Der „Dritte Weg“ ist eine Sackgasse
Mit einem bundesweiten Tarifvertrag Altenpflege wollten ver.di und der Bundesverband Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) für Mindestbedingungen in der Altenpflege sorgen. Dem Antrag auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung hätten Diakonie und Caritas zustimmen müssen, doch sie blockieren einen flächendeckenden Tarifvertrag.
Nach der Entscheidung der kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, sich gegen einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Altenpflege auszusprechen, ist der Schock groß. Was sagt es über diese Gesellschaft aus, dass im Jahr 2021 knapp 30 Männer der katholischen Kirche einen Tarifvertrag für 1,2 Millionen Beschäftigte in der Altenpflege blockieren können – die Mehrheit von ihnen Frauen? Was hat es mit den großmundig vorgetragenen Reden, auch der kirchlichen Träger, zur Aufwertung des Pflegeberufs auf sich, die nun, als es konkret wurde, keinen Cent mehr wert waren? Wie soll man umgehen mit einer derartigen Heuchelei?
Gerade die Beschäftigten im privaten Pflegesektor, die signifikant von den tarifvertraglichen Regelungen profitiert hätten, müssen nun feststellen, wie wenig gesellschaftliche Sonntagsreden – auch, aber nicht nur von Kirchenvertretern – wert sind.
Mindestens zwei Schlussfolgerungen können und müssen aus der aktuellen Situation gezogen werden: Zum einen ist es spätestens jetzt an der Zeit, den kirchlichen Sonderweg im kollektiven Arbeitsrecht, den sogenannten „Dritten Weg“, aktiv zu hinterfragen. Innerhalb wie außerhalb der Caritas sind derartige Diskussionen aktuell in vollem Gange. In einer „Sozialethischen Stellungnahme“ vom 4. März zeigten sich 16 Professorinnen und Professoren als Inhaber sozialethisch-theologischer Lehrstühle verschiedener Universitäten bestürzt über das Verhalten der „Dienstgeber“ der Caritas und riefen deren Mitglieder dazu auf, aktiv auf eine Revidierung des entsprechenden Beschlusses der arbeitsrechtlichen Kommission hinzuwirken – wohl wissend, welch verheerendes Bild die Caritas nun abgibt. In der Stellungnahme heißt es: „Dass der Caritasverband vor diesem Hintergrund noch glaubwürdig als Anwalt für die Interessen der Benachteiligten auftreten kann, ist unwahrscheinlich. Er wird öffentlich an diese Solidaritätsverweigerung erinnert und von daher beurteilt werden.“
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner weisen in diesem Kontext auch darauf hin, dass die Einwände gegen die Unterstützung des Tarifvertrags bestenfalls vorgeschoben sind. Eine Verschlechterung der bereits geltenden Tarife in der Altenpflege wäre dadurch nicht zu befürchten gewesen, vielmehr fürchten die kirchlichen Träger sowohl um ihren Sonderstatus als auch um kurzfristige Wettbewerbsvorteile gegenüber privaten Trägern. Die aktuell große Empörung über das Verhalten der kirchlichen Träger sollte demzufolge über den Tag hinaus genutzt werden, um vermeintliche kirchliche Sonderrechte in Gänze zu hinterfragen; eine Haltung, die die Gewerkschaft ver.di schon seit längerem vertritt und der mit dieser Entscheidung neue Dringlichkeit zukommt.
Hinzu kommt die Notwendigkeit, dass sich mit der unsolidarischen Haltung der kirchlichen Verbände der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in der Altenpflege keinesfalls erledigt hat. Es ist klar, dass genau dieses Verhalten von Caritas und Diakonie zu weiteren, höheren Profiten der privaten Anbieter führen wird. Weil die kirchlichen Träger egoistisch sind, profitieren die Privaten und beides geht zu Lasten der Beschäftigten – vor allem im privaten Bereich. Das macht den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen dort nicht leichter, zumal es im Kern ein dauerhaftes Angehen gegen Resignation, stetigen Arbeitsplatzwechsel auf der Suche nach individuell besseren Bedingungen und Überlastung ist. Er muss aber geführt werden, soll sich an den desaströsen Zustanden im Bereich der privatisierten öffentlichen Daseinsvorsorge etwas verändern.
Vor diesem Hintergrund hätte der allgemeinverbindliche Tarifvertrag ein wichtiges Signal sein können. Der Kampf um bessere Bedingungen in der Altenpflege ist auch nach der Blockade durch Caritas und Diakonie noch genauso wichtig – leichter geworden ist er dadurch allerdings nicht.
Quelle: UZ – Unsere Zeit – Der „Dritte Weg“ ist eine Sackgasse