Banu gehört zu uns
Banu Büyükavci, Fachärztin am Klinikum Nürnberg und seit vielen Jahren aktives ver.di-Mitglied droht wegen der Mitgliedschaft in einer politischen Organisation, die dem türkischen Staatspräsidenten nicht passt, die Abschiebung aus Deutschland.
Gerüchte verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Banu Büyükavci, Fachärztin für Psychosomatik und Psychiatrie am Klinikum Nürnberg, weiß, wie sich das anfühlt: schrecklich. Als sie am 15. April 2015 verhaftet wird und anschließend für 34 Monate in Untersuchungshaft kommt, lebt sie bereits seit zehn Jahren unbescholten als Ärztin in Deutschland. Als promovierte und verbeamtete Allgemeinmedizinerin war sie 2005 aus der Türkei nach Nürnberg gekommen, um eine Fachausbildung zu machen. Längst besaß sie eine unbefristete Niederlassungserlaubnis für Deutschland, im Leben nicht hätte sie sich vorstellen können, in dem Land, in dem sie sich ein selbstbestimmtes Leben aufgebaut hat und wo sie als erfahrene Ärztin gebraucht wird, für nahezu drei Jahre ins Gefängnis zu kommen.
Vor allem nicht nach Stadelheim in München, in ein teils Hochsicherheitsgefängnis. Und vorstellen konnte sich Banu Büyükavci auch nicht, ausgerechnet Beate Zschäpe ihre Mitgefangene nennen zu müssen. Eine Rechtsextremistin, Mitglied der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund und als Hauptangeklagte im NSU-Prozess als Mittäterin der Ermordung von zehn Menschen – wie Banu Büyükavci überwiegend türkische Mitbürger*innen – zu lebenslanger Haft verurteilt. „Über mich verbreitete sich ganz schnell das Gerücht, ich hätte 50 Menschen umgebracht oder ich wäre eine Kindsmörderin“, sagt Banu Büyükavci. Denn auch wie Zschäpe kam sie zunächst monatelang in Isolationshaft, sie konnte den Gerüchten nichts entgegensetzen.
Ein nicht nachvollziehbarer Grund
Der eigentliche Grund, warum Banu Büyükavci inhaftiert wurde, ist ein bis heute nicht nachvollziehbarer Grund. Aber bis heute belastet dieser vermeintliche Grund Banu Büyükavcis Leben, 2019 wurde sie erneut für drei Wochen in Untersuchungshaft genommen, am 28. Juli 2020 wurde nach 234 Verhandlungstagen ihr Urteil gesprochen, dreieinhalb Jahre Gefängnis, die sie im Prinzip mit der U-Haft abgegolten hat. Und obwohl dieses Urteil nicht einmal rechtskräftig ist, droht ihr nun aktuell die Abschiebung in die Türkei, wo sie unter dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan Haft und Folter erwarten.
Banu Büyükavci ist seit sieben Jahren auch aktives ver.di-Mitglied, in verschiedenen Gremien engagiert sie sich, vor allem im Migrationsausschuss ver.di Mittelfranken. Was kann man also einer Person vorwerfen, die für ihre Patient*innen unverzichtbar ist und sich für Menschen mit Migrationshintergrund wie sie selbst einsetzt und stark macht?
Die Anklage lautete auf Mitgliedschaft in der TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) bzw. die Bildung des Auslandskomitees der Partei. Die TKP/ML ist allerdings nur in der Türkei verboten, nicht aber in Deutschland. Einzig aufgrund der 2002 vom Bundesjustizministerium erteilten Verfolgungsermächtigung nach den Terroranschlägen 2001 auf die USA konnte der Prozess nach dem sogenannten Terrorismusparagraphen 129a/b eröffnet werden. Banu Büyükavci wurde und wird also keine konkrete strafbare Handlung vorgeworfen; allein ihre politische Gesinnung reichte offenbar aus, um sich in Deutschland als Beschuldigte in einem der größten „Terrorprozesse” – wie in den Medien zu lesen war – wiederzufinden.
- „Gemeinsam mit dem kompletten Bezirk Mittelfranken und den Kolleg*innen der Landesebene werden wir uns auf den verschiedensten Ebenen einsetzen, gleichwohl alles dafür tun, dass Banu nicht ausgewiesen wird.“
Charly Johnson, Vorsitzende des ver.di-Landesmigrationsausschusses Bayern
Für die Kolleg*innen des bezirklichen Migrationsausschusses in Nürnberg ist bereits seit 2015, seit Banu Büyükavcis erster Inhaftierung, eines ganz klar: „Wir stehen hinter Banu, denn Banu gehört zu uns. Gemeinsam mit dem kompletten Bezirk Mittelfranken und den Kolleg*innen der Landesebene werden wir uns auf den verschiedensten Ebenen einsetzen, gleichwohl alles dafür tun, dass Banu nicht ausgewiesen wird“, sagt Charly Johnson, die Vorsitzende des ver.di-Landesmigrationsausschusses Bayern und des Migrationsausschusses Mittelfranken ist.
