„Das letzte Lied, das letzte Lied müsst ihr euch selber singen…“
Wie die Familie von Willi Resetarits bekanntgab, starb er am Sonntag, den 24. April 2022 im Alter von 73 Jahren durch einen Unfall. Ein Nachruf von Otto Bruckner, stellvertretender Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreich (PdA).
Die Kindheit prägt uns alle auf verschiedenste Art und Weise. Bei Willi Resetarits und seinem älteren Bruder Lukas, die als recht kleine Kinder aus dem südburgenländischen Dorf Stinatz als „Krowodn“ nach Wien kamen und am Anfang kaum deutsch konnten, trifft das auf besondere Weise zu. Gerne erzählte Willi von seinen Eltern, die, wie viele andere auch, nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren nach Wien gingen, um es durch harte Arbeit „zu etwas zu bringen“. Der Vater war Bauarbeiter und später Polier, ihm widmete er das Lied von der „Arbeit“, das er als „Ostbahn-Kurti“ sang, und das in breiten Kreisen der Generation von „Hacklern“ und anderen Werktätigen, die in den 1980er Jahren und später jung waren, Kultstatus erlangte. Seine Kindheit in Favoriten und im Prater, seine Herkunft als Kind eines schwer schuftenden Bauarbeiters, prägten seine Haltung, die ihn zeitlebens durch ganz verschiedene Abschnitte seines Lebens begleitete. Er wusste, wie es denen „da unten“ geht und blieb immer ein Teil von ihnen, auch wenn er als Prominenter längst einen anderen sozialen Statuts hatte.
„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“ – getreu dieser Erkenntnis von Karl Marx schufen Willi, Georg Herrnstadt, Beatrix Neundlinger und andere mit der Band „Die Schmetterlinge“ die „Proletenpassion“, ein Monumentalwerk, das von den Bauernaufständen bis zur Oktoberrevolution 1917 – das Lied vom Heizer Jalava ist in linken Kreisen weithin bekannt – und darüber hinaus reichte. Das Werk beschäftige sich mit allen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts, dem grünen und braunen Faschismus, und reichte bis in die Gegenwart der 1970er Jahre.
Die Proletenpassion endete mit dem Liedtext „Das letzte Lied, das letzte Lied, müsst ihr euch selber singen…“. Dass manche Stellen dieses musikalisch und politisch großartigen Werkes unterschiedlich interpretiert werden konnten, war durchaus beabsichtigt. Für Konfliktstoff zwischen verschiedenen politischen Richtungen der Linken sorgte immer wieder das „Lied von der Partei“.
Im Vorfeld der Entstehung der Proletenpassion waren, wie der für die Texte verantwortliche Schriftsteller Heinz R. Unger (1938–2018) im Rahmen einer Veranstaltung der Kommunistischen Initiative in den 2010er Jahren erzählte, sehr viele Gespräche mit unterschiedlichsten Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung, mit Historikern und Kulturschaffenden geführt worden, so auch mit der politisch-ideologisch versiertesten Persönlichkeit der damaligen KPÖ-Führung, Ernst Wimmer.
Die Schmetterlinge versuchten sich danach – halb Spaß, halb Ernst – als Popband und nahmen im Jahr 1977 als Vertreter Österreich am Eurovision Song Contest in London teil, wo es aber nur für den vorletzten Platz reichte.
Ab Mitte der 1980er Jahre startete Willi Resetarits als „Ostbahn-Kurti“ durch. Die von Günther Brödl (1955–2000) erfundene Figur sang in wienerischer Mundart vom Leben und wie es manchen Menschen mitspielt. Brödl, den sie auch den „Trainer“ nannten, schrieb sämtliche Texte. Zum Teil handelte es sich um recht eigenwillige Übersetzungen sehr bekannter Blues- und Rock-Nummern etwa von Bruce Springsteen und anderen. Erst mit der „Chefpartie“ und dann mit der „Kombo“ tourte Willi alias „Dr. Kurt Ostbahn“ durch ganz Österreich und darüber hinaus.
