Rosa-Luxemburg-Konferenz 2021: Die Pandemie als Chance genutzt
Die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz, die seit inzwischen mehr als einem Vierteljahrhundert jährlich in Berlin durchgeführt wird, hat in diesem Jahr eine Premiere gefeiert. Da aufgrund der Pandemie die übliche Veranstaltung mit mehr als 3000 TeilnehmerInnen nicht möglich war, gab es erstmals eine rein virtuelle Konferenz – und diese aus der Not geborene Form wurde von der Redaktion erfolgreich genutzt. Rund zehn Stunden lang wechselten sich per Video zugeschaltete ReferentInnen aus aller Welt ab mit Podien und Beiträgen, die direkt aus dem Redaktionsgebäude der Tageszeitung »junge Welt« übertragen wurde. Verfolgt werden konnte die Konferenz weltweit, denn alle Beiträge wurden in deutscher, englischer und spanischer Sprache gestreamt. Nach Erhebungen der Zeitung haben sich im Laufe des Tages mehr als 12.000 Menschen zugeschaltet.
Für einen technisch wie inhaltlich hochprofessionell durchgeführten Ablauf sorgten rund ein Dutzend TechnikerInnen und viele andere hinter den Kulissen aktive. Durch das Programm führten nicht weniger souverän Sebastian Carlens von der Chefredaktion der »jungen Welt« sowie die Schauspielerin Anja Panse.
Prof. Stefano Azzarà aus Italien kritisierte vor dem Hintergrund der Pandemie, dass sich einige Linke angesichts eines abstrakten Universalismus der Herrschenden in einen nicht minder problematischen weil verkürzten Souveränismus flüchteten, der sich auf Gemeinschaft und Nation beschränkt. Eine ernstzunehmenden Linke werde erst dann wieder entstehen, wenn sie die Klassenkämpfe gegen die Repräsentanten des Kapitals führt.
Ben Chacko, Chefredakteur der britischen marxistischen Tageszeitung »Morning Star«, informierte in seinem Beitrag über die aktuelle Situation des inhaftierten australischen Investigativjournalisten Julian Assange und die Angriffe auf den kritischen Journalismus in Großbritannien. Solidarität mit politischen Gefangenen zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Veranstaltung. Zu Wort kamen unter anderem Mumia Abu-Jamal, der seit Jahrzehnten in den USA im Gefängnis sitzt, sowie der HDP-Politiker Selahattin Demirtaş, den die Türkei gefangen hält.
Erfrischend kontrovers verlief das Podium von VertreterInnen der Jugendbewegung, insbesondere als über den Umgang mit neuen Bewegungen wie Fridays for Future und Black Lives Matter diskutiert wurde. Roylan Tolay von der DIDF-Jugend berichtete, wie ihre Organisation versucht habe, sich dort einzubringen und antikapitalistische Kerne zu bilden. Es müsse darum gehen, von einer Kritik des individuellen Konsums zur Systemkritik zu kommen. Für die SDAJ erklärte Leon Sierau, dass es darum gehen müsse, »antikapitalistisches Bewusstsein« bei Fridays for Future und Black Lives Matter einzubringen, auch wenn man »nichts oktroyieren« dürfe. Problematisch sei, dass beide Bewegungen bislang nicht bzw. kaum unter den arbeitenden Menschen verankert seien. Hier gebe es allerdings hoffnungsvolle Ansätze. Die sieht auch Erik Busse, der bei ver.di der Bundestarifkommission öffentlicher Dienst angehört. Er sah eine Vielzahl von Möglichkeiten der Kooperation, wodurch nicht zuletzt der Gewerkschaftsbegriff für junge Menschen greifbarer werde. Sascha Hevalski von der North East Antifa Berlin unterstrich die »überraschende« Vitalität insbesondere von Black Lives Matter, die in Deutschland immerhin »zwischen zwei Lockdowns« entstanden sei.
Die indisch-kanadische Wirtschaftswissenschaftlerin Radhika Desai wagte in ihrem Referat einen optimistischen Ausblick: »Der alte Kalte Krieg hat den Kommunismus nicht besiegt, aber der neue Kalte Krieg kann den Kapitalismus besiegen«. Die an der Universität von Manitoba in Winnipeg lehrende Professorin erklärte, dass die Sowjetunion, obwohl sie nicht überlebt habe, das Eröffnungskapitel des Sozialismus dargestellt habe. Ohne sie sei der Erfolg Chinas unvorstellbar.
Aus Mali berichtete Dora Cheik Diarra, Sekretär für Außenbeziehungen der marxistisch-leninistischen Partei SADI (Solidarité Africaine pour la Démocratie et l’Indépendance). Die Schlüsselfrage für die Linke seines Landes seien der Frieden und die Stabilisierung der Lage. Allerdings mache das Frankreich, das immer noch einen erheblichen Einfluss in Mali habe, nicht einfacher. Die Linke versuche deshalb, die Arbeitenden zu mobilisieren und über die Lage aufzuklären.
