24. November 2024

Pakt öffnet Tür und Tor für Zurückweisung an Europas Grenzen

PRO ASYL zum Tref­fen des Rats der EU-Jus­tiz- und Innen­mi­nis­ter am 08.10.2020

Vor dem Rats­tref­fen der EU-Jus­tiz- und Innen­mi­nis­ter am 8. Okto­ber warnt PRO ASYL vor der fak­ti­schen Abschaf­fung des Zugangs zum Recht auf Asyl. Mit dem New Pact on Asyl­um and Migra­ti­on soll nach dem Wil­len der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on eine neue Dritt­staa­ten­re­ge­lung in Kraft tre­ten, nach der die Tür­kei für alle Mit­glied­staa­ten zum siche­ren Dritt­staat ein­ge­stuft wür­de. Die Tür­kei bie­tet aber ent­ge­gen anders­lau­ten­den Behaup­tun­gen kei­nen aus­rei­chen­den Schutz für Flücht­lin­ge.

Am 23. Sep­tem­ber hat die EU-Kom­mis­si­on den New Pact on Asyl­um and Migra­ti­on vor­ge­stellt. Die­ser Pakt öff­net Tür und Tor für einen kur­zen Pro­zess an den EU-Außen­gren­zen unter Haft­be­din­gun­gen für aus angeb­lich siche­ren Dritt­staa­ten ein­rei­sen­de Schutz­su­chen­de. Der Vor­schlag der Kom­mis­si­on ver­knüpft den Pakt mit Ände­rungs­vor­schla­gen zur Asyl­ver­fah­rens­ord­nung aus dem Jahr 2016. Wann ein drit­ter Staat sicher im Sin­ne des Flücht­lings­rechts ist, ist bis­her hoch umstrit­ten, da die Stan­dards, wann ein Staat als sicher betrach­tet wird, hoch sind. Die Tür­kei erfüllt die­se Bedin­gun­gen nicht.

PRO ASYL befürch­tet, dass Zurück­schie­bun­gen an den EU-Gren­zen nun dadurch dras­tisch erleich­tert wer­den sol­len, weil die bis­he­ri­gen ver­bind­li­chen Kri­te­ri­en, wann ein drit­ter Staat sicher ist, nun dras­tisch gesenkt wer­den. Die Durch­rei­se durch einen Staat wie die Tür­kei soll bereits genü­gen, sodass die­ser Staat als sicher gilt, selbst wenn er die GFK nicht rati­fi­ziert hat son­dern nur den soge­nann­ten »aus­rei­chen­den Schutz« bie­tet. (Art 45 Abs 3a, Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nungs­ent­wurf aus 2016).

Die­se dras­ti­sche Rechts­ver­schär­fung geht ein­her mit einer bis zu 24-wöchi­gen de-fac­to-Inhaf­tie­rung an der EU-Gren­ze. Alle über einen angeb­lich siche­ren Dritt­staat Ein­rei­sen­den kön­nen die­sem Grenz­ver­fah­ren unter­lie­gen. Das Grenz­ver­fah­ren läuft unter haft­ähn­li­chen Bedin­gun­gen ab. Wäh­rend die­ses Ver­fah­rens gel­ten Betrof­fe­ne als nicht ein­ge­reist. Hin­zu kommt, dass es gegen ableh­nen­de Ent­schei­dun­gen nur eine Rechts­mit­tel­in­stanz gibt (Art 53 Abs 9 Ent­wurf der Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung, Ände­rungs­vor­schlag der EU-Kom­mis­si­on vom 23. Sep­tem­ber 2020). Zudem haben Rechts­mit­tel im Grenz­ver­fah­ren kei­ne auf­schie­ben­de Wir­kung (Art. 54 Absatz 3a). Die­se wochen­lan­ge Fest­set­zung ist zudem unver­hält­nis­mä­ßig. In Deutsch­land gibt es zum Bei­spiel ein Flug­ha­fen­ver­fah­ren als Grenz­ver­fah­ren, wel­ches nach § 18 a) Asyl­ver­fah­rens­ge­setz maxi­mal 19 Tage dau­ern darf.

PRO ASYL befürch­tet die Aus­he­be­lung des Rechts auf Asyl durch die Ein­füh­rung einer Vor­sor­tier­an­la­ge an der EU-Gren­ze. Dies ist ein fun­da­men­ta­ler Angriff auf das indi­vi­du­el­le Recht auf Asyl. Als Men­schen­recht­stro­phäe bleibt es erhal­ten, fak­tisch ist es für vie­le Schutz­su­chen­de nicht mehr erreich­bar. Es ist mehr als irri­tie­rend, dass die­ser Vor­stoß nicht von Hard­li­nern aus Mit­glieds­staa­ten kommt, son­dern von der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on, der Hüte­rin der Euro­päi­schen Ver­trä­ge, die Rechts­staat und die Ein­hal­tung der Men­schen­rech­te garan­tie­ren.

Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen zu den geplan­ten Rechts­än­de­run­gen:

Nach aktu­el­ler Rechts­la­ge kann ein Staat nur dann zum siche­ren Dritt­staat erklärt wer­den, wenn dort die Mög­lich­keit besteht, einen Antrag auf Zuer­ken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft zu stel­len und im Fal­le der Aner­ken­nung als Flücht­ling Schutz gemäß der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on zu erhal­ten (Art. 38 Abs. 1 e) Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie). Fer­ner bedarf es für die Anwen­dung des Kon­zepts des siche­ren Dritt­staats einer Ver­bin­dung zwi­schen dem Antrag­stel­ler und dem betref­fen­den Dritt­staat, auf Grund derer es ver­nünf­tig erscheint, dass sich der Antrag­stel­ler in die­sen Staat begibt (Art. 38 Abs. 2 a) Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie).

Die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on möch­te aber das Schutz­ni­veau absen­ken, indem künf­tig ein soge­nann­ter »aus­rei­chen­der Schutz« genü­gen soll um einen Staat als siche­ren Dritt­staat zu kate­go­ri­sie­ren (Art. 45 Abs. 1 e) des Ent­wurfs einer Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung). Für eine Ver­bin­dung zwi­schen Antrag­stel­ler und dem Dritt­staat soll nun­mehr bereits aus­rei­chen, dass die betref­fen­de Per­son im Tran­sit durch den Dritt­staat, der sich geo­gra­fisch in der Nähe sei­nes Her­kunfts­lan­des befin­det, gereist ist (Art. 45 Abs. 3 a) des Ent­wurfs einer Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung). Dar­über hin­aus soll die Aner­ken­nung zum siche­ren Dritt­staat, die bis­lang für die jewei­li­gen Mit­glied­staa­ten fakul­ta­tiv ist, künf­tig bei Erfül­lung der her­ab­ge­senk­ten Vor­aus­set­zun­gen für alle Mit­glied­staa­ten zwin­gend sein (Art. 45 Abs. 1 der geplan­ten Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung).

Offen­kun­dig hat die Kom­mis­si­on hier­bei gera­de die Tür­kei im Blick. Aber auch für ande­re Grenz­staa­ten Euro­pas wird Tür und Tor für Zurück­wei­sun­gen geöff­net. So betrach­tet zum Bei­spiel Ungarn das Land Ser­bi­en als siche­ren Dritt­staat.

Die meis­ten Flücht­lin­ge, die nach Euro­pa kom­men, rei­sen über die Tür­kei ein. Dies betrifft vor allem afgha­ni­sche und syri­sche Schutz­su­chen­de. Ohne Chan­ce auf Schutz in der Tür­kei sind nicht-syri­sche Flücht­lin­ge. Von den im Land leben­den 400.000 nicht-syri­schen Flücht­lin­gen und Asyl­su­chen­den wur­den 2.160 umge­sie­delt – also 0,5%. Das zeigt, dass es trotz des nur auf Kür­ze ange­leg­ten »Inter­na­tio­na­len Schut­zes« für die meis­ten nicht-syri­schen Flücht­lin­ge kei­ne rea­lis­ti­sche Aus­sicht auf Resett­le­ment gibt. Selbst Regis­trie­run­gen von Schutz­er­su­chen – die ihrer­seits Vor­aus­set­zung für einen vor­über­ge­hen­den Schutz und eine anschlie­ßen­de Umsied­lung sind – sind in der Pra­xis oft­mals nicht mög­lich. So gab es in 2019 ledig­lich 56.000 Regis­trie­run­gen. Im Früh­jahr 2019 beka­men afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de erst Ter­mi­ne zur Regis­trie­rung in 2021. Ohne eine Regis­trie­rung ist die betrof­fe­ne Per­son ille­gal auf­häl­tig.

Die Tür­kei schiebt zudem in gro­ßen Zah­len nach Afgha­ni­stan ab. 2018 wur­den laut Berich­ten 31.000, in 2019 ca. 24.000 Per­so­nen in das Bür­ger­kriegs­land Afgha­ni­stan abge­scho­ben.

Quelle:

Pro Asyl

Europa