Wenn die Haifische Menschen wären
Zu Beginn ausnahmsweise eine persönliche Anekdote. Vorgestern fragten meine Töchter, ob der neue Präsident der USA, Joseph Biden, denn nun »besser« sei als der alte. Letzterer sei ein »Tölpel« mit einer »drolligen Frisur« und »komischen Ansichten« gewesen. Ich antwortete wortkarg, dass sich dies noch zeigen müsse und man einen gewählten Politiker niemals mit zu vielen Vorschusslorbeeren auszeichnen sollte.
Die beiden jüngsten gaben sich mit dieser Antwort nicht richtig zufrieden. Sie waren auf kindlich-gutmütige Art und Weise der Meinung, der neue »Chef Amerikas« würde doch aussehen wie ein netter, alter Opa und würde bestimmt nichts Böses im Schilde führen – etwas eigenartig kämen ihnen allerdings die strahlend weißen Zähne und das ständige Grinsen des alten Mannes vor.
Hier warf die älteste ein, dass dieses Grienen sie an jenes des gefräßigen Haifisches aus dem Trickfilm »Findet Nemo« erinnern würde. Dieser amüsante Vergleich mit einem fiktionalen Geschöpf bewog mich dann doch dazu, den Kindern in einfachen Worten zu vermitteln, wie es der neue USA-Präsident in der Vergangenheit mit Krieg und Frieden gehalten hat.
Auf diese Gretchenfrage gibt es eine klare Antwort. Biden hat stets die völkerrechtswidrigen Aggressionen Israels gutgeheißen, er hat sich 1999 für die Bombardierung und Zerschlagung Restjugoslawiens ausgesprochen, 2003 hat er für den Irak-Überfall votiert und diese Entscheidung nie bedauert. 2,4 Millionen Dollar investierte die Waffenindustrie in den Wahlkampf des Kandidaten der »Demokraten«. Wie er zukünftig vorzugehen gedenkt, hat Biden in der Zeitschrift »Foreign Affairs« dargestellt – und dieser Artikel lässt nichts Gutes erahnen. Die UNO wird nicht ein einziges Mal erwähnt, vielmehr setzt Biden außenpolitisch auf eine weitere Mobilisierung der NATO. Es bleibt folglich bei der alten bellizistischen Leier: Erhaltung der internationalen Hegemonie des US-amerikanischen Kapitals – um jeden Preis.
Sicher, die neue USA-Regierung ist auf das friedenspolitische Angebot Russlands eingegangen, den New-Start-Vertrag um fünf Jahre zu verlängern, und sinniert auch über eine Rückkehr zum Atomabkommen mit dem Iran, indes sollte man sich von solchen Versöhnungsgesten, die bislang rein symbolischer Natur sind, ebenso wenig blenden lassen wie von Bidens falschen Zähnen – gerade weil die Drohkulisse gegenüber China, Russland, aber auch Syrien und Venezuela mit Hilfe der riesigen Militärmaschinerie und einer asymmetrischen Strategie der Spannung aufrecht erhalten wird.
Die salbungsvollen Ankündigungen könnten sich also schnell als Schmierenkomödie der interventionistischen US-amerikanischen Kapitalfraktion herausstellen, für die sich Herr Biden in seiner gesamten politischen Karriere stark gemacht hat. Kindern solche Verblendungszusammenhänge des Imperialismus zu erläutern, ist ein komplexes Unterfangen – man muss auf einprägsame Bilder zurückgreifen. Ihnen und allen anderen sei Brecht mit seiner Parabel »Wenn die Haifische Menschen wären« empfohlen, in welcher der Kleinkinderfrage nachgegangen wird, ob die Meeresraubtiere mit den scharfen Zähnen in Menschengestalt denn netter zu den »kleinen Fischen« wären.
Nun ja, auch in dem Falle wäre die bürgerliche mediale Musik »so schön, dass die Fischlein unter ihren Klängen, die Kapelle voran, träumerisch, und in allerangenehmste Gedanken eingelullt, in die Haifischrachen strömten.« Der altersmilde, friedliebende Opa im Weißen Haus – eine jovial-naive Kindervorstellung oder halt ein ziemlich einfältiger, auf kleinbürgerlichem Politikverständnis fußender Mythos…
Alain Herman
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Unser Leitartikel: <br/>Wenn die Haifische Menschen wären