27. Dezember 2024

Krise der Legitimität von Washingtons Eliten

Während Joe Biden sein Amt antritt und eine mögliche neue Welle rechter Gewalt lauert, ist die herrschende Klasse der USA in Panik.

Das Repräsentantenhaus hatte Trump rasch (und zu Recht) wegen Anstiftung zum Aufruhr angeklagt. Große Unternehmensspender, die Millionen an beide herrschende Parteien geben, haben versprochen, Spenden von Politikern zurückzuhalten, die den Putschversuch vom 6. Januar unterstützt haben. Kongreß-Sprecherin Pelosi hatte offenbar Zusagen von Militärs eingeholt, Trumps Möglichkeiten zu blockieren, im letzte Moment in einem Anfall von Umnachtung einen Atomschlag zu befehlen.

Aufrufe zum Rücktritt oder Ausschluß von Politikern der Republikanischen Partei, die den Putschversuch angestachelt haben, haben die Medien und die Posteingänge der gewählten Vertreter überflutet. Große soziale Medien hatten Trumps Konten gesperrt, zusammen mit denen von Zehntausenden seiner Anhänger, die paranoide Verschwörungen über die Wahl verbreiten.

Das FBI hat eine massive Untersuchung von Personen eingeleitet, die am Eindringen in das Capitol, der Zerstörung oder dem Diebstahl von öffentlichem Eigentum oder der Bedrohung von Amtsträgern beteiligt waren. Zahlreiche Untersuchungen über das Versagen der Capitol Police und die Rolle einiger ihrer Angehörigen bei der Unterstützung des Putschversuchs sind im Gange. In einem beispiellosen Schritt kündigten hochrangige Generäle ihre Unterstützung für das Wahlergebnis an und verurteilten den Putschversuch, wobei sie sogar interne Untersuchungen über die politische Loyalität von Militärs einleiteten, die möglicherweise zur Amtseinführung eingeteilt werden.

Diese Aktionen signalisieren eine allgemeine Panik in Washington, über Parteigrenzen hinweg, und stellen die Regierungsfähigkeit in Frage.

Die verzweifelten Maßnahmen und das politische Desaster, dem sie zuvorkommen sollen, machen die Krise der Legitimität und der Fähigkeit von Washingtons Eliten deutlich, das politische Sy­stem zu beherrschen, um den weltweiten Prestigeverlust der USA zu bewältigen, der sich seit Bushs Invasion im Irak 2003 angebahnt hatte. Trumps Aufstieg ins Zentrum der politischen Macht spiegelt eine Reihe von antidemokratischen, gegen die Arbeiterklasse gerichteten Lösungen für diese Unfähigkeit wider.

Mit der Umsetzung eines »America first«-Nationalismus im politischen und wirtschaftlichen Bereich hofften die Eliten auf eine Rückkehr zur Vorherrschaft. Sie hofften auf die Wiederherstellung des USA-Systems, das durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch und die allgemeinen Unruhen seit der Großen Rezession von 2008 zerbrochen war. Seitdem haben jedoch Volksaufstände wie Occupy Wall Street und #BlackLivesMatter, angetrieben durch tiefe soziale Ungleichheiten, die vom USA-Kapitalismus fabriziert wurden, dieses Straucheln und die Verzweiflung der politischen Führung nur noch verschlimmert.

Die nationalistische Agenda nährt sich von der Ideologie der weißen Vorherrschaft, der lauernden Pathologie, die die sozialen Institutionen des Landes und ihre Überlegenheitsansprüche infiziert. Faschistisch orientierte Milizen und Organisationen schwollen zu einer antagonistischen Prominenz an, die Übergriffe gegen Einwanderer in den Vordergrund stellten, antischwarzen Rassismus förderten und offene Fremdenfeindlichkeit anheizten.

Trumps Unterstützer drohten regelmäßig mit Gewalt und inszenierten sie, um ihre Bewegung aufzubauen. Killer, bewaffnet mit Sturmgewehren und Pick-up-Trucks mit Trump-Flaggen, verfolgten die #BlackLivesMatter-Aufstände. Milizen entwickelten Pläne, um Regierungsbeamte zu entführen, die Trump als seine Feinde definierte. Rechte Organisationen feierten Gewalt, Rassismus und Haß und strömten auf die Straßen. Funktionäre der Republikanischen Partei verteidigten immer wieder solche Aktionen.

Die Anhänger dieses politischen Regimes sind hoch erfreut über die Rückkehr zur Vorherrschaft einer engen Auffassung der Geschichte und Kultur der USA, die die weiße rassistische Macht feierte. Sie sehnen sich nach einer wirtschaftlichen und politischen Hinwendung nach innen, die dazu führen könnte, daß das Land die Verbindungen zu Teilen der Welt kappt, deren Menschen sie als rassisch und kulturell minderwertig betrachten.

