Gewerkschaftlicher Organisationsgrad auf hohem Niveau gesunken
Die erste vom nationalen Statistikamt in diesem Jahr in seiner Publikationsreihe »Regards« veröffentlichte Studie hat den gewerkschaftlichen Organisationsgrad in Luxemburg und seine Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt zum Thema. Darin heißt es unter Berufung auf Daten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), der Anteil der in einer Gewerkschaft organisierten Lohnabhängigen (hierlebende Schaffende und Grenzgänger, aber ohne Arbeitslose) sei von 36,1 Prozent im Jahr 2010 auf 28,2 Prozent 2019 zurückgegangen.
Dieser in fast allen OECD-Staaten beobachtete Prozeß der »désyndicalisation«, der hierzulande besonders ausgeprägt gewesen sei, wird in der Studie auf den »demographischen Wandel auf dem Arbeitsmarkt«, die »Restrukturierung der Wirtschaft« im Zuge technologischer Veränderungen, auf die fortschreitende »Deindustrialisierung« des Landes und die allgemeine Digitalisierung, aber auch auf Privatisierungen zurückgeführt.
Trotz einer eigentümlichen Zählweise bestätigt die Statec-Studie dem OGBL, »Gewerkschaft Nr. 1 in Luxemburg« zu sein. Im Jahr 2019 seien von allen organisierten Schaffenden fast die Hälfte (45,4 Prozent) im Unabhängigen Gewerkschaftsbund Mitglieder gewesen. Mit deutlichem Abstand sei der Christliche Gewerkschaftsbund LCGB gefolgt, in dem im selben Jahr 25,9 Prozent organisiert gewesen seien, während in den Reihen der Staatsbeamtengewerkschaft CGFP 19,5 Prozent aller Mitglieder luxemburgischer Gewerkschaften gestanden hätten und die Bankengewerkschaft ALEBA 6,5 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder organisiert habe.
Warum die Studienautoren die vor zwei Jahrzehnten in den OGBL aufgenommene »Fédération des employés privés – Fédération indépendante des travailleurs et cadres« (FEP-FIT) gesondert angeben, kann auch der OGBL nicht nachvollziehen, der diesen Umstand gestern in einem Pressekommuniqué zum Ausdruck brachte. Darin wird außerdem daran erinnert, daß auch der Landesverband (FNCTTFEL) zwischenzeitlich provisorisch in den OGBL integriert wurde.
Ob man im Falle Luxemburgs überhaupt von einer »désyndicalisation« sprechen kann, scheint bei einem Vergleich mit den anderen Mitgliedsländern der OECD zumindest fraglich. So ist der in Deutschland traditionell hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad, der 1960 in der BRD fast 35 Prozent und 1991 auf dem Gebiet der gerade annektierten DDR noch 50 Prozent betrug, bis 2019 auf rund 15 Prozent zurückgegangen. Noch schlechter sieht es mit einem Organisationsgrad von rund zehn Prozent in Frankreich aus. Von den Nachbarn gehörte 2019 nur Belgien mit fast 50 Prozent zu den sechs OECD-Staaten, die einen höheren gewerkschaftlichen Organisationsgrad als Luxemburg aufwiesen. Dazwischen befindet sich Italien mit einem gut 30-prozentigen Organisationsgrad, während die Spitzengruppe von den nordeuropäischen Staaten Norwegen, Finnland, Schweden und Dänemark gebildet wird. In den beiden letztgenannten Ländern sind jeweils zwei von drei Lohnabhängigen Mitglieder in einer Gewerkschaft.
Hinsichtlich der Stärke und damit der Kampffähigkeit einer Gewerkschaft kommt es neben der Mobilisierbarkeit für und der Wirksamkeit (wirtschaftlicher Schaden) eines Arbeitskampfes auch auf den gewerkschaftlichen Organisationsgrad an.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek