Corona und Krise: Was sagt die Russische Kommunistische Arbeiterpartei dazu?
Die Russische Kommunistische Arbeiterpartei – Revolutionäre Partei der Kommunisten (RKAP-RPK) wurde im Jahr 2001 gegründet und ist Mitglied der Initiative kommunistischer und Arbeiterparteien Europas. Ihr zentrales Organ heißt Trudovaja Rossija (erscheint seit 1994) und auf Youtube findet man zwei regelmäßig bespielte Kanäle: RKRP Life, wo aktuelle Themen besprochen werden, und Krasnaja Škola („Rote Schule“), wo zu Schulungszwecken verschiedene historische, politische und ökonomische Thematiken durchgenommen werden. Der Revolutionäre Kommunistische Jugendverband (Bolschewiki), RKSM(B), ist die Jugendorganisation der Partei.
Kapitalismus als Ursache der Krise
Die RKAP-RPK analysiert die gegenwärtige Krise rund um die Corona-Pandemie im Zusammenhang mit den zyklisch auftretenden kapitalistischen Überproduktionskrisen. Sie sieht darin eine Fortsetzung der Krisen, die nach der Oktoberrevolution begonnen haben und in den Jahren 2008–2014 in eine besonders akute Phase eintraten. Der Vorsitzende der RKAP-RPK, Wiktor Arkadjewitsch Tjulkin, fasst die russische Situation in seinem Beitrag „Der Kompass des Marxismus zeigt die richtige Richtung an“ sehr klar und genau zusammen:
„Die Anhäufung von Gegensätzen, die eklatante Differenz zwischen Reichtum und Armut musste sich unweigerlich als nächste Stufe des wirtschaftlichen Niedergangs und der Verschärfung des zwischenimperialistischen Widerspruchs manifestieren. Die Tatsache, dass sich diese Krise zur Zeit der Covid-19-Epidemie offenbart, ist eher ein Zufall. Beide Prozesse – also die Krise und die Pandemie – scheinen sich so weit zu überlagern, dass sie zu einem gemeinsamen, voneinander abhängigen Prozess verschmelzen, sodass die bürgerlichen Autoritäten und Ideologen versuchen, die Epidemie als Grund für die Krise auszurufen. Klar, dass dies nackte Lügen sind. In einigen Fällen hat COVID den Prozess beschleunigt, es war sozusagen ein Auslöser, dennoch ist die eigentliche Ursache der Krise der Kapitalismus selbst. Die Pandemie hat die Situation nur verschlimmert und alle Widersprüche und Unzulänglichkeiten der bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung anschaulich offenbart.“
Gesundheitswesen als Klassensystem
Die Russische Föderation stellt im Umgang ihrer Regierung unter Präsident W. Putin mit der Pandemie keinen historischen oder politischen Sonderfall dar, sie setzt ebenfalls auf den Profit privater Gesundheitsfürsorge in einem Prozess der stetigen Privatisierung früherer Errungenschaften (die in der Sowjetunion eben allumfassend waren), bei gleichzeitig moralisch aufgeladener Propaganda:
„In Russland versuchen die Behörden, ihren Kampf mit dem Coronavirus als eine Art Beispiel für den Rest der Welt zu präsentieren. Die Entwicklung des Impfstoffs wird als Erfüllung der Mission zur Rettung der Menschheit dargestellt. Inzwischen können wir einen Produktionsrückgang beobachten, der mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit (sowohl offiziell als auch real) einhergeht, während die lokale Sterblichkeitsrate in diesem Jahr im Vergleich zu 2019 bereits einen Anstieg von 100.000 Todesfällen aufweist, was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass die Behörden offensichtlich nicht mit der Situation fertig werden.“
Auch in der Russischen Föderation offenbart sich der Klassenkonflikt auf der sanitären Ebene, das russische Gesundheitswesen, dessen beste Voraussetzungen aus sowjetischer Zeit mehr und mehr zurückgebildet und zerschlagen wurden, gibt die höhere Sterblichkeits- und Ansteckungsrate der arbeitenden und nicht besitzenden Bevölkerung preis. Durch die Konterreformen, die v.a. unter dem Schlagwort der „Optimierung“ durchgesetzt wurden, verlagerte man Kosten für Behandlung und Genesung in den privaten Bereich der Erkrankten:
