Keine Strategie, Solidarität »à la tête du client« und viele offene Fragen
Die Dringlichkeit, mit welcher die neuen Covid-Maßnahmen von der Koalition von DP, LSAP und Déi Gréng ausgearbeitet und am gestrigen Freitag von der Chamber gestimmt wurden, ist einmal mehr ein Beweis dafür, dass diese Regierung zu koordiniertem Handeln und langfristigem Denken unfähig ist.
Die Gründe, weshalb die Regierung beschloß, den Lockdown ab dem 11. Januar 2021 teilweise wieder zurückzunehmen, bleiben schleierhaft und umso weniger nachvollziehbar für die große Mehrheit der Bevölkerung, als zeitgleich in unseren Nachbarländern die Covid-Maßnahmen verschärft werden. Leben wir vielleicht auf einer Insel? Oder verhindern wirtschaftliche und politische Partikularinteressen die Einsicht in die Notwendigkeit, dass möglicherweise nur ein harter, wenn auch zeitlich begrenzter Lockdown zum Sieg über das Virus verhelfen kann?
Ebenso wenig nachvollziehbar ist, dass Konsumtempel die ganze Zeit praktisch uneingeschränkt geöffnet blieben und regelrechte Kauforgien an schwarzen Freitagen toleriert wurden, gleichzeitig aber das Sportgeschehen selbst im Freien einschränkt wurde, und Restaurants, Kinos und Theater schließen mussten. Wer solche Beschlüsse fasst, ohne das ernsthaft zu begründen und nachzuweisen, wo sich die Menschen tatsächlich mit dem Virus anstecken, darf sich über mangelnde Glaubwürdigkeit nicht wundern.
Dass das Virus gefährlich ist, steht außer Zweifel, und die vielen Menschen, die ihm zum Opfer fallen, und die großen gesundheitlichen Schäden, die es anrichtet, strafen nicht nur jene Lügen, die versuchen die schrecklichen Folgen der Pandemie zu verharmlosen oder zu negieren, sondern sollten eigentlich Grund genug sein, genau zu überlegen und hinzuschauen, welche Maßnahmen die Angriffsfläche für das Virus möglichst klein halten.
Denn bis genügend Impfstoff vorhanden sein wird und große Teile der Bevölkerung geimpft werden können, wird es noch dauern, so dass – neben anderen Maßnahmen – Masken, Abstandsregeln und Desinfektionsmittel lebenswichtig bleiben. Auch das ist Teil der Solidarität, die erfordert ist, um die Pandemie zu überwinden.
Der Regierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, von Solidarität zu reden, sie aber nicht oder lediglich »à la tête du client« zu praktizieren. Zehntausende Kurzarbeiter, die starke Kaufkraftverluste zu beklagen haben, wissen was gemeint ist.
Vor allem muss man der Regierung, die bisher nur Spurenelemente einer Impfstrategie bekannt gab, vorwerfen, keine langfristige Strategie zu haben, um die Pandemie zu bekämpfen.
Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um das Personal in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu entlasten?
Welche Initiativen sind erfordert, um zu erreichen, dass das Personal im Krankenhauswesen je nach Bereich, um 10 bis 20 Prozent aufgestockt und der Mangel an Allgemeinmedizinern behoben werden kann?
Wie kann erreicht werden, dass auch die Krisengewinnler mit den breiten Schulden sich entsprechend ihrem Vermögen an der Finanzierung der Folgen der Gesundheitskrise beteiligen?
Sollte sie glauben, dass Antworten auf diese Fragen überflüssig sind, könnte es gut sein, dass große Teile der Bevölkerung demnächst zur Schlussfolgerung kommen werden, dass die Regierung überflüssig ist.
Ali Ruckert
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Unser Leitartikel: <br/>Keine Strategie, Solidarität »à la tête du client« und viele offene Fragen