Landesweite Proteste in Italien gegen Preislawine
Die von der EU gegen Rußland verhängten Sanktionen schlagen mit voller Wucht auch auf die Wirtschaft Italiens zurück und treffen die Menschen. Am Montag protestierten die Beschäftigten des Verbandes der Spediteure (TrasportoUnito) gegen die Explosion der Spritkosten, die auf über 2,30 Euro pro Liter anstiegen und von der »extreme Not in der Branche zeugen«. Allein im Straßenverkehr betragen die Mehrkosten über 160 Prozent.
Die Proteste der Transportdienste führten zu starken Einschränkungen, da 85 Prozent der verkauften Waren auf der Straße transportiert werden. Um weiteren Schaden für die Menschen und auch die Unternehmen abzuwenden, fordert TrasportoUnito, die Mehrwertsteuer auf Benzin und Diesel sofort zu streichen und die Verbrauchssteuern zu senken.
Die Proteste halten an. Für Dienstag hatten der Konsumentenschutzverband Assoutenti und weitere Verbände zu einem Streik aufgerufen, um gegen die im Ergebnis des Boykotts russischen Gases steigenden Strom- und Gasverbrauchspreise zu protestieren. Unter den wie im Flug durch die Kriegsauswirkungen steigenden Preisen stehen die für Brot mit bis zu 30 Prozent an der Spitze, zitiert die staatliche Nachrichtenagentur ANSA den Präsidenten von Assoutenti, Furio Truzzi. In Venedig koste ein Kilo frisches Brot im Durchschnitt 5,52 Euro. So »hängt das Damoklesschwert des Krieges« über dem Land, sagte Truzzi. »Es besteht die reale Gefahr neuer Preiserhöhungen zwischen 15 und 30 Prozent für eine Vielzahl von Konsumgütern, von Nudeln bis zu Desserts und Brot«. Ein Ende sei nicht abzusehen.
Das staatliche Statistikamt Istat meldete, daß Verbraucherpreise im Februar um 7,9 Prozent anstiegen, die Produktionskosten um 9,7 Prozent, und warnt, sie würden weiter steigen. Die Obdachlosenorganisationen Fio.PSD schätzt ein, daß die aktuelle Entwicklung dazu führt, »die Kluft, die die Reichen von den Armen trennt, beängstigend größer« wird.
Laut ANSA erklärte der Chef der Staatsbank Italiens, Ignazio Visco, daß die Ukraine-Krise »eine tiefe Zensur« darstellt und zu »akuter Unsicherheit« in der Weltwirtschaft führt. »Ein entscheidendes Element der Gleichgewichte, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden«, sei in Gefahr.
Selbst Premierminister Marion Draghi, der erfahrene frühere EZB-Chef, mußte einräumen, daß die Sanktionen schwere Auswirkungen »auf Familien und Unternehmen und vor allem auf die Aufrechterhaltung der Produktion haben«. Die Situation könne »wenn nichts dagegen unternommen wird, die EU zerbrechen, das Wirtschaftssystem in Richtung Protektionismus drängen « erklärte er am Freitag auf der Pressekonferenz nach dem EU-Sondergipfel in Versailles. Er hoffe, daß »wir alles dafür tun werden, daß die Ukraine und Rußland miteinander sprechen, solange die Würde der Ukraine besteht«.
Auch der Präsident des Industriellenverbandes Confindustria, Carlo Bonome, muß zugeben, daß die explodierenden Rohstoff- und Energiekosten eine Folge der Sanktionen sind. Deren Einhaltung führte zur Schließung von 447 italienischen Unternehmen in Rußland, die einen Umsatz von 7,4 Milliarden Euro eingefahren haben. Der Anlagenbestand betrage über 11 Milliarden Euro. Aber die Verluste, die die Unternehmer durch die Sanktionen gegen Rußland erleiden, will er auf die Arbeiter abwälzen. »Wir können es uns nicht mehr leisten, mit Verlust zu produzieren, wir werden unweigerlich auf Entlassungen zurückgreifen müssen.«
Das linke »Manifesto« warnte, Italien stehe »noch nicht einmal einen Schritt weit von einer Kriegswirtschaft entfernt«. Das Mitglied der Leitung der Linkspartei Potere al Popolo, Giorgio Cremaschi, schätzt dagegen in im linken Magazin »Contropiano« ein, daß Italien bereits Kriegswirtschaft betreibt. »In den letzten zehn Jahren hat Italien seine Militärausgaben stetig erhöht und diese höheren Kosten durch Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen ausgeglichen«, schreibt er. Obwohl die Ausgaben für das Militär bereits auf 26 Milliarden Euro pro Jahr erhöht wurden, wolle Draghi sie jetzt gemäß den Richtlinien von EU und NATO auf eine unglaubliche Höhe von 40 Milliarden Euro treiben. Das werde »Gesundheit, Schule, Renten und öffentliche Dienste noch mehr verwüsten«.
Gegen »das Gespenst einer weiteren Rezession mit explodierenden Preisen, drastischer Kaufkraftminderung der Löhne, Entlassungen und Arbeitslosigkeit« müssen sich die Arbeiter zur Wehr setzen, appelliert »Contropiano« am Dienstag.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek