Gegen die Null und das TEG
Nach sechsjähriger Streikpause zieht die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) erneut in den Kampf. Damit eskaliert der laufende Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn AG, die begonnen hat, das Tarifeinheitsgesetz (TEG) in 71 betroffenen Betrieben umzusetzen. Die GDL hat die Verhandlungen in der vierten Runde abgebrochen und Warnstreiks angekündigt. Für die zahlenmäßig weitaus größere, alle Berufsgruppen erfassende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sind die Tarifverhandlungen beendet. Eine Übernahme der Ergebnisse, die auch innerhalb der EVG nicht unumstritten sind, kam für die GDL nicht infrage – wegen der Lohn-Nullrunde 2021 und eines insgesamt niedrigen Angebotes.
Bahnpolitik ist Bundespolitik und diese hat mit dem Top-Management seit rund zwei Jahrzehnten den Konzern in seine schwerste Krise gesteuert. Zudem besteht die GDL auf eigener tarifpolitischer Vertretung ihrer Mitglieder. Aber ihre Tarifverträge wird es nur noch in den Wahlbetrieben der Deutschen Bahn AG geben, in denen sie die mitgliederstärkste Gewerkschaft ist. Um dies zu verhindern, müssten sich EVG, GDL und Bahn auf eine andere Regelung einigen. Die GDL kämpft also nicht nur für mehr Lohn, sondern auch gegen die Folgen des Tarifeinheitsgesetzes und den drohenden eigenen Bedeutungsverlust. Sie muss weitere Mitglieder aus allen Bereichen der Bahn gewinnen.
„Wir öffnen uns …“ hieß es denn auch nach der gescheiterten Tarifschlichtung. „Wir werden als GDL die vereinte Kraft der Eisenbahner in diesem Lande abbilden.“ Das ist allerdings sehr schwierig, wenn man dem alten Dünkel „unserer stolzen Berufe“, wie es GDL-Chef Claus Weselsky formulierte, verhaftet bleibt. Die übergreifende Solidarität, die aufgrund der gemeinsamen Unterwerfung der Beschäftigten unter die Direktion des Kapitals nötig wäre, lässt die GDL jedenfalls vermissen – nach innen wie nach außen.
Etwa 95 Prozent der Lokführer aus der DDR schlossen sich 1990 der GDL Ost an, die sich 1991 mit der GDL West vereinigte. So wurde die GDL streikfähig. Das ermöglichte 2007 den großen Streik. In drei großen Tarifkämpfen erkämpfte die Gewerkschaft einen eigenständigen Tarifvertrag für das gesamte Zugpersonal – sie organisiert nur die Lokführer mehrheitlich, die Zugbegleiter nicht –, auf ihren Wunsch wurde ein Grundlagentarifvertrag mit dem „Arbeitgeber“-Verband abgeschlossen. Später hieß es dann: Die GDL sei von nun an „in Sozial- und Tarifpartnerschaft mit den Arbeitgebern gemeinsam unterwegs“. Sie sei „in keiner Form im Arbeitskampfmodus“. Stattdessen wolle die Organisation in nächster Zeit vor allem auf eine Stärkung der Eisenbahninfrastruktur drängen.
Ihre Überlegungen zur Reform der Eisenbahninfrastruktur widersprechen allerdings der mehrheitlichen Auffassung der Eisenbahner vom integrierten Konzern. So strebt die GDL eine Überführung der DB-Infrastrukturtöchter in eine von Gewinnorientierung befreite Gesellschaft an. Die DB-Transportunternehmen und andere Bahnen sollen hingegen „weiter Gewinne erwirtschaften“.
Was treibt die Deutsche Bahn AG, wenn sie sich aktuell jeder Tarifforderung der GDL verweigert, aber diese Gewerkschaft Tarifverträge mit anderen Eisenbahn- beziehungsweise Transportunternehmen abschließen kann? Der ehemalige Bahnchef Rüdiger Grube brachte es 2014 auf den Punkt: Die Bahn wolle unter keinen Umständen Konkurrenzgewerkschaften im Konzern, die sich womöglich gegenseitig aufschaukeln. Grube rief die Regierung zu Hilfe: „Wir sind auf Tarifeinheit im Unternehmen angewiesen und auf Partner, die bereit zur Kooperation sind. Wenn sie nicht bereit sind, dann muss das gesetzlich geregelt werden.“
Die Bahn will das TEG, es schränkt das Streikrecht ein und spaltet die Belegschaft zusätzlich. Selbst wenn man vor dem Hintergrund der überaus dramatischen wirtschaftlichen Situation der Deutschen Bahn AG mit Blick auf die GDL die Warnung von Marx vor dem „unsachgemäßen Gebrauch“ gewerkschaftlicher Macht wiederholt, bleibt doch die Tatsache, dass das TEG gegen Gewerkschaften gerichtet ist, „die sich nicht stromlinienförmig“ (Wolfgang Däubler) verhalten. Unter anderem heißt das im konkreten Fall, die nicht bereit sind, das Eisenbahndefizit durch Reallohneinbußen der Eisenbahner zu kurieren. Das aber ist der Vorschlag der Bahn.
Welcher Kompromiss ist zulässig? Was ist im Interesse der Beschäftigten? Wie man es auch dreht und wendet, solange die Illusion genährt wird, dass die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktion, den durchschnittlichen Lohnstandard zu senken, umgangen werden kann („Sozialpartnerschaft“) und der Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems genügt, ist der lachende Dritte immer das Kapital. Der Klassenkampf erzeugt die Gewerkschaften – und mag es noch so vermittelt sein, auch die GDL, die damit nicht viel zu tun haben will. Das Heranführen an den politischen Kampf ist Sache der Kommunisten. Auch das ist eine Art Sisyphusarbeit.
Quelle: UZ – Unsere Zeit – Gegen die Null und das TEG