Pandemiebekämpfung in Sachsen: Krisenbewältigung auf dem Rücken von Beschäftigten im Gesundheitswesen, Pflege und Rettung
Gestern erließ die Landesdirektion Sachsen eine Allgemeinverfügung, die in Abweichung vom Arbeitszeitgesetz (ArbZG) die Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden bis 31. März 2021 ermöglicht. Betroffen sind eine Reihe von Branchen, die für die Bewältigung der Pandemiefolgen als besonders kritisch erachtet werden. Dazu zählen Krankenhäuser, Pflegebetriebe, Betreuungseinrichtungen sowie Not- und Rettungsdienste.
„Die Beschäftigten in den Krankenhäusern, Pflegeheimen und Rettung arbeiten nicht erst seit der Verschärfung der Corona-Pandemie an ihrer Belastungsgrenze, aufgrund löchriger Personaldecken oft darüber hinaus. Mit der Allgemeinverfügung legt man nun pauschal eine Schippe drauf, ohne zusätzliche und klare Regelungen für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten“, erklärt Bernd Becker, ver.di-Landesfachbereichsleiter Gesundheit und Soziales in Sachsen.
Mit der sächsischen Allgemeinverfügung zur Arbeitszeit können nunmehr Zwölf-Stunden- Schichten in den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen eingeführt werden, d.h. vier Stunden Mehrarbeit ohne Anpassung der Ruhezeiten zwischen den Schichten. Die Allgemeinverfügung regelt nicht, wie in den Ruhezeiten die eigene Regeneration, Homeschooling oder private Verrichtungen bewerkstelligt werden sollen.
Aus Sicht von Beschäftigten, die bereits schon jetzt im Umgang mit COVID-19-Patient*innen acht Stunden in voller Schutzausrüstungen arbeiten, stellt die Ausweitung der Arbeitszeit eine erhebliche Mehrbelastung dar. Hier sind Betriebs- und Personalräte besonders gefordert, denn sowohl die Ausweitung der Arbeitszeit als auch die Beurteilung der physischen und psychischen Gefährdungsbeurteilung unterliegen der betrieblichen Mitbestimmung.
„Die Belastungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen dürfen jetzt nicht überstrapaziert werden. Die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit darf höchstens in absoluten Ausnahmefällen stattfinden und nicht durch Arbeitgeber missbraucht werden. Es bedarf zusätzlichen Regelungen für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten. So zum Beispiel muss es nach zwei Stunden mindestens eine bezahlte Kurzpause von 15 Minuten geben, in der Beschäftigte durchatmen können,“ fordert Bernd Becker.
In Wuhan hat man eine klare Relation zwischen der Länge der Arbeitsschichten und der Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten sowie der Ansteckungswahrscheinlichkeit der Krankenhaus-Mitarbeiter entdeckt. In der ersten hektischen Phase arbeiteten Ärzte und medizinisches Personal in Wuhan oft 12 bis 14 Stunden. Sehr viele Helfer haben sich damals angesteckt. Erst als in China sehr viel mehr Personal zur Hilfe kam und die Schichten sich auf sechs Stunden verkürzten, sanken die Ansteckungs- und Sterberaten. (Quelle: Riffreporter Corona Wuhan Prof. Eckhard Nagel)
Nicht erst seit der COVID-19-Pandemie fehlt Personal im Gesundheitswesen. Die psychische und physische Belastung führt dazu, dass Beschäftigte aus dem Beruf aussteigen. Der wirtschaftliche Druck und kommerzielle Interessen haben die Arbeits- und Einkommensbedingungen im letzten Jahrzehnt dramatisch verschlechtert. Das führt unter anderem dazu, dass weniger jungen Menschen einen Gesundheitsberuf wählen bzw. im Beruf bleiben. Hier muss die Politik zwingend nachbessern. Das aktuelle Pandemiegeschehen verdeutlicht wie in einem Brennglas: Das Gesundheitswesen ist eine zwingende Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge.
In klaren Worten fasst Bernd Becker die aus gewerkschaftlicher Sicht notwendigen Schritte zusammen: „Die Landesregierung in Sachsen muss jetzt ihren Fokus auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen richten. Elektive Maßnahmen in den Krankenhäusern müssen verschoben werden. Hierfür müssen die Krankenhäuser Ausgleichzahlungen erhalten, damit sie nach der Pandemie nicht vor dem wirtschaftlichen Aus stehen. Die Corona-Prämie in Höhe von 1.500 Euro ist auf alle Beschäftigten auszuweiten und für 2021 bedarf es mindestens eines Zusatzurlaubs von 5 Tagen zum Ausgleich für die jetzt geleistete Arbeit.“
Oliver Greie, ver.di Landesbezirksleiter, stützt deutlich diese Richtung: „Die Politik muss im Gesundheitswesen handeln, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein. Wir brauchen gesetzliche Regelungen für eine bedarfsgerechte Personalausstattung. Die Krankenhäuser müssen vollständig ausfinanziert werden. Fallpauschalen, die zu Fehlanreizen führen, gehören abgeschafft. Ausgliederung und Tariffluch müssen Geschichte sein.“
Quelle: ver.di Sachsen Sachsen-Anhalt Thüringen – Pandemiebekämpfung in Sachsen