Als am 28. Juli 2020 der Prozess gegen Banu und neun weitere türkische und kurdische Männer zu Ende ging, schrieb die Süddeutsche Zeitung: „Mehr als 40 Jahre Haft, verteilt auf zehn Angeklagte: Mit diesem Urteil endet einer der aufwendigsten und umstrittensten Prozesse der letzten Jahre in Deutschland. Das Terrorverfahren gegen die türkisch-stämmigen Kommunisten dauerte mehr als vier Jahre und 234 Verhandlungstage. Große öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr es trotzdem nicht – ganz anders als etwa der NSU-Prozess, der bis zu seinem Ende im vorvergangenen Jahr im gleichen Raum stattgefunden hatte.“
- „Ich finde, das ist Unrecht, was da passiert. Banu ist nicht für eine Straftat verurteilt wurden, sondern nur für die Mitgliedschaft in einer politischen Organisation, die zumal hierzulande nicht einmal verboten ist.“
Linda Schneider, stellvertretende Landesbezirksleiterin ver.di Bayern
Doch nichts braucht Banu Büyükavci jetzt mehr als Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit. Damit sie die Ausländerbehörde nicht einfach auch im Stillen abschieben kann. Bei ver.di Mittelfranken und ver.di Bayern sind deshalb längst viele Hebel in Bewegung gesetzt, um genau das zu verhindern. Linda Schneider, stellvertretende Landesbezirksleiterin von ver.di Bayern, kann sich regelrecht in Rage reden, wenn sie über den Fall spricht: „Ich finde, das ist Unrecht, was da passiert. Banu ist nicht für eine Straftat verurteilt wurden, sondern nur für die Mitgliedschaft in einer politischen Organisation, die zumal hierzulande nicht einmal verboten ist. Aber damit gilt sie als vorbestraft. Und nur, weil sie keinen deutschen Pass hat, kann man sie jetzt überhaupt abschieben. Das ist in gewisser Weise auch rassistisch.“
Briefe an den Oberbürgermeister von Nürnberg und den bayerischen Innenminister sind geschrieben. „Wir sind geradezu entsetzt über die in Aussicht genommene Ausweisung und wollen alles daransetzen, diese auf politischem Wege zu verhindern“, heißt es darin, und weiter: „Wir müssen mit der politischen Orientierung von Dr. Büyükavci nicht einverstanden sein, um Sie dringend zu bitten, die Prüfung einer möglichen Ausweisung unserer Funktionärin abzubrechen. Es besteht nämlich unseres Erachtens kein Anfangsverdacht der Gefährdung öffentlicher Interessen der BRD. Entscheidend ist für uns die persönliche Eingebundenheit von Frau Dr. Büyükavci in die hiesige Gesellschaft und – auch – unsere Organisation… In unseren Gremien trat Frau Büyükavci niemals agitatorisch auf. Wir erlebten jene stets als besonnene Frau, die bemüht war, auch bei widerstrebenden Interessen und Diskussionen Kompromisse zu finden.“
Der Einsatz der Kolleginnen und Kollegen
Bereits nach ihrer ersten Verhaftung hatten sich Banu Büyükavcis Kolleginnen und Kollegen im Klinikum Nürnberg für sie eingesetzt. Ihr wurde trotz Haft nicht gekündigt. Und unmittelbar nach ihrer Entlassung aus der U-Haft habe sie ihr Chefarzt gefragt, wann und wo sie wieder arbeiten wolle. Auch jetzt wollen das Klinikum und ihre Kolleg*innen nicht auf sie verzichten.
„Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn eine bestens integrierte, weltoffene und konziliante Frau wie Banu vom deutschen Rechtsstaat tatsächlich ausgewiesen würde, nur weil sie einer Organisation angehört, die Erdogan nicht passt“, sagt Ulli Schneeweis, Gewerkschaftssekretär bei ver.di Mittelfranken und Mit-Initiator der jetzigen Soli-Kampagne für Banu Büyükavci.
Noch wird die Anweisung zur Ausweisung geprüft. Noch versammeln sich jeden Mittwoch unter Einhaltung der Corona-Regeln vor dem Nürnberger Gewerkschaftshaus am Kornmarkt Banus zahlreichen Unterstützer*innen zur Mahnwache. In den Sozialen Medien haben ver.di Bayern und Mittelfranken mit dem #banumussbleiben ihren Kampf für Banu gestartet. Am 1. Januar wird Banu Büyükavci 50 Jahre alt werden und diesen Geburtstag allein wegen Corona nicht wirklich feiern können. Aber ihren 51. Geburtstag dann hoffentlich ohne falsche Gerüchte und ohne die Sorge vor einer Abschiebung mit ihrer Familie, ihren Freund*innen und Unterstützer*innen.
Quelle: ver.di Bayern – „Banu gehört zu uns“