht auf Asyl. Mit dem New Pact on Asylum and Migration soll nach dem Willen der Europäischen Kommission eine neue Drittstaatenregelung in Kraft treten, nach der die Türkei für alle Mitgliedstaaten zum sicheren Drittstaat eingestuft würde. Die Türkei bietet aber entgegen anderslautenden Behauptungen keinen ausreichenden Schutz für Flüchtlinge.
Am 23. September hat die EU-Kommission den New Pact on Asylum and Migration vorgestellt. Dieser Pakt öffnet Tür und Tor für einen kurzen Prozess an den EU-Außengrenzen unter Haftbedingungen für aus angeblich sicheren Drittstaaten einreisende Schutzsuchende. Der Vorschlag der Kommission verknüpft den Pakt mit Änderungsvorschlagen zur Asylverfahrensordnung aus dem Jahr 2016. Wann ein dritter Staat sicher im Sinne des Flüchtlingsrechts ist, ist bisher hoch umstritten, da die Standards, wann ein Staat als sicher betrachtet wird, hoch sind. Die Türkei erfüllt diese Bedingungen nicht.
PRO ASYL befürchtet, dass Zurückschiebungen an den EU-Grenzen nun dadurch drastisch erleichtert werden sollen, weil die bisherigen verbindlichen Kriterien, wann ein dritter Staat sicher ist, nun drastisch gesenkt werden. Die Durchreise durch einen Staat wie die Türkei soll bereits genügen, sodass dieser Staat als sicher gilt, selbst wenn er die GFK nicht ratifiziert hat sondern nur den sogenannten »ausreichenden Schutz« bietet. (Art 45 Abs 3a, Asylverfahrensverordnungsentwurf aus 2016).
Diese drastische Rechtsverschärfung geht einher mit einer bis zu 24-wöchigen de-facto-Inhaftierung an der EU-Grenze. Alle über einen angeblich sicheren Drittstaat Einreisenden können diesem Grenzverfahren unterliegen. Das Grenzverfahren läuft unter haftähnlichen Bedingungen ab. Während dieses Verfahrens gelten Betroffene als nicht eingereist. Hinzu kommt, dass es gegen ablehnende Entscheidungen nur eine Rechtsmittelinstanz gibt (Art 53 Abs 9 Entwurf der Asylverfahrensverordnung, Änderungsvorschlag der EU-Kommission vom 23. September 2020). Zudem haben Rechtsmittel im Grenzverfahren keine aufschiebende Wirkung (Art. 54 Absatz 3a). Diese wochenlange Festsetzung ist zudem unverhältnismäßig. In Deutschland gibt es zum Beispiel ein Flughafenverfahren als Grenzverfahren, welches nach § 18 a) Asylverfahrensgesetz maximal 19 Tage dauern darf.
PRO ASYL befürchtet die Aushebelung des Rechts auf Asyl durch die Einführung einer Vorsortieranlage an der EU-Grenze. Dies ist ein fundamentaler Angriff auf das individuelle Recht auf Asyl. Als Menschenrechtstrophäe bleibt es erhalten, faktisch ist es für viele Schutzsuchende nicht mehr erreichbar. Es ist mehr als irritierend, dass dieser Vorstoß nicht von Hardlinern aus Mitgliedsstaaten kommt, sondern von der Europäischen Kommission, der Hüterin der Europäischen Verträge, die Rechtsstaat und die Einhaltung der Menschenrechte garantieren.
Hintergrundinformationen zu den geplanten Rechtsänderungen:
Nach aktueller Rechtslage kann ein Staat nur dann zum sicheren Drittstaat erklärt werden, wenn dort die Möglichkeit besteht, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Falle der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten (Art. 38 Abs. 1 e) Asylverfahrensrichtlinie). Ferner bedarf es für die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats einer Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat, auf Grund derer es vernünftig erscheint, dass sich der Antragsteller in diesen Staat begibt (Art. 38 Abs. 2 a) Asylverfahrensrichtlinie).
Die Europäische Kommission möchte aber das Schutzniveau absenken, indem künftig ein sogenannter »ausreichender Schutz« genügen soll um einen Staat als sicheren Drittstaat zu kategorisieren (Art. 45 Abs. 1 e) des Entwurfs einer Asylverfahrensverordnung). Für eine Verbindung zwischen Antragsteller und dem Drittstaat soll nunmehr bereits ausreichen, dass die betreffende Person im Transit durch den Drittstaat, der sich geografisch in der Nähe seines Herkunftslandes befindet, gereist ist (Art. 45 Abs. 3 a) des Entwurfs einer Asylverfahrensverordnung). Darüber hinaus soll die Anerkennung zum sicheren Drittstaat, die bislang für die jeweiligen Mitgliedstaaten fakultativ ist, künftig bei Erfüllung der herabgesenkten Voraussetzungen für alle Mitgliedstaaten zwingend sein (Art. 45 Abs. 1 der geplanten Asylverfahrensverordnung).
Offenkundig hat die Kommission hierbei gerade die Türkei im Blick. Aber auch für andere Grenzstaaten Europas wird Tür und Tor für Zurückweisungen geöffnet. So betrachtet zum Beispiel Ungarn das Land Serbien als sicheren Drittstaat.
Die meisten Flüchtlinge, die nach Europa kommen, reisen über die Türkei ein. Dies betrifft vor allem afghanische und syrische Schutzsuchende. Ohne Chance auf Schutz in der Türkei sind nicht-syrische Flüchtlinge. Von den im Land lebenden 400.000 nicht-syrischen Flüchtlingen und Asylsuchenden wurden 2.160 umgesiedelt – also 0,5%. Das zeigt, dass es trotz des nur auf Kürze angelegten »Internationalen Schutzes« für die meisten nicht-syrischen Flüchtlinge keine realistische Aussicht auf Resettlement gibt. Selbst Registrierungen von Schutzersuchen – die ihrerseits Voraussetzung für einen vorübergehenden Schutz und eine anschließende Umsiedlung sind – sind in der Praxis oftmals nicht möglich. So gab es in 2019 lediglich 56.000 Registrierungen. Im Frühjahr 2019 bekamen afghanische Schutzsuchende erst Termine zur Registrierung in 2021. Ohne eine Registrierung ist die betroffene Person illegal aufhältig.
Die Türkei schiebt zudem in großen Zahlen nach Afghanistan ab. 2018 wurden laut Berichten 31.000, in 2019 ca. 24.000 Personen in das Bürgerkriegsland Afghanistan abgeschoben.
Quelle: