27. Dezember 2024

GEW: Geschichte verstehen!

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stellt sich ihrer Vergangenheit. Während einer Video-Pressekonferenz präsentierte sie am Freitag die Studie des Leipziger Historikers Jörn-Michael Goll „Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und das NS-Erbe“.

„Mit dieser wissenschaftlichen Studie ist die Grundlage gelegt, die Geschichte der Vorläuferorganisationen der GEW in der Weimarer Republik und ihre Rolle während der NS-Zeit sowie die Reorganisation der Interessensvertretung der Lehrkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg, die Gründung der GEW 1948 und deren Aufbau in den folgenden Jahren zu verstehen und den Diskurs in der Öffentlichkeit und der Bildungsgewerkschaft zu führen. Diesem Prozess stellen wir uns offen“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe in Frankfurt a.M. „Die Studie legt den Finger in die Wunden, ohne damals handelnde Personen von oben herab zu beurteilen. Sie erfasst die strukturellen Entwicklungen und bettet diese in den historischen Kontext ein. So wird die (Vor)Geschichte der GEW sichtbar als Teil der deutschen Geschichte, als Teil der Geschichte der Bundesrepublik und als Teil der Bildungspolitik.“

„Die Studie vermittelt die Erkenntnis, dass das NS-Erbe der GEW komplexer, vielschichtiger und widersprüchlicher ist als bisher in der Alltagswahrnehmung angenommen“, betonte Jörn-Michael Goll, Autor der Untersuchung und Historiker am Historischen Seminar der Universität Leipzig. „Zentrales Anliegen nach 1945 ist der Aufbau der GEW, die 1949 Gründungsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) war, wobei ein stark ausgeprägter ‚Pragmatismus‘ zur Richtschnur des Handelns wurde. So stellte sich die GEW fast vorbehaltlos hinter ihre Mitglieder. Ohne diesen Ansatz, waren die GEW-Gründer überzeugt, wäre eine Reorganisation der Lehrkräfte in einer großen, einflussreichen Gewerkschaft nicht möglich gewesen. Diese Linie führte jedoch auch dazu, dass sich die Organisation in mehreren Fällen dafür einsetzte, teils schwer belastete Lehrkräfte wieder in den Schuldienst zu bekommen oder deren Pensionsansprüche zu sichern. Damit korrespondierte, dass weitgehend die Bereitschaft fehlte, sich mit dem NS-Erbe kritisch auseinander zu setzen. Andererseits gibt es jedoch auch Bespiele dafür, dass stramme Nationalsozialisten in der GEW keine Chance hatten – und die GEW auch damit zeigte, dass sie sich von Beginn an ausdrücklich als eine demokratische Organisation verstand. Erst Ende der 1970er-Jahre, Anfang der 1980er-Jahre begann mit einer neuen Mitgliedergeneration die Auseinandersetzung der GEW mit ihrer Vergangenheit.“ Goll machte aber auch deutlich, dass die GEW mit dieser Entwicklung in der Nachkriegsgesellschaft Deutschlands keine Sonderrolle gespielt habe. „Spannend ist, dass es der GEW nach ihrer Gründung sehr schnell gelungen ist, auf internationaler Ebene anerkannt und als demokratische Organisation wahrgenommen zu werden“, unterstrich der Historiker. Insbesondere mit der israelischen Lehrergewerkschaft Histadrut habe sie früh eine enge und kontinuierliche Zusammenarbeit gesucht.

„Die GEW hat sich weit vorgewagt und ist mit dieser Studie einen mutigen Schritt gegangen“, sagte Projektleiter Detlev Brunner, Historiker am Historischen Seminar der Universität Leipzig. „Sie hat es sich nicht einfach gemacht und versucht, historische Entwicklungen und das Handeln von Organisation und Menschen nachzuvollziehen und nicht nach heutigen Wertmaßstäben und Moralvorstellungen zu be- und verurteilen. Das ist ein richtiger Ansatz, denn einfache Antworten, die den zeitlichen Kontext zu wenig berücksichtigen, helfen nicht, Prozesse und Entwicklungen zu verstehen. Aber genau das ist notwendig, insbesondere bei einem so wichtigen, aber schwierigen, oft hoch emotional diskutiertem Thema wie dem ‚NS-Erbe‘ der GEW. Die Studie gibt viele Erklärungen, kann aber natürlich nicht alle Fragen beantworten und: Sie fällt kein finales Urteil.“

 

Quelle: GEW – GEW: „Geschichte verstehen!“

 

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