Kriegsflüchtlinge? Facharbeiter!
In Deutschland fehlen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 1,2 Millionen Fachkräfte. Glaubt man der Berichterstattung diverser Medien hierzulande, scheint die Massenflucht vor dem Krieg in der Ukraine hier Abhilfe schaffen zu können. „Flüchtlingswelle verspricht Fachkräfte-Segen für Deutschland“ jubelte beispielhaft der „Münchner Merkur“ am 22. März. Angesichts einer Flüchtlingspolitik, die sich bei anderer Gelegenheit dadurch auszeichnet, „Flüchtlingswellen“ mit weniger „Fachkräftepotential“ im Mittelmeer ertrinken zu lassen, lohnt ein Blick auf die Fakten: Bis zum 27. März wurden insgesamt 266.975 Flüchtlinge aus der Ukraine offiziell in Deutschland registriert. Dabei handelt es sich tatsächlich zumeist um gut qualifizierte Menschen. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums hat die Hälfte von ihnen ein Studium abgeschlossen, 14 Prozent haben einen Berufsabschluss und ein weiteres Viertel einen höheren Schulabschluss.
Anders als Geflüchtete, die in der Vergangenheit aus Syrien, Afghanistan oder afrikanischen Staaten in die BRD kamen, müssen die in Deutschland Schutz suchenden Ukrainer nach der Registrierung kein kompliziertes Asylverfahren durchlaufen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Sobald ein Antrag nach Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz bei der zuständigen Ausländerbehörde gestellt wird, wird mit Ausgabe einer sogenannten Fiktionsbescheinigung unmittelbar der Arbeitsmarktzugang für alle nicht reglementierten Berufe möglich. Nur bei den „reglementierten Berufen“, also dort, wo kein „Fachkräftemangel“ besteht, ist abhängig von den Vorgaben in den Fachgesetzen der jeweiligen Berufsgruppen vorher das reguläre Anerkennungsverfahren zu durchlaufen. Was nach Meinung von Experten zur Integration in den Arbeitsmarkt fehlt, sind Sprachkurse und Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in ausreichender Menge. Außerdem weist das Institut für Arbeitsmarkt- und Sozialforschung darauf hin, dass der oben beschriebene Schutzstatus aktuell nur ein Jahr gilt und im besten Fall auf drei Jahre verlängert werden sollte, da bereits ein Integrationskurs sechs Monate dauert.
Soweit zur Papierlage und den rechtlichen Rahmenbedingungen. Doch wie sieht die tatsächliche Situation für die jobsuchenden Ukrainer auf dem Arbeitsmarkt aus? In ihrem Heimatland musste die Mehrzahl der Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Arbeitskraft für Hungerlöhne verkaufen. Der Durchschnittslohn in der Ukraine bewegt sich mit 445 Euro im unteren europäischen Vergleich und der Mindestlohn beträgt gerade einmal 190 Euro. Schon vor dem Krieg haben daher rund zwei Millionen Ukrainer ihr Land zum Arbeiten dauerhaft verlassen. Hinzu kommen noch einmal drei Millionen Saisonarbeiter.
Es ist zu vermuten, dass diese Erfahrungen in Verbindung mit der Notlage als Kriegsflüchtlinge viele dazu zwingen wird, auch in der BRD für Niedrigstlöhne zu arbeiten. Diese Befürchtung teilt auch der Bundespflegeverband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP). Nach Recherchen von „Report Mainz“ geht der VHBP davon aus, dass ukrainische Betreuungskräfte für einen Bruchteil des Lohnes arbeiten werden, den Osteuropäer aus der EU derzeit in Deutschland vergütet bekommen. Betreuerinnen aus Polen und Rumänien, die bislang vorwiegend in der 24-Stunden-Versorgung gearbeitet hätten, würden durch Ukrainerinnen vom Markt gedrängt.
„Bis zu 300.000 Ukrainerinnen werden schätzungsweise für die Hälfte des Honorars arbeiten und alle Bedingungen ertragen, um ihre Familien zu ernähren“, berichtet der Vorstandsvorsitzende des Verbandes, Daniel Schlör, dem Mainzer Politmagazin.
In dieses Bild passt auch der Fall einer Ukrainerin, den „Report Mainz“ recherchiert hat. Diese hatte ihr Zuhause schon Monate vor dem Krieg verlassen. In der Ukraine habe sie 150 Euro im Monat verdient. Dort habe sie drei Jobs gleichzeitig gemacht, ohne Feiertag, immer auf der Suche nach einem weiteren Nebenjob. In Deutschland angekommen, muss sie Schwerstarbeit in der Altenpflege verrichten und erhält hierfür gerade einmal 900 Euro netto.
Quelle: Unsere Zeit