Aus der Geschichte lernen: Abrüsten statt Aufrüsten
Rede von Lühr Henken, Bundesausschuss Friedensratschlag, am Weltfriedenstag vor der Botschaft der Russischen Föderation auf der Kundgebung der Friedenskoordination Berlin:
Liebe Kriegsgegnerinnen, liebe Friedensfreunde,
Obwohl wir hier vor der Botschaft Russlands stehen, will ich doch vorweg etwas zum NATO-Krieg in Afghanistan und dem Abzug von Bundeswehr und NATO sagen. Wir halten fest: der größte Militärpakt der Welt hat den Krieg am Hindukusch verloren und musste unter chaotischen Bedingungen aus Afghanistan abziehen. Den NATO-Staaten ist es binnen zwei Jahrzehnten nicht gelungen, dort ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen, das im westlichen Interesse agiert. Die Politik des Militärinterventionismus ist ebenso gescheitert wie die des Regime Change durch Krieg. Die Kriegsschäden sind gewaltig: Dieser Krieg hat Hunderttausende Tote gefordert, über sechs Millionen Menschen mussten ins Ausland fliehen, vor allem nach Pakistan und in den Iran. Am Krieg haben sich die Rüstungskonzerne der NATO-Länder goldene Nasen verdient. Der zivile Aufbau ist schwach: Die Analphabetenrate in Afghanistan liegt bei zwei Drittel, derzeit sind fast die Hälfte der 40 Millionen Einwohner von humanitärer Hilfe abhängig und das Welternährungsprogramm schlägt Alarm: das Leben von einem Drittel der Bevölkerung ist von „großem Hunger“ bedroht.
Wer angesichts dieser furchtbaren Bilanz weiter an der Politik des Militärinterventionismus und der Auslandseinsätze der Bundeswehr festhält, gehört abgewählt. Ausländisches Militär führt nicht zum Frieden, sondern fördert den Krieg. Es muss Schluss sein mit Auslandseinsätzen und Kriegsvorbereitungen. Abziehen soll die Bundeswehr jetzt zuallererst aus Mali, denn auch dort fruchtet die militärische Ausbildung durch die Bundeswehr ebenso wenig wie in Afghanistan. Der Krieg dort wird heftiger und erfasst immer mehr Staaten in der Region. Holt die Bundeswehr zurück!
Von Verheerungen durch die NATO lassen sich allerdings Politiker hierzulande in ihrem Aufrüstungswahn nicht beirren. Ein paar Beispiele aus den letzten Tagen: Markus Söder fordert als Ergebnis der Afghanistan-Niederlage: Für die Bundeswehr soll zwei Prozent der Wirtschaftsleistung aufgewendet werden und bewaffnete Drohnen sollen her. Er wolle nur einer neuen Regierung zustimmen, die dies auch wolle. Armin Laschet will, dass die EU die militärische Fähigkeit entwickelt, einen Flughafen wie Kabul militärisch zu sichern. Wolfgang Ischinger, der Leiter der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz, will all das auch, dazu aber auch noch die sogenannte Nukleare Teilhabe für Deutschland beibehalten. Der Außenbeauftragte der EU, Josip Borell, will eine 50.000-Mann-Einsatztruppe der EU, die schnell militärinterventionistisch eingreifen kann. Sie haben nichts dazu gelernt. Damit sind die wichtigsten Punkte angesprochen, weshalb wir hier vor der russischen Botschaft stehen. Denn Russland ist Ziel der Aufrüstungsmaßnahmen und Kriegsmanöver der NATO seit dem Rechts-Putsch in der Ukraine 2014, in dessen Folge die Krim zu Russland kam und Teile des Donbass nicht mehr von Kiew regiert werden können. Die NATO fordert Russland auf, die Krim an die Ukraine zurückzugeben und unterstützt die ukrainische Regierung darin, das Minsker Abkommen zur Lösung des Konflikts um den Donbass zu sabotieren. Jüngstes Beispiel dafür lieferte die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in Kiew vor zehn Tagen, als sie den ukrainischen Präsidenten Selenskij ausdrücklich darin unterstützte, Gespräche mit Repräsentanten der abtrünnigen Donbassrepubliken abzulehnen. Mit dieser Position ist das Minsker Abkommen, wie es in der Resolution des UN-Sicherheitsrats 2202 festgelegt ist, tot. Der UN-Sicherheitsrat hatte 2015 beschlossen, dass die Ukraine ihre Verfassung ändern müsse, um die lokale Selbstverwaltung der Sondergebiete Donezk und Lugansk zu regeln und darin ausdrücklich festgelegt, dass dies im Einvernehmen mit den Repräsentanten dieser Gebiete zu geschehen habe. Aber genau das passierte nicht. Das heißt, die Bundesregierung und Kiew sabotieren den Friedensprozess und setzen ihre Aufrüstungspolitik gegen Russland ungezügelt fort. Sie unterstellen Russland Angriffsabsichten auf die Ukraine und NATO-Gebiete vor allem im Baltikum.
Dabei ist Russland militärisch in der Defensive. Russland hat seinen Militärhaushalt seit 2015 um 13 Prozent gesenkt. Sie lagen im letzten Jahr bei umgerechnet 60,6 Milliarden Dollar, während sich die Ausgaben der NATO-Staaten gleichzeitig auf 1.107 Milliarden Dollar summierten. Das ist das 17-fache dessen, was Russland ausgibt. Und damit will Russland die NATO angreifen?
Das ist absurd. Es verteidigt sich gegen die NATO-Übermacht. Aber, die NATO-Übermacht soll noch wachsen, die Drohkulisse noch bedrohlicher werden. Deshalb das Aufrüstungsprogramm seit Wales 2014. Deshalb die Kriegsmanöver in Grenznähe zu Russland. Auch die Bundeswehr ist seitdem im Aufrüstungsmodus und wird in diesem Jahr – Corona hin Corona her -, den vorübergehenden Höchststand seiner Militärausgaben von 53 Milliarden Euro erreichen. Vorübergehend, denn für nächstes Jahr sollen sie um 7,2 Prozent auf 57 Milliarden Euro nach den Kriterien der NATO wachsen. Das wäre dann die achte Erhöhung in Folge. Das Ziel zwei Prozent ist damit noch nicht erreicht. Das will Kramp-Karrenbauer 2031 erreicht haben. Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts würden dann über 90 Milliarden Euro für die Bundeswehr bedeuten.
Was soll damit angeschafft werden? In der kommenden Legislaturperiode fällt die Entscheidung über den Ankauf von 45 Kampfflugzeugen in den USA. Sie sollen Deutschlands sogenannte Nukleare Teilhabe sichern, wenn die US-Atombomben tragenden TORNADOS ab 2025 ihre Altersgrenze erreicht haben. 30 dieser 45 US-Kampfflugzeuge sind dafür vorgesehen, diese 20 Atombomben zu tragen. 15 Kampfjets sollen diese begleiten, um russische Luftabwehrstellungen auszuschalten. Die US-Atombomben hierzulande erhalten ab 2024 neue Fähigkeiten: Sie können sehr präzise gelenkt und gegen unterirdische Kommandozentren eingesetzt werden. Russland muss sich davon besonders bedroht fühlen.
Wir fordern die künftige Bundesregierung auf, auf die Atombomber zu verzichten, die „nukleare Teilhabe“ aufzugeben, und stattdessen dem Atomwaffenverbotsvertrag der UNO beizutreten. In die kommende Legislaturperiode fällt auch die Entscheidung über die Bewaffnung von Drohnen. Im Dezember hatte die SPD-Fraktion die Bewaffnung der fünf geleasten Heron TP aus Israel abgelehnt. Die Drohnen sind aber bewaffnungsfähig und nehmen im kommenden Jahr den Flugbetrieb auf, so dass der Bundestag zuvor darüber abstimmen muss, ob die Drohnen Waffen tragen sollen. Drohnen sind klassische Mordwaffen. Die US-Praxis in Afghanistan zeigt, dass neun von zehn Drohnentoten Unbeteiligte sind. Wir wollen keine bewaffneten Drohnen!
