Lieber Friedrich Engels,
ich möchte Dir gratulieren und mich bei Dir bedanken, weil Du in ganz wesentlichen Fragen mein Leben geprägt und mir geholfen hast, eine Anschauung der Welt zu bekommen. Dafür möchte ich Dir kurz Beispiele schildern:
In meiner Jugend war es Mode, links zu sein. Der blödsinnige Spruch, der heute noch genutzt wird, dass, wer mit unter 30 kein Kommunist ist, kein Herz habe und wer mit über 30 noch Kommunist ist, kein Hirn, zeugt davon. Und so war ich in jungen Jahren so etwas wie ein Gefühlskommunist. Zuerst las ich von Dir „Zur Lage der arbeitenden Klasse in England“: Diese Schrift vermittelte mir, dass Moral und Gefühl wichtig sind, aber die Analyse der Realität unverzichtbar, will man nicht bei der Utopie bleiben. Ich glaube, meine zweite Schrift war dann der „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ – plötzlich der Blick darauf, dass Arbeit, die man unter unseren Bedingungen ja nicht unbedingt schätzen muss und kann, die Voraussetzung für die Entwicklung des Menschen als Mensch war und ist. Das war das Erschließen einer neuen Anschauung der Welt.
Danach kam ich wieder zur Frage der Utopie zurück, mit deiner Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“. Ein gutes Stück daran hat auch Dein „Anti-Dühring“ geleistet. Vielleicht kannst Du nachvollziehen, dass die Überraschung darüber, dass in einer marxistischen Kampfschrift plötzlich chemische Formeln auftauchen, mir den Weg geebnet hat, das Wissenschaftliche und Umfassende unserer Weltanschauung zu verstehen.
Zeitgleich entdeckte ich Dich dann noch als Mann der Praxis, als Kämpfer und Militär der bürgerlichen Revolution meiner Heimat in Baden. Du wirst verstehen, dass ich deshalb die Bescheidenheit, mit der Du Dich, neben Karl Marx, als „die zweite Violine“ bezeichnet hast, nicht akzeptieren kann. Natürlich warst Du anders, aber genial warst Du auch und ist Dein Werk bis heute.
Dafür vielen Dank und herzlichen Glückwunsch!
Dein Patrik Köbele
Quelle: UZ – Unsere Zeit – Lieber Friedrich Engels,