Friedenspolitik per Koalitionsvertrag abgeräumt
Gestern veröffentlichte die Ampel-Regierung ihren Koalitionsvertrag, der zwar in Sachen Krieg und Frieden wenig Überraschungen enthält, was es aber leider auch nicht besser macht. In den im Vorfeld noch strittigen Fragen wurden die kritischen Positionen fast durchweg abgeräumt, von der Bewaffnung von Drohnen über die Nukleare Teilhabe bis hin zur Bereitstellung der Gelder für die Umsetzung der NATO-Planziele.
Drohnen: Bewaffnet
Trotz durchaus auch beträchtlicher parteiinterner Skepsis hatten die Grünen sich bekanntlich bereits im Juni 2021 auf ihrem letzten Parteitag vor der Wahl für eine Bewaffnung von Drohnen ausgesprochen. Die SPD wiederum, auf deren Druck Ende letzten Jahres immerhin eine Bewaffnung der Heron TP auf Eis gelegt wurde, berief zunächst einmal eine Arbeitsgruppe, die sich mit dieser Angelegenheit intensiv beschäftigen sollte. Als sich deren Abschlussbericht am 12. Oktober 2021 aber für eine Bewaffnung von Drohnen aussprach, war der Weg Richtung Kampfdrohnen faktisch geebnet (siehe IMI-Analyse 2021/44). Und tatsächlich heißt es nun im Koalitionsvertrag: „Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen. Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen.“
Nukleare Teilhabe: Zertifiziert
Ganz ähnlich wie bei der Bewaffnung von Drohnen verhält es sich bei der Nuklearen Teilhabe der NATO und damit der Tatsache, dass in deren Rahmen bis heute zwischen 10 und 20 US-Atomwaffen in Deutschland (Büchel) lagern. Die Waffen stehen unter US-Kontrolle, würden im Ernstfall aber von deutschen Piloten mit ihren Tornados ins Ziel geflogen würden, was dazu beiträgt, dass die Nukleare Teilhabe in Deutschland alles andere als unumstritten ist.
Die ganze Debatte um die Nukleare Teilhabe wird seit Jahren stellvertretend über die Frage geführt, in welcher Form die alternde und damit wartungsaufwändige Tornado-Flotte ersetzt werden soll (siehe IMI-Analyse 2020/17). Würden hierfür ausschließlich Eurofighter angeschafft, wäre dies zwar sicher im Sinne mancher Rüstungschauvinisten, es wäre aber davon auszugehen, dass von US-Seite keine Zertifizierung für die Nukleare Teilhabe erfolgen würde (was im Übrigen auch Airbus nicht möchte, da es dann den USA die Baupläne übersenden müsste). Weil außerdem eine Anschaffung der moderneren F-35 von Lockheed Martin eine Konkurrenz für das deutsch-französisch-spanische Luftkampfsystem FCAS darstellen würde, plädierte das Verteidigungsministerium im April 2020 für eine Mischlösung, die bei der Europäischen Sicherheit und Technik folgendermaßen beschrieben wurde: „Demnach sollen als Ersatz für den Tornado 40 Eurofighter (Rolle: Luft-Boden) mit einer Option auf 15 weitere, 30 F/A-18F Super Hornets (Rolle: Nukleare Teilhabe) und 15 EA-18G Growler (Rolle: Elektronischer Kampf) beschafft werden.“
Als Kostenpunkt errechnete eine Studie von Greenpeace, die Anschaffung der 45 F-18 werde auf einen Betrag zwischen 7,67 Mrd. Euro und 8,77 Mrd. Euro hinauslaufen. Weil es gleichzeitig sowohl innerhalb der SPD wie auch der Grünen relativ viele KritikerInnen der Nuklearen Teilhabe gibt, ist es umso enttäuschender, dass sich der Koalitionsvertrag faktisch ohne Wenn und Aber zu diesem Konzept bekennt: „Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten.“
Geld: Potenzial
Ein weiterer seit vielen Jahren hochumstrittener Punkt sind die Verteidigungsausgaben, bei denen vor allem die USA auch unter dem neuen Präsidenten Joseph Biden darauf drängen, es sollten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) hierfür ausgegeben werden. Für Deutschland, das seine Ausgaben zwischen 2014 (32,5 Mrd. Euro) und 2020 (45,1 Mrd. Euro) bereits rasant erhöht hat, hätte eine Umsetzung des 2-Prozent-Ziels sogar einen Haushalt von 67,3 Mrd. Euro (2020) bedeutet. Obwohl Olaf Scholz noch als Finanzminister für 2022 eine – allerdings vom Parlament noch zustimmungspflichtige – weitere saftige Erhöhung auf 50,33 Mrd. Euro (2022) zugesagt hat, ist offensichtlich, dass Deutschland auch damit noch weit von den US-Forderungen entfernt ist.