Die Groko hat der Herstellung von 21 Eurodrohnen zugestimmt, allerdings auf Drängen der SPD ohne Waffen. Auch ohne Waffen sind die Eurodrohnen schlimm genug. Sie spionieren fremde Länder aus, finden heraus, wo ihre strategischen Zentren sind und legen Angriffsziele fest. In die nächste Legislaturperiode fällt die Entscheidung darüber, ob die Eurodrohnen Waffen tragen sollen. Vorgesehen sind Panzerabwehrlenkraketen gegen fahrende Ziele und eine 500-Pfund-Bombe. Ihre Bewaffnung wäre dann das I-Tüpfelchen zur Angriffswaffe. Ab 2029 ist die Stationierung der Eurodrohnen in Jagel/Schleswig-Holstein geplant. Aber wer denkt, das war‘s dann mit der Aufrüstung, der irrt.
All diese Vorhaben werden überboten vom Megaknüller FCAS. Die Abkürzung FCAS steht für Future Combat Air System. Also: Luftkampfsystem der Zukunft. Allein seine Entwicklungskosten werden auf 100 Milliarden geschätzt, der Verkauf soll 500 Milliarden Euro bringen. Das Projekt wird damit fünfmal größer als das bisher größte in NATO-Europa, der Eurofighter.
Was ist FCAS? Ab 2040 sollen Tarnkappenbomber, die Atomwaffen tragen können, begleitet von Drohnenschwärmen, die auch Kamikazeangriffe fliegen können, starten können. Die Eurodrohnen werden ebenfalls integriert und alles wird mit künstlicher Intelligenz so verbunden, dass nicht nur die Luftwaffe sondern auch Satelliten, Heeres- und Marineeinheiten in Echtzeit miteinander verknüpft sein sollen. Die FCAS-Hersteller Airbus und Dassault sprechen vom System der Systeme. Ziel der Betreiber-Regierungen Deutschland, Frankreich und Spanien ist es, damit zu einer von den USA militärisch unabhängigen Supermacht EU zu werden. Anders lässt sich der gemeinsame Standpunkt der Luftwaffenchefs dieser drei Länder nicht deuten. Demnach soll FCAS „in allen Kategorien des Luftkampfes über hervorragende Fähigkeiten verfügen, dadurch die Luftüberlegenheit unserer Luftwaffen und dadurch die erforderliche Bewegungsfreiheit der anderen Teilstreitkräfte sicherstellen.“1 Dieses Vorhaben richtet sich gegen Russland und China. FCAS steht noch am Beginn seiner Entwicklung. In der kommenden Legislaturperiode fällt die Entscheidung, ob bis 2027 ein flugfähiger neuer Kampfbomber zu Erprobungszwecken gebaut wird.
Wir sollten alles tun, um diesen Irrsinn so früh wie möglich zu beenden. Wir benötigen nicht ein Mehr an Konfrontation auf unserem Globus, sondern ein Vielmehr an Kooperation. Die Probleme auf der Erde sind so gigantisch, dass wir das offensichtlich für dieses Mega-Rüstungsprojekt vorhandene Geld viel besser einsetzen sollten, um zivile Jahrhundertprojekte anzugehen: Die Beendigung des Hungers, die Beseitigung von Fluchtursachen, den Abbau sozialer Ungleichheit und die Abwendung der Klimakatastrophe. Es gilt zu verhindern, dass die Geldsäcke der Aktionäre von Rüstungskonzernen weiter gefüllt und die Vernichtung des Lebens durch Krieg vorbereitet wird. FCAS darf nicht realisiert werden. Abrüstung ist angesagt!Quelle: UZ –
Unsere Zeit – Aus der Geschichte lernen: Abrüsten statt Aufrüsten.