Kämpferische Gewerkschaftsgymnastik oder wie läuft die TV-L Runde in Göttingen?
Übernommen von DKP Niedersachsen:
Bei Redaktionsschluss hatte die Gewerkschaft ver.di einen ganztägigen Warnstreik an der Uni und der UMG organisiert. Außerdem wurde die Durchführung eines weiteren, zweitägigen Warnstreiks am 24. und 25. November beschlossen.
Als Neubeschäftigter an der UMG erfreute mich die machtvolle Demonstration der Beschäftigten von der Robert-Koch-Straße aus in der Innenstadt: Am 16.11.2021 streikten und demonstrierten etwa 700 Kolleg:innen des Klinikums für eine deftige Lohnerhöhung im Rahmen der aktuellen TV-L-Runde. Dazu kamen die Kolleg:innen und die Studentische Hilfskräfte der Universität. Insgesamt demonstrierten an diesem Tag 1.000 Landesbeschäftigte durch Göttingen. (Zu meiner studentischen Zeit gab es lediglich eine leicht-gymnastische Runde von weniger als 200 Beschäftigten rund ums Klinikum.)
Es ist also zweifelsohne eine mächtige Steigerung auf mehr als das 3-Fache. Dazwischen liegen ein paar Jahre und eine Pandemie.
Es hat sich eine riesige Wut gerade in der Pflege angesammelt, die sich hier in Göttingen zeigt. Angesichts der Kaltschnäuzigkeit des niedersächsischen Finanzministers und Verhandlungsführer der Länder müssen die Klatschkonzerte allerdings bei den Pflegekräfte zynisch erscheinen: Diese haben auch in der zweiten Verhandlungsrunde noch nicht einmal ein Angebot vorgelegt. Stattdessen wollen sie über Lohnkürzung für die unteren Lohngruppen über eine Neudefinition der Arbeitsvorgänge verhandeln.
Die Beschäftigten der Universität fordern 5% (bei einer aktuellen Inflationsrate von 4,1%), aber mindestens 150 €; für die Azubis sollen 100 € mehr Vergütung bei einer Laufzeit von 12 Monaten herauskommen. Für die Beschäftigten an den Kliniken sind 300 € monatlich gefordert.
Zum Vergleich: In Hessen hat die separat verhandelnde Tarifrunde der hessischen Landesbeschäftigten ein Tarifabschluss in Höge von einer mickrigen zweifachen Einmalzahlung von 500 € (steuer- und abgabenfrei) abgeschlossen sowie für die Jahre 2021 und 2022 und eine tabellenwirksame Lohnerhöhung erst ab August 2022 über 2,2% sowie für August 2023 über 1,8%. In Hessen müssen wir bei diesem Abschluss von Reallohn-Verlusten sprechen. Ähnliches hatte bereits die stärkere TVöD mit Bund und Kommunen vereinbart.
Mit Blick auf die materiellen Ergebnisse der Tarifrunden müssen wir also von einer Niederlage sprechen. Tarifrunden sind aber nicht ausschließlich eine Frage der materiellen Ergebnisse, sondern sie müssen Indiz vom Stand des Klassenbewusstseins sein und gleichzeitig sind Sie auch Impuls für dessen Entwicklung. Politische oder gewerkschaftliche Aktivist:innen profitieren von Streiks als Lernfeld. Das kann auch für diese Tarifrunde gelten. Denn nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde.
Im Klinikum wird eine Debatte um einen Entlastungstarifvertrag geführt. Hier heißt es von der Charite und Vivantes in Berlin lernen: Dort wurde mit Hilfe eines 31-tägigen Streiks (!) der progressivste Entlastungstarifvertrag ausgehandelt. Die Anzahl der Pflegekräfte pro Station soll massiv steigen. Sollten jedoch trotzdem Unterbesetzungen in der Station vorkommen, erhalten die Beschäftigten jeweils einen Punkt. Wer 9 Punkte gesammelt hat, darf diese in einem freien Tag umwandeln oder erhält eine Prämie in Höhe von 150 €. Die Anzahl der möglichen freien Tage ist beschränkt pro Jahr und sinkt mit der Zeit, sodass die Arbeitgeber entweder ständig die Belegschaft teuer bezahlen muss oder – besser – wirklich neue Stellen schaffen.
Wenn also die gesteigerte Mobilisierung im Klinikum in gesteigertes Bewusstsein für die Möglichkeit der unmittelbaren Verbesserung der Lebens- und Arbeitsqualität der Beschäftigten führt, dann haben die Beschäftigten in dieser Tarifrunde etwas gewonnen, unabhängig von dem unmittelbaren materiellen Ergebnis der Tarifrunde
Quelle: DKP Niedersachsen