Die Covid-19-Pandemie in Vietnam
Am 28. April 2003 erklärte die World Health Organization (WHO), dass die Ausbreitung des SARS-Virus in Vietnam beendet sei. Vietnam war somit das erste Land, das die SARS-Epidemie in Griff bekommen hatte. Heute, in Zeiten der viel drastischeren Covid-19-Pandemie, ist Vietnam wieder eines jener Länder, die imstande sind, sowohl das Infektionsgeschehen als auch die Todeszahlen vergleichsweise sehr gering zu halten.
Pandemieverlauf
Ende Jänner 2020 wurden bei Rückkehrenden aus dem chinesischen Wuhan erstmals Infektionen mit dem Covid-19-Virus diagnostiziert. Nachdem die ersten Übertragungen im Inland festgestellt wurden, reagierte die vietnamesische Regierung und stufte die Situation als Epidemie ein. Die Gesundheitsbehörden konnten daraufhin die noch recht wenigen Fälle erfolgreich isolieren. In Kombination mit strengen Quarantänemaßnahmen war die Zahl der neuen Ansteckungen pro Tag sehr bald wieder auf null. Viele Maßnahmen wurden gelockert und es kehrte Normalität ein, bis Ende Juli die Zahlen wieder stiegen. Es kam zu einer zweiten Infektionswelle, die stärker war als die erste. Wobei das natürlich in Verhältnis gesetzt werden muss: Während man sich hierzulande an zumindest über 3.000 tägliche Neuinfektionen schon fast gewöhnen muss, erreichte diese Zahl bei knapp über 100 schon ihren Peak. 35 Menschen sind im Vietnam an Covid-19 gestorben, in Österreich hat man die Schwelle von 10.000 Todesfällen überschritten. Diese Zahlen deuten natürlich auch schon an, dass die erwähnte zweite Welle sehr schnell wieder abebbte und die Situation bis Jänner 2021 ruhig verlief. Ende Jänner kam es auch im Vietnam abermals zu einem Anstieg der Neuinfektionen, der binnen einiger Wochen wieder korrigiert wurde. Aktuell vermelden die vietnamesischen Behörden konstant unter zehn Neuinfektionen pro Tag. Das sind Zahlen, die in Österreich und den meisten anderen westlichen Staaten, die in der industrielle Entwicklung Vietnam nebenbei erwähnt weit voraus sind, beinahe unmöglich erscheinen. Da stellt sich natürlich die Frage, wie das in Vietnam möglich ist. Die Antworten unserer Regierung und der bürgerlichen Presse sind da sehr einfach: Der totalitäre vietnamesische Staatsapparat unterdrückt seine Bevölkerung, sperrt sie ein und lügt nebenbei noch bei den Zahlen, um international gut dazustehen.
Ursachen für das erfolgreiche Krisenmanagement
Die Realität sieht tatsächlich etwas anders aus. Beim Ausbruch des Virus in Vietnam im Jänner 2020 reagierten die Gesundheitsbehörden und der Staat sehr schnell. Der Fokus lag dabei auf der Isolierung von infektiösen Personen. Das wurde erreicht sowohl durch intensiv betriebenes Contact-Tracing als auch, insofern eine Infektion nachgewiesen wurde, durch strikte Quarantänevorgaben. Auch über Einreisende aus dem Ausland wurde eine konsequente 14-tägige Quarantäne verhängt. Außerdem ist Vietnam, Stand 15. März 2021, mit durchschnittlich 1.000 Tests pro positivem Ergebnis neben Neuseeland der Staat mit den meisten Tests in Relation zu den tatsächlichen Infektionen. Die absolute Anzahl an Testungen pro Tag wiederum ist relativ gering im Vergleich zu beispielsweise Österreich. Das liegt vor allem an einem mangelnden Zugang zu ausreichend Tests, unter dem viele Länder außerhalb des imperialistischen Westens zu leiden haben. In den Zeiträumen, wo genaue Daten über die Häufigkeit der Tests in Vietnam verfügbar sind, wurden durchschnittlich konstant über 0,05 und unter 0,25 Tests pro tausend Einwohnern täglich durchgeführt. Damit lag Vietnam immer im Bereich seiner südostasiatischen Nachbarn, beispielsweise vor Thailand und Indonesien und hinter Malaysia und den Philippinen. Außerdem ist die absolute Zahl an Covid-19-Tests definitiv hoch genug, um die Aussagekraft des Anteils an positiven Ergebnissen zu gewährleisten. Das bestätigt auch die US-Behörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC), die übrigens auch keinen Grund zur Annahme sieht, dass es in Vietnam nicht veröffentlichte positive Ergebnisse gibt.
Eine Ansteckung wird in Vietnam also sowohl sehr früh erkannt als auch sehr konsequent nachverfolgt. Und dieser durchaus relevante Aspekt der scheinbar erfolgreichen Strategie Vietnams kommt ganz ohne Repression und Unterdrückung aus, wie es Vietnam von der bürgerlichen Presse oft vorgeworfen wird.
Ein zweiter wichtiger Grund für die vergleichsweise entspannte Situation im sozialistischen Vietnam ist die Tatsache, dass beim staatlichen Gesundheitssystem in der Vergangenheit eben nicht gespart wurde, beispielsweise keine Bettenkapazitäten gestrichen wurden, ganz im Gegensatz zu beispielsweise Österreich. Zwischen 2000 und 2016 nahmen die staatlichen Ausgaben für das Gesundheitssystem jährlich um durchschnittlich zirka neun Prozent zu. Unmittelbar nach dem Ausbruch der Pandemie wurden medizinisches Personal mobilisiert und Kapazitäten geschaffen, um so gut wie möglich vorbereitet zu sein. In der Stadt Da Nang beispielsweise wurde ein Sportstadion zu einer Art Feldkrankenhaus umfunktioniert, das tausend Betten umfasst.
Zwar gab es auch in Vietnam Fälle, in denen einzelne Krankenhäuser aufgrund von einem sehr hohen Anteil an Covid-19-Patienten die Aufnahme von neuen Patienten limitieren mussten, die dann auf andere Krankenhäuser verteilt wurden, landesweit war und ist man vom Erreichen der Kapazitätsgrenzen jedoch recht weit entfernt. Dementsprechend sind in Vietnam bisher auch nur 35 Menschen an einer Covid-19-Erkrankung verstorben.
Als Nächstes sollen kurz die Restriktionen des öffentlichen Lebens und die Schließungsmaßnahmen thematisiert werden, die in Vietnam getroffen wurden, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen. Auch hier wurden die jeweiligen Maßnahmen schon sehr früh getroffen, was bei allen drei Wellen zu einer recht schnellen Einschränkung des Infektionsgeschehen führte, wodurch dann wiederum eine zumindest teilweise Lockerung jener Maßnahmen recht bald möglich war. Das gilt sowohl für Schulschließungen, Lockdowns für Handel und Gastronomie oder das Verbot von In- und Auslandsflügen. Über lange Phasen der Pandemie war die Situation insofern auch vergleichsweise normal: Von geöffneten Stränden an der Küste bis hin zu Karaoke-Partys in der Hauptstadt Hanoi. Ein besonders schönes Beispiel für diese zeitweisen Phasen der Normalität war die Aufführung des Balletts „Der Nussknacker“ in der Oper von Hanoi im Dezember 2020. Solche öffentlichen Veranstaltungen waren und sind in Vietnam natürlich nur möglich, da nach einem Anstieg der Infektionen sofort Maßnahmen gesetzt und aufrechterhalten werden, bis die Zahl der Ansteckungen pro Tag wieder bei null liegt.
