Beginn eines heißen Herbstes in Italien
Ein beginnender heißer Herbst mit neuen Arbeiterkämpfen hatte am Samstag mit Streiks und Protesten gegen Betriebsschließungen und gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen einen ersten Höhepunkt. Eröffnet hatten die Kampfaktionen bereits am Dienstag in Rom 3.000 Delegierte der größten Gewerkschaft CGIL mit Protesten gegen die Zerschlagung der nationalen Airline Alitalia, gegen die Entlassung von über 8.000 ihrer Beschäftigten und mit Forderungen nach Maßnahmen zur Gestaltung der neu geschaffenen Airline Italia Trasporto Aereo (ITA) auf sicherer ökonomischer Basis und der Gewährleistung entsprechender Arbeitsplätze. CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini warnte den EU-hörigen Regierungschef: »Draghi, hör zu, oder wir werden bald wieder da sein.«
Am Samstag traten dann in ganz Italien Zehntausende Arbeiter der Verkehrsbetriebe – von den U-Bahnen- und Straßenbahnen über Buslinien und Verkehrsdienste bis zu den Seilbahnen in einen 24-stündigen Ausstand, um mehr Sicherheit gegen die zunehmenden tödlichen Arbeitsunfälle, bessere Arbeitsbedingungen, die Verlängerung ihrer Tarifverträge mit Lohnerhöhungen zu fordern und den anhaltenden Angriffen auf die Arbeiterrechte Einhalt zu gebieten, meldete die Gewerkschaft Unione Sindicale di Base (USB) in einem Streikbericht.
In Florenz will der in der Metallbranche angesiedelte multinationale, vom britischen Finanzfond Melrose kontrollierte Konzern Guest, Keen and Nettlefolds (GKN), der in mehr als 30 Ländern Tochtergesellschaften mit etwa 56.000 Mitarbeitern unterhält, seine Filiale schließen und die 4.200 Arbeiter auf die Straße setzen. Zur Unterstützung der GKN-Arbeiter versammelten sich am Samstag unter der Fortezza da Basso 25.000 Menschen. Unter der auf Bannern und Plakaten geschriebenen Losung »Wir erheben uns« bildeten sie eine Menschenkette. »Sie standen neben den 4.200 Arbeitern, die der Melrose-Finanzfond entlassen will. Ein Strom von Frauen und Männern, vielen jungen Leuten. Dann die Arbeiter der anderen Fabriken in der Krise«, berichtete »Il Manifesto«. »Es ist die nächste Etappe in einer Reihe von Schließungen, Umstrukturierungen und Entlassungen. Und wenn wir sie nicht aufhalten, ist das der nächste Schritt zu weiteren Entlassungen«, zitierte das kommunistische Blatt aus einer Erklärung der Belegschaft.
In der neuen Fluggesellschaft ITA stehen die früheren Beschäftigten der Alitalia kampfbereit. Die neue Gesellschaft ist »eine kleine Billigfluggesellschaft, die auf kommerzieller Ebene bereits tot geboren wurde. Wenige Flugzeuge (ungefähr fünfzig), wenige Strecken und fast keine der profitabelsten«, faßte das kommunistische Onlineportal »Contropiano« zusammen. Mit den Folgen – zu denen gehört, daß von den etwa 11.000 Beschäftigten mindestens 8.000 skrupellos auf die Straße gesetzt werden – wollen die Alitalia-Mitarbeiter sich nicht abfinden. Zumal inzwischen bekannt geworden ist, daß noch nicht einmal sicher ist, ob die zugesagten 2.800 Arbeitsplätze bei der ITA frühere Alitalia-Beschäftige erhalten. Für diese Stellen wurden Ausschreibungen veröffentlicht, auf die sich über 30.000 Bewerber meldeten, darunter auch Personen, die offensichtlich keine Berufserfahrung in der Luftfahrtbranche haben, sowie auch Mitarbeiter anderer Billigunternehmen, die von einem besseren Gehalt träumen. Es sei klar, so »Il Manifesto«, das ist »der Austritt aus dem nationalen Vertrag, mit Lohnkürzungen«.
CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini verurteilte vor den Delegierten in Rom die EU-Hörigkeit des heutigen italienischen Premiers und früheren EZB-Chefs Mario Draghi und betonte, es sei »nicht hinnehmbar, daß die EU-Kommission entscheidet, welche Art von Verträgen auf italienische Beschäftigte angewendet wird«. Die Tragweite bestehe darin, daß »ein Präzedenzfall« geschaffen werde. Der Nationalsekretär von Uiltrasporti, Ivan Viglietti, forderte Arbeitsminister Andrea Orlando auf, für die Mitarbeiter, die von ITA nicht übernommen werden »soziale Sicherheitsnetze« zu garantieren. Der Minister, der auch Vizepräsident des sozialdemokratischen Partito Democratico ist, versprach, Verhandlungen über die Arbeitsplätze und den ITA-Vertrag aufzunehmen. Vize-Finanzministerin Laura Castelli will laut Nachrichtenagentur ANSA in dieser Woche im Ministerium »einen Tisch für Arbeit und Sozialpolitik einrichten«, und »Gespräche über die Einstellung neuer Mitarbeiter« führen.
Gleichzeitig hat die Draghi-Regierung klargestellt, daß für sie das Kapitel »Alitalia« abgeschlossen ist und mit Wochenbeginn den Verkauf der Marke mit dem Logo Alitalia ausgeschrieben. Bis Ende des Jahres soll der Verkauf mindestens 290 Millionen Euro einbringen.
Konfliktstoff dürfte laut ANSA weiterhin sein, daß ITA in den nächsten drei Jahren nicht mehr als 1,35 Mrd. Euro Kapital erhalten soll, davon 700 Millionen in diesem Jahr. Im Relaunch-Dekret der bis Januar 2021 amtierenden Conte-Regierung waren Kapitalerhöhungen in Höhe von 3 Milliarden Euro vorgesehen gewesen.
Während die EU-Kommission zuließ, daß die deutsche Lufthansa etwa elf und Air France neun Milliarden Euro Staatshilfen erhielten, fordern die »Wettbewerbshüter« der EU, daß Alitalia 900 Millionen Euro zurückzahlen soll, die von der EU als »illegale staatliche Beihilfen« bezeichnet werden. Laut ANSA soll die Regierung das Geld zuzüglich Zinsen von Alitalia zurückfordern. Die Summe war tatsächlich als Darlehen geflossen, damit die Alitalia ihren Betrieb aufrechterhalten konnte.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Beginn eines heißen Herbstes in Italien