„Das Coronavirus hat erwartungsgemäß den Zusammenbruch des russischen Gesundheitswesens verursacht, der von den Kommunisten schon vor langer Zeit vorhergesagt wurde und der jetzt für die Mehrheit unserer Bürger offensichtlich ist, besonders für diejenigen, die sich mit dem Coronavirus angesteckt haben. Jetzt können wir in Russland das erwartete und wahre Ergebnis der so genannten ‚Reformen‘ des öffentlichen Gesundheitswesens beobachten. Es hat sich herausgestellt, dass rechtzeitige professionelle und komplexe medizinische Hilfe (z.B. PCR-Tests, Lungen-CT), insbesondere unter den Bedingungen der Hospitalisierung, nicht für jeden gewährleistet werden kann, während die dünne Schicht der Beamten mit ihrem garantierten Zugang zum System sowie die Vertreter der besitzenden Klassen, die in der Lage sind, persönliche Ärzte und VIP-Abteilungen zu kaufen, solche Probleme nicht haben. Millionen von normalen Menschen, auch die, die in großen Städten leben, sind dazu verdammt, viele Tage auf einen Arzt oder sogar einen Sanitäter zu warten. Millionen von Menschen müssen ihre Krankheiten, einschließlich viraler Lungenentzündung, selber zuhause behandeln. Wenn sie nach einem Krankenhausaufenthalt fragen, bekommen sie die übliche Antwort: ‚Wenn es Ihnen wirklich schlecht geht, rufen Sie einfach den Krankenwagen!‘ Aus offensichtlichen Gründen kann eine solche Selbstbehandlung zu späteren Komplikationen oder sogar zum vorzeitigen Tod führen“, so der Vorsitzende der RKAP-RPK.
Um zu verhehlen, dass die gesamte Reform des öffentlichen Gesundheitswesens, die die Zerstörung des sowjetischen Systems bedeutete, sich als totaler Fehlschlag erwiesen hat, wird in der staatlichen Propaganda gern der falsche Eindruck erweckt, alles sei unter Kontrolle und die Bevölkerung habe nichts zu befürchten. Unabdingbare Bestandteile dieser sogenannten „Optimierungen“ waren u.a. die Verkleinerung bzw. Reduzierung der Krankenhäuser und des Personals, die stärkere Einführung kostenpflichtiger Medizin und die Förderung privater Kliniken, die sowohl Spezialisten aus dem öffentlichen Gesundheitssektor als auch Geld aus den Taschen der Arbeiterinnen und Arbeiter gesogen haben. Das moderne russische Gesundheitswesen sei, so Tjulkin, „im Wesentlichen ein Mechanismus, der kolossale Mittel aus dem Staatshaushalt und aus den Ersparnissen der Bürger pumpt, um die Taschen der sogenannten ‚Medizinmafia‘ zu füllen, die sowohl die medizinischen Einrichtungen als auch die Finanzströme in dieser Branche kontrolliert.“
Pandemie als Vergrößerungsglas der kapitalistischen Krise
Die Zahlen geben Tjulkin und der RKAP-RPK recht. Aus einer Studie des Center for Strategic Research (CSR) vom März 2020 (also vor etwas mehr als einem Jahr, als die Pandemie auch in Österreich von den Herrschenden als dringendes Problem registriert wurde) geht recht klar hervor, dass weder Politik noch Wirtschaft des Landes in der Krise für Stabilität sorgen konnten. Zu der Zeit wurde die arbeitende Bevölkerung der Russischen Föderation neben der Ausbreitung von Covid-19 auch noch mit einem tiefen Fall von fast 30 Prozent des Rubels konfrontiert, der über das ganze Jahr hindurch die Kosten lebensnotwendiger Güter ansteigen ließ. Die Umfrage des CSR wurde unter Top-Managern von 500 Unternehmen durchgeführt, von Kleinunternehmen bis hin zum Großkapital. 26 Prozent der Unternehmen mussten einen Umsatzrückgang hinnehmen, 44 Prozent erwarteten ihn in der nahen Zukunft. 56 Prozent der Unternehmen befürchteten, dass sie ihre vertraglichen Verpflichtungen aufgrund der Pandemie nicht erfüllen könnten. 63 Prozent gaben schließlich an, dass sie vom Konkurs bedroht seien. 88 Prozent der Unternehmen wollten Steuervorteile vom Staat erhalten.