Vor diesem Hintergrund wird in Deutschland schon länger die Sinnhaftigkeit des 2-Prozent-Ziels angezweifelt, unter anderem mit dem Argument, Deutschland leiste zum Beispiel weit mehr Entwicklungshilfe als die meisten anderen NATO-Länder und trage hierüber auch zur Sicherheit in der Welt bei. Sich allein auf die Militärausgaben zu fokussieren sei somit verkürzt, vielmehr sei das Gesamtpaket zu berücksichtigen – und genau in diese Richtung argumentiert nun auch der Koalitionsvertrag: „Wir wollen, dass Deutschland im Sinne eines vernetzten und inklusiven Ansatzes langfristig drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in internationales Handeln investiert, so seine Diplomatie und seine Entwicklungspolitik stärkt und seine in der NATO eingegangenen Verpflichtungen erfüllt.“
Rechnet man die drei Posten zusammen, so summieren sich im Jahr 2020 die Ausgaben für Verteidigung (45,1 Mrd.), Entwicklung (24,9 Mrd.) und Außen (6 Mrd.) auf 76,3 Mrd. Euro. Drei Prozent des BIP wären 101 Mrd. Euro gewesen, rund 24 Mrd. wären also noch als Spielraum vorhanden gewesen. Wer nun allerdings den größten Batzen davon erhalten und wie sich die Gelder über die einzelnen Ressorts verteilen sollen, darüber schweigt sich der Koalitionsvertrag aus – und die FDP wird den Finanzminister stellen. Stutzig machen sollte auch, dass die Idee bereits 2017 ausgerechnet von Wolfgang Ischinger prominent in die Debatte eingeschleust wurde. Schon damals äußerte sich der nicht gerade für seine Militär- und Rüstungsferne bekannte Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz: „Mindestens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts also für Krisenprävention, Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie und Verteidigung – das schiene mir eine gute Richtschnur zu sein.“
Und endgültig alle Alarmglocken sollten angehen, wenn man über folgende Passage im Koalitionsvertrag stolpert: „Die NATO-Fähigkeitsziele wollen wir in enger Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen und entsprechend investieren.“ Der hierfür für erforderlich gehaltene finanzielle Bedarf wurde Anfang des Jahres vom Verteidigungsministerium mit konkreten Zahlen versehen, indem ihre „geheime“ Finanzbedarfsanalyse für die Umsetzung des NATO-Fähigkeitszieles an die Presse durchgestochen wurde. Der Schritt war auch als Breitseite gegen die bis heute gültige, aber jederzeit wieder einkassierbare Mittelfristige Finanzplanung des Finanzministeriums gedacht, der zufolge der Bundeswehrhaushalt nach der saftigen Erhöhung 2022 (50,33 Mrd.) schrittweise bis 2025 auf 46,74 Mrd. Euro absinken soll. Die Bundeswehr mahnt dagegen an, für die Umsetzung der im Koalitionsvertrag so prominent erwähnten NATO-Fähigkeitsziele sei eine Erhöhung des Etats auf 61,5 Mrd. Euro im Jahr 2025 erforderlich. So droht unter dem Mantel eines Drei-Prozent-Zieles eine deutliche Erhöhung des Rüstungshaushaltes – und genau das dürfte auch der Sinn der Übung sein.
Während sich militärnahe Kreise auf die Schulter klopfen dürften, entpuppen sich Passagen wie die im Koalitionsvertrag vollmundig angekündigte „abrüstungspolitische Offensive“ bei näherer Betrachtung als Ansammlung vager Absichtserklärungen. Nur an einer Stelle wird es ein wenig konkreter, doch das macht die Sache auch nicht besser. So wird angekündigt, Deutschland werde „als Beobachter (nicht als Mitglied)“ die „Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages“ begleiten. Sicher ist das besser als nichts, Ziel sollte aber natürlich eine Unterzeichnung des Vertrages sein, wodurch sich zum Beispiel die Nukleare Teilhabe erledigt hätte und was wohl nicht zuletzt aus diesem Grund auch nicht geschieht.
Abrüstungsoffensive: Fehlanzeige
So bleibt auf der friedenspolitischen Habenseite des Koalitionsvertrages fast nur noch die Ankündigung eines Rüstungsexportgesetzes übrig – dessen Potenzial sollte allerdings nicht unterschätzt werden: „Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik brauchen wir verbindlichere Regeln und wollen daher mit unseren europäischen Partnern eine entsprechende EU-Rüstungsexportverordnung abstimmen. Wir setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein. Unser Ziel ist es, den gemeinsamen Standpunkt der EU mit seinen acht Kriterien sowie die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die Kleinwaffengrundsätze und die Ausweitung von Post-Shipment-Kontrollen in einem solchen Gesetz zu verankern. Nur im begründeten Einzelfall, der öffentlich nachvollziehbar dokumentiert werden muss, kann es Ausnahmen geben.“
Sowohl die nationalen wie auch die europäischen Rüstungskontrollrichtlinien sind dem Wortlaut nach durchaus sehr restriktiv – es fehlt allerdings bislang die Option, juristisch deren Einhaltung überprüfen und ggf. erzwingen zu können. Sollte das angekündigte Rüstungsexportgesetz diese eklatante Lücke tatsächlich schließen, wäre dies ein erheblicher Fortschritt, deshalb sollte die diesbezügliche weitere Entwicklung genau im Auge behalten werden. Ein Lackmustest, wohin die Reise gehen wird, dürfte die Frage des Verteidigungsministers oder der Verteidigungsministerin sein, die von der SPD beantwortet werden muss. Sollte sie sich für Rolf Mützenich entscheiden, könnte man allerlei friedenspolitische Hoffnungen auf die nächsten Jahre setzen – allzu wahrscheinlich ist dies allerdings leider nicht. Als aussichtsreichste Kandidatin wird stattdessen aktuell Siemtje Möller gehandelt, die als würdige Nachfolgerin SPD-Stahlhelm Fritz Felgentreu als verteidigungspolitische Sprecherin der SPD beerbte, Sprecherin des konservativen Seeheimer Kreises der SPD-Bundestagsfraktion ist und seit eh und je gegenüber Rüstung und Bundeswehr sehr aufgeschlossen ist.
Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) – Friedenspolitik per Koalitionsvertrag abgeräumt