Diese allgemeine politische Orientierung ist ein beständiges Merkmal der Grundideologie der Republikanischen Partei und wird auch von vielen Anhängern der Demokratischen Partei aufgegriffen. Die Möglichkeit dieser Orientierung, eine dominierende Position zu erlangen, hängt in erster Linie von der Förderung von Angst und Haß, Wahnvorstellungen und Wut ab.

Aber ein ideologisches und kulturelles System, das auf diesen emotionalen Reaktionen auf Veränderungen beruht, ist ein Rezept für eine Katastrophe. Die völlig verfehlte und gescheiterte Reaktion der USA-Regierung auf die COVID-19-Pandemie ist nur das ungeheuerlichste Beispiel für dieses Unheil. Trump hat versucht, die öffentliche Wahrnehmung der Pandemie zu steuern, indem er bei seinen Anhängern den Glauben förderte, daß man Wissenschaftlern, Medien und Beamten, die eine rationale Reaktion der öffentlichen Gesundheit forderten, nicht trauen könne. Er förderte die Vorstellung, daß nur er die Wahrheit über das, was er als Hoax bezeichnete, liefern könne. Er hatte lange nach Möglichkeiten gesucht, diese autoritäre Mentalität zu fördern, und jetzt war seine große Chance.

Trumps gefühllose und tödliche Reaktion auf die Pandemie förderte den Widerstand gegen den öffentlichen Gesundheitsnotstand, was wiederum die Darstellung von Trump als unfehlbarem Anführer und seine Kritik an »gefährlichen Feinden« förderte, die zum Schweigen gebracht, inhaftiert oder sogar getötet werden sollten. Diese Denkweise erfaßte Millionen seiner Anhänger so sehr, daß sie zu der Überzeugung gelangten, es könne gar nicht anders sein als daß Trumps politische Herausforderer ihm eine zweite Amtszeit »stehlen«.

Seit März 2020 sind 400.000 USA-Bürger gestorben. Die Einführung des Impfstoffs wurde offensichtlich falsch gehandhabt, da viele Bundesstaaten berichten, daß die Trump-Administration ihre Versprechen über die verfügbaren Mengen des Impfstoffs übertrieben hatte.

Das ist der Punkt, an dem sich die USA im Moment befinden. Politischer Terrorismus lauert in fast jeder öffentlichen Aktion. Die Rechten weisen Forderungen nach Rechenschaftspflicht für Trump und seine Provokateure im Namen der »Einheit« zurück. Einige republikanische Mitglieder des Repräsentantenhauses, die ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump unterstützen wollten, weigerten sich angesichts von Morddrohungen, dies zu tun. Das FBI warnte, daß Trumps Anhänger im ganzen Land zu Gewalt anstiften könnten.Angesichts der zunehmenden Unfähigkeit, das Land zu regieren, wird Washington einen neuen Konsens suchen müssen, um einen totalen Absturz des politischen Systems ins Chaos abzuwehren. Die Biden-Administration wird versuchen, diesen Konsens mit ihrem Amtsantritt zu gestalten.

Eine Rückkehr zu einer neoliberalen Agenda wird die Krise jedoch nur noch vertiefen. Die Menschen können nicht länger ein System akzeptieren, das von Milliardären und Millionären dominiert wird – egal durch welche der beiden großen Parteien.
Ein Konsens muß beinhalten, das Mandat und die Macht, die die Wähler der Demokratischen Partei gegeben haben, zu nutzen, um das Leben der Menschen aus der Arbeiterklasse materiell zu verbessern. Dies kann durch eine Erhöhung des Mindestlohns, den Erlaß der Schulden von Studenten, die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Pandemie, die Ausweitung von Medicare, einen Marshallplan für Bildung und finanzielle Entlastung der Bundesstaaten, die Beseitigung der Menschenrechtsverletzungen an Migranten und die Ausrottung weißer Rassi­sten und ihrer Ideologie aus den gesellschaftlichen Institutionen, einschließlich, aber nicht ausschließlich der Polizei, geschehen. Auf der globalen Bühne muß die USA-Regierung die paranoide Außenpolitik von Trump und Pompeo aufgeben, die auch die Fähigkeit zur globalen Zusammenarbeit im Kampf gegen die Pandemie vermindert hat.

Aber eine progressive Agenda ist nicht genug. Es müssen neue Machtverhältnisse geschaffen werden. Die Führung im Staat, in den vorherrschenden gesellschaftlichen Institutionen und in der Wirtschaft durch demokratische und die multirassischen Führer, Kräfte, Bewegungen und Organisationen der Arbeiterklasse ist ein Muß. Sie werden als der verbleibende Funke von Optimismus für soziale Harmonie und Fortschritt gebraucht.

Joel Wendland-Liu,
New York

Aus »Peoples‘ World«, Zeitung der Kommunistischen Partei der USA (CPUSA)

Der Autor unterrichtet an der Grand Valley State University in West Michigan. Er war einer der Herausgeber der Zeitschrift »Political  Affairs« der CPUSA

Übersetzung: Uli Brockmeyer, ZLV

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Krise der Legitimität von Washingtons Eliten

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