19. November 2024

Europäische Union: Weltmarktführer der Massenüberwachung

Schon am 30. März will die EU-Kommission ein Gesetzesvorhaben vorlegen, das die bei vielen Messengerdiensten gängige Ende-zu-Ende-Verschlüsselung untergraben soll. Das Gesetzesvorhaben sieht einen gesetzlichen Zwang für Messenger- und Email-Anbieter vor, wodurch die Inhalte der Apps nach „problematischen“ Inhalten durchsucht und automatisch an die Behörden weitergeleitet werden können. Dienste, die eine adäquate Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und damit den Schutz privater Kommunikation vor Außenstehenden anbieten, stehen also im Fadenkreuz dieses Gesetzesvorhabens. Das Gerede über ein solches antidemokratisches und überwachungsstaatliches Gesetz schwebt indessen schon länger in der Luft: Die Zeitung der Arbeit berichtete Ende 2020 an zwei Gelegenheiten über die Pläne der EU, ein Verschlüsselungsverbot für Messengerdienste zu implementieren – dies unter dem nur zu billigen Vorwand der Terrorismusbekämpfung. Dass der Zugriff auf verschlüsselte Daten nicht zur Verhinderung terroristischer Attentate taugt, sondern andere Gründe haben dürfte, wurde schon damals von der ZdA hervorgehoben:

„Dass man überhaupt solche und ähnliche Ideen als angebliche ‚Terrorbekämpfung‘ verfolgt, ist offensichtlich als geheimpolizeilicher Allmachtwunsch der Regierungen einzuschätzen. Für das vorgebliche Ziel bringen sie nichts: Das EU-Parlament kam in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass z.B. die vielgepriesene (und mittlerweile weitgehend verbotene) Vorratsdatenspeicherung keinen einzigen Terroranschlag verhindern konnte. Der Anschlag von Wien wäre jedoch durchaus zu verhindern gewesen, nämlich wenn der österreichische Verfassungsschutz auf ganz banale, analoge Weise seine Aufgaben erfüllt hätte. Dass man nun größere Befugnisse erhalten will, ist im besten Fall ein Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen – oder ein weiterer Schritt in die dystopische Version des Jahres 1984.“

Als Grund für die verschärfte Überwachung wird inzwischen aber der Schutz von Kindern und Minderjährigen vor sexuellem Missbrauch genannt. Von Datenschützerinnen und ‑schützern wurde das Vorhaben schon von Anfang an als eine direkte Untergrabung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung heftig kritisiert.

EU als Weltmarktführer bei der Massenüberwachung

Rund 39 Bürgerrechtsorganisationen verurteilen die von der EU-Kommission geplante Verschlüsselungsaushebelung in einem offenen Brief. Aus dem offenen Brief geht klar hervor, dass private Kommunikation ein „Eckpfeiler der demokratischen Gesellschaft“ sei und deshalb geschützt werden müsse. Würden die geplanten Maßnahmen ihre Umsetzung finden, würde das „die EU zum Weltmarktführer bei der Massenüberwachung ganzer Bevölkerungen machen“.

Dies wiederum steht natürlich in krassem Gegensatz zur EU-Propaganda, die gerade Konkurrenzimperialismen wie die Russische Föderation oder die Volksrepublik China immer wieder für deren überwältigenden Überwachungsmethoden als diktatorial, intransparent und antidemokratisch geißelt. So wie in vielen anderen Bereichen lächelt der Europäischen Union in der Kritik, die sie gern über ihre eigenen Grenzen hinaus übt, ihr eigenes Spiegelbild zurück.

Unter den Unterschriften des offenen Briefes finden sich etwa die Initiative European Digital Rights (EDRi) und die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD). Sie gehen davon aus, dass sich „Menschen rund um den Globus“ darauf verlassen, „private Unterhaltungen führen zu dürfen“, nicht nur im Freundeskreis, sondern auch im Kontakt mit Ärztinnen und Ärzten, Journalistinnen und Journalisten – und man muss hinzufügen: mit Anwältinnen und Anwälten oder im politischen Kontext. Die Maßnahmen widersprächen den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern zufolge den EU-Grundrechten, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie im Allgemeinen:

„Es gibt keine Möglichkeit, den Strafverfolgungsbehörden einen außergewöhnlichen Zugang zu Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation zu gewähren, ohne Schwachstellen zu schaffen, die Kriminelle und repressive Regierungen ausnutzen können.“

Unter dem Teppich

Es dürfte kein Zufall sein, dass das höchst umstrittene und im Grunde auch von einer soliden Mehrheit der Bevölkerung als Gefahr angesehene Gesetzesvorhaben gerade zu einer Zeit durchgedrückt werden soll, in der sich die Medien mit ganz anderen Dingen beschäftigen. Die prominente Coronaberichterstattung wurde nun von einer massiv aufgeheizten Propagandamaschinerie ersetzt, die um die kriegerischen Vorgänge in der Ukraine einerseits Militarismus und Chauvinismus schüren will, andererseits ein nie vorherdagewesenes Mitleid für die ukrainische Bevölkerung heuchelt, die über das paparazzi-artige Abfotografieren von vor Bomben und um ihr Leben flüchtenden Menschen über jede Art von Spendenaktion für den Krieg hinausgeht.

Während die Terrorbekämpfung, die im Jahr 2020 noch stärker Thema war, nun nicht mehr als Vorwand herhalten muss, wird das Gesetzesvorhaben inzwischen mit der Bekämpfung von Material zu sexuellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung von Kindern legitimiert. Auch darauf geht der offene Brief ein. Die darin involvierten Bürgerrechtsorganisationen geben zu bedenken, dass die bevorstehende EU-Gesetzgebung die Position schutzsuchender Kinder unterminieren würde, denn gerade sie hätten ein Recht auf vertrauliche Kommunikation bei der Hilfesuche. Tatsächlich würde sich in beiden Fällen, dem Antiterrorkampf wie im Kampf für besseren Schutz für Kinder vor sexueller Ausbeutung, die Aufhebung der Chatverschlüsselung als kontraproduktiv erweisen und im Gegensatz dazu ein zielgerichteterer Einsatz von zu diesen Themen geschulten Polizeikräften als bessere Variante herausstellen. Aber selbst durch den geradezu spontan anmutenden Wechsel des Vorwands für ein solches Vorhaben zeigt sich, dass es den Herrschenden vielmehr darum geht, mehr Kontrolle auszuüben, die Überwachung zu verschärfen (weil man es eben kann) und solche Organisationen auszuspionieren, die ihr mittel- oder langfristig gefährlich werden können.

Quelle: Der Standard / ZdA / ZdA

 

Quelle: Zeitung der Arbeit

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