24. November 2024

Neuauflage der Rücksichtslosigkeit

Ansprache von KPÖ-Bundessprecher Mirko Messner bei der Kundgebung der KPÖ bei der 2001 von KZ-Verband OÖ und KPÖ-Oberösterreich errichteten Gedenktafel für die kurz vor Kriegsende ermordeten 42 Widerstandskämpfer der „Welser Gruppe“ an der Klagemauer des KZ Mauthausen im Rahmen der Befreiungsfeier am 16. Mai 2021.

Besucht man Gedenkstätten wie diese in Mauthausen, verstummt man recht schnell, angesichts der Grausamkeit, die von den Nazis hier in architektonische und industriell-funktionelle Ordnung gebracht wurde. Mit dem Zweck, Menschen zu entwürdigen, sklavisch arbeiten zu lassen, sie körperlich zu vernichten und zu ermorden. Und will man heute das hier Gesehene mitteilen, anderen darüber berichten, scheitert man oft. Weil es unfassbar scheint. Doch es ist nicht unfassbar. Die Generation der Zeitzeugen und Zeitzeuginnen geht ihrem Ende entgegen, ist nicht mehr da. Aber ihre Literatur ist da.

»Ist das ein Mensch«, fragte sich der italienische Autor Primo Levi, als er, als Jude nach Auschwitz verbracht, dieses überlebte und seine Erinnerungen niederschrieb. Das Buch ist schwer zu lesen. Weil es wie viele andere fassbar macht, was dort und hier sowie in den anderen tausend Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie tausenden anderen Mordstätten der Nazis vor sich ging. Fassbar ja, aber nur schwer nachfühlbar. Weder meine Generation noch die nachgekommenen Generationen teilen diese Erinnerung körperlich. Weder das Irrewerden vor Hunger noch die körperlichen Qualen und die seelischen der Entmenschlichung.

Diese Bücher, diese Berichte sollen Pflichtlektüre werden an den Schulen und Universitäten. Diese Bücher, diese Berichte können helfen gegen das großflächige Verwischen. Verwischen der Spuren des Nazifaschismus. Verwischen der gesellschaftlichen und kulturellen Genese des Faschismus, seines Klassencharakters und seines Rassismus, des Gleichsetzens von Opfern und Tätern, bis hin zum selektiven Vergessen und Diffamieren des Beitrags der sowjetischen Menschen zur Befreiung vom Nazifaschismus, zum Vergessen und Diffamieren des europäischen antifaschistischen Widerstands.

Das Verwischen kann blind machen für die Gefährlichkeit des Rassismus, des Rechtsextremismus und der Frauenfeindlichkeit heute. Es ist keine harmlose Nazi-Folklore, die sich europaweit breitmacht und in die bürgerlichen Parlamente sickert. Es ist eine Neuauflage, entsprungen der Ökonomie und Politik der Rücksichtslosigkeit gegen Mensch und Natur, dem upgedateten herrenmenschlichen Weltbild.

Das Gedenken an die wehrlosen und an die wehrhaften Opfer der Nazis in den Konzentration­slagern kann gegen das Verwischen helfen. Wir verneigen uns vor ihnen. Und wir sind jenen dankbar, die unter widrigsten, wahnsinnigen Umständen auch in den Konzentration­slagern Widerstand geleistet haben. Wir beten nicht ihre Asche an. Wir wärmen uns an ihrem inneren Feuer, das von dem der Krematorien nicht vernichtet werden konnte.

Es gilt das gesprochene Wort

 

Quelle: KPÖ – Neuauflage der Rücksichtslosigkeit

Österreich