Donna Murch, Professorin an der Rutgers University in den USA, informierte über die Lage in den Vereinigten Staaten nach der Erstürmung des Capitol in Washington am vergangenen Mittwoch. Symbolisch für die Situation sei gewesen, wie Polizisten den Angreifern die Tore geöffnet haben. Sie betonte, dass die Alternative zum Trumpismus nicht aus der Demokratischen Partei kommen werde. Der künftige Präsident Joe Biden repräsentiere den konservativsten Flügel der Partei, in seinen Reden höre man noch das Echo der »Herrenvolk-Demokratie«.
Aus Indien meldete sich Vijay Prashad zu Wort. Der Direktor des Tricontinental Instituts in Neu-Delhi rief die globale Linke auf, den »hybriden Krieg«, der USA gegen China nicht zu ignorieren. Das Ziel der USA sei nach wie vor die Vorherrschaft über den Globus. Auch wenn die Vereinigten Staaten in einem Niedergang begriffen seien, blieben sie noch mächtig und kontrollierten den weltweiten Fluss von Geld, Daten und Informationen. Zudem seien sie nach wie vor die größte Militärmacht. China habe allerdings in den vergangenen Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht und sei so zu einer ernsthaften Bedrohung für den europäischen und US-Imperialismus geworden. Davon solle mit dem Informationskrieg gegen die Volksrepublik abgelenkt werden.
Für eine engere Verknüpfung von Marxismus und Umweltschutz sprach sich der Herausgeber der US-Zeitschrift »Monthly Review«, John Bellamy Foster, aus. Schon Marx habe verstanden, dass der Kapitalismus die Umwelt und den Menschen spalte, weil Unternehmen für Umweltverschmutzung verantwortlich sind, die wiederum schwere Krankheiten hervorrufen. Heute sei die Konzentration des Kapitals für Klimaveränderung und pandemischen Katastrophen wie Covid-19 verantwortlich, so Foster: »Der Kapitalismus ist eine Krankheit an sich.«
Natürlich fehlten auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz auch nicht die Beiträge aus Lateinamerika. Janohi Rosas, Generalsekretärin der Kommunistischen Jugend Venezuelas,
betonte in ihrem Beitrag das Motto der Konferenz. »Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein« habe nichts an Aktualität verloren. Während auf der einen Seite die Bourgeoisie und die Monopole stünden, liege die Vernunft bei den kämpfenden Völkern und der Arbeiterklasse, die auf den wissenschaftlichen Sozialismus als Ausweg aus der kapitalistischen Krise setzen müssten. Während die USA, aber auch die Europäische Union, selbst inmitten der Pandemie auf imperialistische Aggression und eine brutale Blockade gegen Venezuela gesetzt hätten, kämpfe das venezolanische Volk weiter dafür, unabhängig, selbstbestimmt und souverän über sein eigenes Schicksal zu entscheiden.
Für Solidarität statt Barbarei steht auch das sozialistische Kuba, wie Enrique Ubieta Gómez, Direktor der vom ZK der Kommunistischen Partei Kubas herausgegebenen Theoriezeitschrift »Cuba Socialista«, betonte. Er betonte, dass der Umgang mit der Pandemie als ein Lehrstück über die Funktionsweise zweier unterschiedlicher Gesellschaftssysteme gesehen werden könne. Während die USA besonders vom Coronavirus betroffen sind, brachen in Kuba keine Krankenhäuser zusammen oder starben Beschäftigte im Gesundheitswesen. Während Washington selbst in Zeiten einer Pandemie die tödliche Blockade gegen die Inselrepublik verschärfte, schickte Havanna insgesamt 53 medizinische Hilfsbrigaden in andere Länder, um praktische Solidarität zu leisten – getreu dem Ausspruch Fidel Castros, Ärzte statt Waffen exportieren zu wollen.
Den Abschluss der Konferenz bildete die Podiumsdiskussion zum Thema »Krisengewinnler Amazon«. Tim Bray (USA), ehemaliger Vizepräsident bei Amazon Web Services (AWS), der zum 1. Mai 2020 aus Protest gegen die Repression gegen GewerkschafterInnen seinen Posten aufgegeben hatte, kritisierte das Auspressen menschlicher Arbeitskraft. In letzter Konsequenz müsse es um die Zerschlagung der Bigtech-Monopolisten gehen, also auch um das Ende von Amazon in seiner bisherigen Unternehmensstruktur.
Fátima Aguado vom spanischen Gewerkschaftsbund CCOO informierte, wie der Konzern versuche, Gewerkschaftswahlen – vergleichbar mit Betriebsratswahlen hierzulande – dadurch auszuhebeln, dass man unternehmerfreundliche Kandidaten ins Rennen schicke. Ihr Kollege Massimo Mensi von der italienischen CGIL stimmte zu. Beschäftigte, die aufmucken, würden sofort mit Sanktionen belegt und intensiv kontrolliert.
Aber es gibt längst gewerkschaftliche Gegenwehr, wie ver.di-Vertreter Orhan Akman zu berichten wusste. Nach acht Jahren Arbeitskampf in Deutschland gebe es inzwischen in fast allen Amazon-Versandzentren Betriebsräte: »Die Demokratie darf nicht vor dem Betriebseingang enden!«
Quelle: junge Welt / RedGlobe