Außerdem wurden schon sehr bald lokal begrenzte Maßnahmen gesetzt in Regionen, wo diese notwendig waren. So beispielsweise in der Stadt Da Nang, die im Laufe der zweiten Welle im Sommer zu einer Art Infektionsherd heranwuchs.
Zuletzt sei noch angemerkt, dass der vietnamesische Staat großen Wert darauf legt, die gesamte Bevölkerung über Covid-19 aufzuklären und die Menschen so in den Kampf gegen das Virus einzubeziehen. Mit Werbespots (oder auch einem international bekannt gewordenem Musikvideo) über das Virus und die Möglichkeiten, es durch Händewaschen, Maskentragen und Abstandhalten im Privaten zu bekämpfen, wurden große Teile der Bevölkerung erreicht. Viele dieser öffentlichen Aufklärungsmaßnahmen der Kommunistischen Partei Vietnams, die ja auf eine revolutionäre und militärisch-kämpferische Vergangenheit zurückblickt, standen unter dem Slogan: „Der Kampf gegen Corona ist wie der Kampf gegen den Feind“.
Und diese Strategie macht sich auch bezahlt: In einer internationalen Umfrage in 45 Staaten und mit insgesamt 32.631 TeilnehmerInnen über die Zufriedenheit mit der Reaktion der eigenen Regierung auf die Pandemie im März 2020 erreichte Vietnam den ersten Platz. 62 Prozent der befragten VietnamesInnen gaben an, ihre Regierung würde genug tun, um das Virus zu bekämpfen. 25 Prozent waren der Meinung, die Regierung mache zu viel, nur 13 Prozent glaubten, die Maßnahmen seien nicht weitreichend genug. Im Vergleich dazu: Der globale Anteil der Befragten, die die Maßnahmen ihrer Regierung als nicht ausreichend bezeichneten, lag in dieser Studie bei 40 Prozent.
Internationale Solidarität
Die Republik Vietnam leistet auch internationale Arbeit, um das Virus nicht nur im Inland, sondern weltweit zu bekämpfen oder zumindest andere Länder im Umgang mit der Pandemie zu unterstützen. So schenkte Vietnam im Sinne des sozialistischen Internationalismus der Republik Kuba im Juli 2020 ein Paket, das Medizin, Schutzanzüge, Testkits und insgesamt 200.000 Schutzmasken beinhaltete. Kuba wiederum schickte ebenfalls Medikamente und entsandte Doktoren sowie einen Expertenstab nach Vietnam.
An insgesamt mehr als 50 Staaten, unter anderem auch die USA sowie einige Länder in Europa, exportiert Vietnam Masken, Schutzausrüstung und Testkits. 2020 sandte man insgesamt zirka 1,37 Milliarden medizinische Masken ins Ausland.
Die Erfahrungen im Kampf mit dem Virus werden außerdem mit der Welt und insbesondere den Mitgliedstaaten der ASEAN geteilt, einer hauptsächlich ökonomischen Union zehn südostasiatischer Staaten. Vietnam hatte hier eine führende Rolle in der Organisation von Sondergipfeln und Meetings betreffend den Umgang mit dem Coronavirus in Südostasien.
Die ökonomische Entwicklung Vietnams in Anbetracht der Covid-19-Krise
Weltweit hat die Covid-19-Pandemie die sich bereits zuvor abzeichnende kapitalistische Wirtschaftskrise beschleunigt. Dabei haben unterschiedliche Staaten mit sehr unterschiedlichen Auswirkungen und Problemen der Krise zu kämpfen, abhängig natürlich vor allem von der jeweiligen ökonomischen Ausgangssituation, der eingenommenen Rolle des entsprechenden Staates in der Weltwirtschaft und dem Welthandel sowie dem Krisenmanagement des Staates.
