Abrüsten statt Aufrüsten
Am 13. März demonstrierten in Berlin Zehntausende unter dem Motto „Stoppt den Krieg. Frieden und Solidarität für die Menschen in der Ukraine“. Die Demonstration war geprägt von Polit-Prominenz, blau-gelben Fahnen und Forderungen nach Waffenlieferungen in die Ukraine und Sanktionen gegen Russland. Auch der DGB und seine acht Mitgliedsgewerkschaften hatten zu der Aktion aufgerufen. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann hielt eine Rede, in der er im Namen der Gewerkschaften sagte: „Auch für uns sind angesichts des Angriffskrieges alte Gewissheiten ins Wanken geraten.“ Der DGB-Bundesausschuss hatte zuvor in einer Resolution wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland befürwortet und behauptet, bei dem Angriff Russlands auf die Ukraine handele es sich um einen „beispiellosen Angriff auf die europäische Friedensordnung“. Er vergaß einmal mehr den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999.
Zu Ostern demonstrierten Zehntausende für den Frieden – bundesweit. Die Losungen unterschieden sich deutlich von denen, die im März in Berlin zu hören und zu lesen waren. Auch hier wurde gefordert, den Krieg in der Ukraine sofort zu beenden, aber „Abrüsten statt Aufrüsten“ stand bei den Ostermärschen im Vordergrund. Die „Zeitenwende“-Politik der Bundesregierung, Waffen in das Kriegsgebiet zu liefern und ein Hochrüstungsprogramm aufzulegen, lehnte die Friedensbewegung deutlich ab.
In den Gewerkschaften gibt es Diskussionen zu der Frage von Aufrüstung und Waffenlieferungen. Einzelne Gliederungen haben sich klar positioniert und kritisieren das Vorhaben der Bundesregierung, das Grundgesetz zu ändern und ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zu beschließen. So fasste die Delegiertenversammlung der IG Metall Ruhrgebiet-Mitte einen Beschluss, in dem es heißt: „Dieses Geld wird nicht einfach zusätzlich gedruckt – es wird in den kommenden Jahren an anderen Stellen fehlen. Wir wollen nicht, dass in Bereichen wie zum Beispiel Gesundheit, Bildung, Soziales, öffentliche Daseinsfürsorge usw. gekürzt wird.“ Ähnliche Stellungnahmen und Beschlüsse gibt es von Gliederungen der ver.di und anderen Einzelgewerkschaften. Kolleginnen und Kolleginnen, die an der Charité, bei Vivantes und deren Tochterunternehmen arbeiten, rechneten vor, dass man von 100 Milliarden Euro zum Beispiel „200.000 Pflegekräfte mit einem Lohn von 4.000 Euro über zehn Jahr lang anstellen“ könne. Wie ihre Kolleginnen und Kollegen der Unikliniken in NRW wissen sie, dass sie hart um jeden Cent kämpfen müssen, den die öffentliche Hand für das Gesundheitssystem aufwendet.
Der ver.di-Bundesvorsitzende Frank Werneke hat sich in einem Interview mit der Mitgliederzeitung „publik“ (Ausgabe 02/2022) zu den Hochrüstungsplänen der Bundesregierung geäußert. Auf die Frage, wie er die Schaffung eines „Sondervermögens“ für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro und das Ziel, mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für militärische Zwecke auszugeben, bewerte, antwortete Werneke, dass ver.di viele tausend Mitglieder bei der Bundeswehr habe und der Zustand der Bundeswehr in Teilen wirklich schlecht sei. „Das betrifft die Ausrüstung, den Zustand von Kasernen, aber auch die Attraktivität als Arbeitgeber.“ Und er betonte, er sei „absolut dafür, jetzt ein Sondervermögen zu schaffen.“
Werneke behauptet, es sei möglich, die 100 Milliarden nicht etwa für Rüstung, sondern für „Ausrüstung“ der Bundeswehr, für Kriegsflüchtlinge und – angesichts der enormen Preissteigerungen – für Soziales zu verwenden. Das ist falsch. Die Pläne der Bundesregierung für das „Sondervermögen Bundeswehr“ lassen diese Möglichkeit nicht zu – zumal die Unionsparteien einer Grundgesetzänderung zustimmen müssen.
Anstatt Illusionen über die Verwendung der Mittel zu schüren, ist es Aufgabe der Gewerkschaften, den Widerstand gegen diese Regierung, ihren Kriegs- und Hochrüstungskurs zu organisieren. Wie wichtig die Debatte und Druck von unten auch innerhalb der Gewerkschaften ist, zeigt das Beispiel der ver.di-Jugend Frankfurt. Deren Unterstützung einer Antikriegsjugendkonferenz am vergangenen Wochenende führte zu einer heftigen Reaktion des ver.di-Bundesvorstandes. Er forderte die Organisatoren unter Androhung von rechtlichen Schritten auf, das Logo der ver.di Jugend von der Konferenz-Website zu entfernen. Dieser Versuch, die Gewerkschaftsjugend an der Debatte mit konsequenten Friedenskräften wie der SDAJ zu hindern, stößt überregional und vor allem innerhalb der eigenen Strukturen auf Kritik.
Der 1. Mai und der anstehende DGB-Bundeskongress in Berlin vom 8. bis 12. Mai sind für uns Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wichtige Ereignisse, die wir nutzen müssen, um die Debatte und den Kampf gegen die Hochrüstung zu verstärken. Die Kämpfe um Frieden, um höhere Löhne, gegen Preissteigerungen und Sozialabbau müssen zusammengeführt werden. Oder was erwarten wir von einer rot-grün-gelben Bundesregierung, die unter dem Stichwort „Zeitenwende“ im Schnellverfahren Milliarden für die Rüstung ausgeben will und gleichzeitig verkündet, an der Schuldenbremse festhalten zu wollen?
Quelle: Unsere Zeit