In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gelang es der Kommunistischen Jugend, deren Vorsitzender ich damals war, die Schmetterlinge zu einer exklusiven und einmaligen Wiederaufführung der Proletenpassion zu überreden. Diese wurde open air auf der Jugendbühne des Volksstimme-Festes vor einer Kulisse von Tausenden Zuschauern gespielt. 1987 ging die Band dann mit einer leicht adaptierten Fassung in der BRD auf Tournee.
Ein weiteres Projekte der Kommunistischen Jugend war ein Auftritt von Ostbahn-Kurti beim Pfingstcamp auf dem Gelände des Jazzfestivals Wiesen im Burgenland, wo das Veranstaltungszelt zum Bersten voll war, so dass sehr viele Besucherinnen und Besucher keinen Platz mehr fanden. Willi gab als sein Alter Ego Ostbahn-Kurti immer alles, verausgabte sich total und spielte die Figur des proletarischen Kultsängers mit Herzblut. Es folgte ein weiterer Auftritt als Ostbahn-Kurti auf der Hauptbühne des Volksstimme-Festes. In dieser Zeit durfte ich Willi auch persönlich näher kennen und schätzen lernen. Er legte Wert darauf, sich politisch nicht einordnen zu lassen, quasi ein frei fluktuierender Linker zu sein, was nicht heißt, dass er nicht seine festen Ansichten gehabt hätte. Der Klasse, der er entstammte, blieb er immer verbunden und auch sonst wusste er sehr genau, wo in der Gesellschaft sein Platz war. Nicht vereinnahmt wollte er hingegen von Parteien werden.
Drei Jahre nach dem Tod von Günter Brödl wurde Dr. Kurt Ostbahn in Pension geschickt und trat nur noch bei sehr seltenen Gelegenheiten mit den „Musikern seines Vertrauens“, etwa im Wiener Prater, vor Massenpublikum auf.
Politisch engagierte sich Willi Resetarits rund um die Jahrtausendwende und danach bis zu seinem frühen Tod sehr in der Flüchtlingshilfe. Er war Mitbegründer des Wiener Integrationshauses, das es bis heute gibt, engagierte sich in zahlreichen Vereinen wie Asyl in Not und SOS-Mitmensch, und war eine Stimme für die schutzsuchenden Menschen, die von den rechten Demagogen wie Jörg Haider und Heinz Christian Strache als Verbrecher dargestellt und als Sündenböcke benutzt wurden, um sie gegen die Verlierer in dieser Gesellschaft auszuspielen.
Musikalisch ging Willi nach der „Pensionierung“ von Ostbahn-Kurti viele verschiedene Wege, so trat er in Formationen unterschiedlicher Musikrichtungen auf. Die Band „Stubnblues“ widmete sich dem klassich-ironischen Wienerlied-Spektrum und erweiterte dieses, außerdem gab es eine Zusammenarbeit mit Ernst Molden. Andere Auftritte von Willi gab es immer wieder in verschiedenen Zusammensetzungen mit Musikerinnen und Musikern aus unterschiedlichen Kulturen. Auch bei Veranstaltungen von migrantischen politischen Gruppen und Vereinen war er immer wieder Gast und engagierte sich auch für die Freilassung politischer Gefangener.
Kultstatus erlangte auch seine Sendung „Trost und Rat“ auf Radio Wien, die zwischen 2007 und 2012 fast jeden Sonntag zu hören war.
Mit Willi Resetarits verliert Österreich einen klugen Kopf, der auf eigenwillige, humorvolle, aber auch sehr ernste Weise in der Lage war, die Kritik an den herrschenden Verhältnissen auf den Punkt zu bringen. Das bescherte ihm nicht nur Freunde, was ihn wenig störte.
Das Herz dieses großartigen Humanisten und Künstlers hat zu schlagen aufgehört. Er wird durch sein kulturelles und politisches Vermächtnis weiterleben.
Quelle: Zeitung der Arbeit