Vietnams BIP pro Kopf hat sich seit 2000 fast versiebenfacht, die Arbeitslosenquote ist mit Schwankungen langfristig ebenfalls gesunken. Der Anteil der Menschen, die per Definition der Weltbank (Einkommen von unter 3,2 kaufkraftbereinigten US-Dollar/Tag) in Armut leben, hat sich stark reduziert auf 6,7 Prozent 2018, im Vergleich dazu waren es 2010 noch 20,7 Prozent. Diese starken Aufwärtstrends von fast allen relevanten ökonomischen Kennzahlen (und Abwärtstrends in Armuts- und Arbeitslosenstatistiken) in den letzten Jahrzehnten sind bei allen sogenannten „emerging economies“ vor allem in Südostasien zu beobachten. Der Grund hierfür ist vor allem die Tatsache, dass die Direktinvestitionen aus imperialistischen Staaten, wie den USA oder Ländern der EU, nach Südostasien sehr stark zugenommen haben, was ökonomische Kennzahlen wie das Bruttoinlandsprodukt dieser Länder wachsen lässt, wenngleich dies im Falle Vietnams eine nicht ganz unproblematische teilweise Marktöffnung zulasten sozialistischer Grundlagen impliziert. Die vietnamesische Wirtschaft ist ähnlich wie die chinesische sehr stark exportorientiert mit einem Fokus auf Mobiltelefonbauteile, die 21 Prozent der Exporte Vietnams ausmachen. Der größte Empfänger vietnamesischer Waren sind noch vor China die USA, die 19 Prozent aller vietnamesischen Exporte erreichen.
Diese starken Aufwärtstendenzen, in Kombination mit dem vergleichsweise sehr guten Krisenmanagement des vietnamesischen Staates, haben auch in der Covid-19-Pandemie dem globalen Abwärtstrend entgegengewirkt. So verzeichnete Vietnam auch 2020 ein Wirtschaftswachstum von 2,9 Prozent und damit das größte in Asien. Für viele vietnamesische ArbeiterInnen bedeutete die Coronakrise jedoch trotzdem Lohnverlust oder Arbeitslosigkeit. Im ersten Quartal 2021 beispielsweise ist die Erwerbsquote im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr um 1,1 Prozent gesunken. Ebenso ist das durchschnittliche Monatseinkommen um 2,3 Prozent gesunken. Am stärksten betroffen von der Krise ist wie auch in Österreich der Dienstleistungssektor, vorrangig die Gastronomie und vor allem der Tourismus als wichtige Einnahmequelle Vietnams. Im Dienstleistungssektor waren 20,4 Prozent der ArbeiterInnen von Jobverlust oder Lohnrückgang betroffen. Im Vergleich zum letzten Quartal 2020 ist die Arbeitslosenquote jedoch bereits um 0,21 Prozentpunkte zurückgegangen, es zeichnet sich also schon wieder ein einsetzender Abwärtstrend bei der Arbeitslosigkeit ab.
Aufgrund des sehr starken Anstieges des BIP vor der Pandemie sowie des guten Krisenmanagements der kommunistischen Regierung konnte ein negatives Wirtschaftswachstum 2020 also vermieden werden. Es zeigt sich, dass trotz der zwangsläufig engen Anbindung Vietnams an die kapitalistische Weltwirtschaft der Sozialismus krisenresistenter ist als der Kapitalismus.
Quellen:
https://ourworldindata.org/coronavirus/country/vietnam?country=VNM~IDN~MYS
https://e.vnexpress.net/news/news/vietnam-aids-cuba-s-covid-19-fight-4131558.html
https://www.derstandard.at/story/2000117092791/null-tote-und-zwei-corona-faelle-in-elf-tagen-vietnam
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020–08/coronavirus-vietnam-zweite-welle-lockdown/seite‑2
Information Bulletin – documents of communist and workers‘ parties 2020: The activity of the Communist and Workers’ Parties under the conditions of the pandemic and the capitalist crisis, for safeguarding the health and the rights of the popular strata, in the struggle to change society, for socialism
Quelle: Zeitung der Arbeit – Die Covid-19-Pandemie in Vietnam