19. November 2024

Zerbröseln verhindern!

Seit Anfang März laufen die Betriebsratswahlen. Erste Ergebnisse liegen vor und lassen Trends erkennen. Im Artikel analysieren wir insbesondere die Wahlergebnisse in der Automobilindustrie. Dabei nehmen wir in den Blick, wie rechte Listen abgeschnitten haben, wie hoch die Wahlbeteiligung ist, betrachten die Wahlergebnisse der IG Metall und Ursachen für das Entstehen einer Vielzahl von kleinen Listen.

Wahlbeteiligung trotz Pandemie nicht eingebrochen

Im Vorfeld gab es die große Befürchtung, dass die Pandemie und die immer noch hohe Zahl der im Homeoffice arbeitenden sich negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken könnte. In Großbetrieben wurden deshalb Tausende von Briefwahlunterlagen – auch ohne Anforderung der Beschäftigten – versendet. Gerade im Bereich der Angestellten arbeitet die Mehrheit noch im Homeoffice. Damit konnte erreicht werden, dass die Wahlbeteiligung einigermaßen stabil blieb. Ob allerdings die durchschnittliche Wahlbeteiligung von 75,5 Prozent von 2018 erreicht wird, ist eher unwahrscheinlich.

Bei Bosch in Feuerbach (ca. 13.000 Beschäftigte, davon 2000 direkt in Produktion beschäftigt) konnte durch die Versendung von ca. 10.000 Briefwahlunterlagen, direkte Ansprache der Beschäftigten über E-Mails und einem höheren gewerkschaftlichen Organisationsgrad sogar die Wahlbeteiligung um 9 Prozent gesteigert werden. Das ist aber eher eine Ausnahme. Bei Daimler in Untertürkheim ist die Wahlbeteiligung um 7 Prozent gesunken. Von den versendeten Briefwahlunterlagen kamen nur ca. ein Drittel zurück, das heißt, dass sich relativ wenige der in Homeoffice befindlichen Angestellten an der Wahl beteiligt haben. Außerdem war an den Wahltagen der Krankenstand aufgrund der steigenden Coronainzidenz sehr hoch.

Rechte Betriebsratslisten mit schwächerem Zulauf

In einigen wenigen der 28.000 Betrieben, in denen Wahlen durchgeführt werden, haben rechte Listen kandidiert, die meisten unter dem Namen Zentrum. Sowohl bei der Stimmenzahl als auch bei den Mandaten haben diese Listen eingebüßt im Vergleich zu 2018, wenn auch meist nur gering. Halten konnten sie die Anzahl der Mandate bei Daimler Rastatt (3), Daimler Sindelfingen (2) und Stihl Waiblingen (2), obwohl sie auch hier Stimmenverluste hatten (Rastatt und Stihl jeweils ca. ein Drittel Stimmen weniger). Bei Porsche in Leipzig haben sie eins von zwei Mandaten verloren, bei BMW in Leipzig haben sie drei von vier Mandaten verloren. Bei Daimler in Untertürkheim gewannen sie ein Mandat hinzu (trotz einiger Stimmen weniger). Ebenso bei VW Zwickau, wobei sie hier nur halb so viele Stimmen bekamen wie 2018. Bei VW hatten sie 2018 nur einen Kandidaten auf der Liste, aber genug Stimmen für vier Mandate – jetzt haben sie zwei Betriebsräte.

Auf der Homepage von Zentrum Automobil wird großspurig verkündet: „Wer als alternativer Betriebsrat kandidieren möchte und dem Zentrum beitritt, erhält Unterstützung von tausenden Kollegen in einem bundesweiten Netzwerk alternativer Betriebsräte.“ Dass das Netzwerk nicht allzu groß sein kann, zeigen die Ergebnisse dieser Betriebsratswahl nun abermals deutlich. Bis jetzt gibt es auf ihrer Homepage noch keine Veröffentlichungen zu ihren Ergebnissen, 2018 haben sie tagesaktuell mit ihren „Erfolgen“ geprotzt (insgesamt ca. 20 von insgesamt 180.000 Mandaten).