Was das Schicksal der Arbeiterinnen und Arbeiter dieser Unternehmen betrifft, waren die Ergebnisse der Studie sehr eindeutig: 29 Prozent der Unternehmen hatten zu jener Zeit bereits eine vollständige „Optimierung“ ihrer Ausgaben auf Kosten der Angestellten und deren Löhne durchgeführt. 40 Prozent der Unternehmen planten hingegen, in naher Zukunft eine solche „Optimierung“ vorzunehmen. Die Hälfte der Unternehmen entwarf Pläne, einen Teil ihrer Mitarbeiter zu entlassen und 20 Prozent der Unternehmen bereitete eine Senkung der Löhne vor. Die „Optimierung“ fasste also die Umsetzung einiger oder aller der genannten Maßnahmen zusammen: Stellenkürzungen, effektive Lohnkürzung (durch Kürzung von Boni, Zulagen etc.), Verlagerung von Angestellten ins Home-Office bei gleichzeitiger Reduzierung der Löhne sowie die Umstellung auf befristete Verträge mit niedrigeren Löhnen.
Das Virus existiert und wird politisch ausgeschlachtet
Da es in der Russischen Föderation auch genügend rechte und rechtsradikale Kräfte gibt, die jegliche Kritik der Regierung und Zweifel an ihren Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie mithilfe von Bewegungen, die den hiesigen Querdenkern und Coronaleugnern sehr ähnlich sind, für ihre Interessen vereinnahmen, betont die RKAP-RPK, dass das Virus existiert und dass es als Faktor in die politische Arbeit und in die politischen Forderungen miteinbezogen werden muss. Gleichzeitig müsse auf die untragbaren Zustände des Gesundheitswesens aufmerksam gemacht werden und auf die Sektoren, die vom Elend der Massen profitieren – Tjulkin verweist in der Bekämpfung von Covid-19 und von Pandemien im Allgemeinen auf die Erfahrungen der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder:
„War diese Epidemie unerwartet? Nein, das war sie nicht. Epidemiologen wissen sehr wohl, dass Epidemien unterschiedlichen Ausmaßes regelmäßig auftreten, während Pandemien etwa alle zehn Jahre vorkommen. Deshalb können wir behaupten, dass die aktuelle Pandemie vom Imperialismus benutzt wurde, um die nächste Wirtschaftskrise und all seine Abscheulichkeiten zu rechtfertigen. […] Außerdem wird die Epidemie als Vorwand benutzt, um diejenigen vor der Verantwortung zu bewahren, die jene „Optimierung“ organisiert haben, die dazu geführt hat, dass das russische Gesundheitswesen am Rande der Katastrophe steht, während man offensichtlich nicht auf diese Katastrophe vorbereitet war. Das Virus existiert, diese Krankheit ist gefährlich, und sie betrifft und tötet viele Menschen. Dennoch gab es in der Vergangenheit ähnliche Situationen. Das sowjetische Gesundheitswesen war auf solche Epidemien bestens vorbereitet und kämpfte erfolgreich für die Gesundheit aller Bürger, nicht nur der Auserwählten und Wohlhabenden. Die Stabilität der kubanischen Medizin können wir heute noch beobachten. In der Volksrepublik Korea ist die Zahl der Infektionsopfer verschwindend gering. Selbst China, das noch nicht vollständig ‚kapitalisiert‘ ist, hat es geschafft, die Infektion schnell zu lokalisieren und erfolgreich einzudämmen.“
Kampf unter schwierigen Bedingungen
Stattdessen wird die Pandemie, ähnlich wie in Österreich, von der Regierung als willkommener Anlass genutzt, um Sozialabbau zu betreiben und jegliche kritische Regung und klassenkämpferische Organisierung mit dem Vorwand der Pandemiebekämpfung im Keim zu ersticken:
„In der Zwischenzeit nutzen die russischen Behörden die Bedrohung der Pandemie als Vorwand, um verschiedene Hindernisse für gesellschaftspolitische Aktivitäten einzuführen, vor allem für Protestaktionen. Versammlungen, Kundgebungen, Streikposten und Demonstrationen werden verboten. Dennoch fühlen sich die Behörden unter den aktuellen Umständen frei, eigene Veranstaltungen für ihre politischen und propagandistischen Zwecke durchzuführen. […] Nichtsdestotrotz hielten die Epidemien die russischen Autoritäten nicht davon ab, am 24. Juni 2020 eine pompöse Parade abzuhalten, der eine ‚Volksbefragung‘ über Verfassungsänderungen folgte (25.6–1.7.2020). Wir glauben, dass das Hauptziel dieser Abstimmung darin bestand, Putin die Möglichkeit zu geben, zum fünften Mal für die Präsidentschaft zu kandidieren und sogar noch öfter, nämlich so oft er will (während die alte Verfassungsnorm nur zwei Antritte vorsah). Wir sollten erwähnen, dass die KPRF [Kommunistische Partei der Russischen Föderation] im Parlament für diesen Prozess gestimmt hat – den Prozess der Verbesserung der Verfassung in eine Richtung der Stärkung der Diktatur der Bourgeoisie. Diese Epidemien hinderten die Behörden nicht daran, am 13. September Regionalwahlen durchzuführen, obwohl damals schon klar war, dass die zweite Welle der Epidemie kommen würde.“
Die RKAP-RPK ist der Meinung, dass eine dermaßen volksfeindliche Politik nicht länger hingenommen werden kann, und fordert die sofortige Verstaatlichung des Gesundheitswesens und der Pharmakonzerne. Sie fordert außerdem, dass alle Sonderprivilegien für Staatsbeamte und Abgeordnete verboten werden sollen, da das Gesundheitswesen keine Dienstleistung, sondern ein unverzichtbares Recht des Volkes darstellt, und nicht, wie es bislang gehandhabt wurde, als Mittel zur Bereicherung von Neureichen und Oligarchen genutzt werden darf. Tjulkin sagt klar, dass die Verantwortlichen für den Zusammenbruch des Gesundheitswesens zur Rechenschaft gezogen werden müssen: „Wir rufen die Menschen dazu auf, das verbrecherische Regime, das das russische Gesundheitswesen ausgeblutet hat, zur Rechenschaft zu ziehen. Sowohl die Regierung als auch der Präsident, die für die kriminelle Politik der Einführung des Kapitalismus verantwortlich sind, sollten zurücktreten und vor Gericht gestellt werden.“
Quelle: Tjul’kin, V. A. (2020): Kompas marksizma ne vret! In: Informacionnyj bjulleten‘- Dokumenty kommunističeskich i rabočich partij (Special’nyj vypusk) – hier in englischer Übersetzung; resistenze.org
Quelle: Zeitung der Arbeit – Corona und Krise: Was sagt die Russische Kommunistische Arbeiterpartei dazu?