Auch auf der Betriebsversammlung im März bei Daimler Untertürkheim – ihrem „Vorbildwerk“ – hatten sie noch großspurig angekündigt, dass sie 25 Prozent der Stimmen holen wollen. Das ist ihnen nicht gelungen. Aber es zeigt sich eben auch, dass, wenn sie sich erstmal „festgebissen“ haben, sie ihren Einfluss halten bzw. ausbauen können. Daimler Untertürkheim ist ihr „Pilot-Betrieb“. Hier sind sie bereits bei der Betriebsratswahl 2010 zum ersten Mal angetreten . Die Ehefrau von Dirk Spaniel – Sabine Perlitius – hat in Untertürkheim ein Zentrums-Betriebsratsmandat gewonnen. Spaniel gehört zum faschistischen AfD-Flügel um Björn Höcke. Auch sie ist in diesem Milieu verankert. Das ist ein weiterer Ruck nach rechts. Da hilft nur, Ziele und Lügen vom Zentrum beharrlich zu entlarven und konstant klare Kante gegen Rechts zeigen.

IG Metall zerbröselt sich

Die Prozentanteile für die IG-Metall-Mandate sind zwar weiterhin auf hohem Niveau – meist zwischen 70 und 90 Prozent, außer in den fast reinen Angestelltenbetrieben wie Daimler Trucks AG (52 Prozent) und Mercedes Benz Zentrale (46 Prozent) – den zwei Betrieben, in die sich die Daimler Zentrale aufgeteilt hat. Aber: Bereits 2018 zeichnete sich ein Trend ab, dass in etlichen Betrieben mehrere Listen mit IGM-Mitgliedern auftauchten, die nicht von der IGM anerkannt waren. Dieser Trend hat sich jetzt verstärkt.

Das krasseste Beispiel ist sicher Daimler Rastatt. Dort sind 14 Listen angetreten, acht davon haben kein Mandat erhalten. Von den sechs erfolgreichen Listen sind alle außer den drei Zentrumsbetriebsräten IGM-Mitglieder – also 32 von 35. Die von der IGM unterstützte Liste „Wir sind Rastatt“ hat allerdings nur 20 Mandate bekommen. Ähnliche Zersplitterungen finden sich u.a. bei einzelnen Porsche-, VW-, Bosch-Betrieben sowie anderen Daimler-Standorten.

Für die vielen Listen mit IGM-Mitgliedern gibt es unterschiedliche Gründe. Von persönlichen (schwierige Zusammenarbeit mit Einzelnen, schlechter Listenplatz), Unmut über undemokratisches Verhalten von Betriebsratsfürsten, Auseinanderleben durch viel „Online-Betriebsrat-Arbeit“ bis zu anderen politische Zielsetzungen. Sie sind Ausdruck dessen, dass der Klassengegner aus den Augen verloren wird, kaum oder keine gemeinsamen Kämpfe geführt werden, keine Ziele und Visionen im Vordergrund der Arbeit stehen, demokratische Prozesse in Betriebsratsgremien nicht praktiziert werden und Solidarität für viele zum Fremdwort geworden ist.

Das ist eine äußerst gefährliche Entwicklung, schwächt die IG Metall und damit die gesamte Gewerkschaftsbewegung und stärkt das Kapital und seine Durchsetzungsmacht. Ein weitere Zerbröselung lässt sich nur verhindern, wenn sich die GewerkschafterInnen wieder auf die eigentlichen Aufgaben und Ziele von BetriebsrätInnen zurück besinnen: Gemeinsame Kämpfe für die Interessen der Beschäftigten führen – das schweißt zusammen und stärkt die Solidarität. Sozialpartnerschaft und Co-Management ist nicht im Interesse der Belegschaften – es schwächt und spaltet sie.

Quelle: Unsere Zeit

Wirtschaft & Gewerkschaft