Den Bossen direkt widersprechen
Mit einer klaren Mehrheit von 2.654 zu 2.131 Stimmen stimmte die Belegschaft im Amazon-Warenlager JFK8 in Staten Island, New York für die Gründung einer Gewerkschaftsvertretung beim Konzern Amazon. Das Ergebnis wurde am Freitag von der Arbeitsbehörde National Labor Relations Board bekanntgegeben.
Dem sensationellen Ergebnis waren mehrere vergebliche Versuche, eine erste betriebliche Vertretung bei dem »union buster« zu erkämpfen, gescheitert. Das zweitgrößte Unternehmen der USA hatte Millionen für gewerkschaftsfeindliche Indoktrination ausgegeben. Im April vergangenen Jahres war der Versuch gescheitert, in einem Logistikzentrum in Bessemer im Bundesstaat Alabama eine Gewerkschaft zu gründen, weil zwei Drittel der Beschäftigten dagegen gestimmt hatten.
Justine Medina arbeitet als Packerin in der Verschickung im Amazon-Warenlager von Staten Island und ist Mitglied im Organisationsteam der Amazon Labor Union (ALU). Seit 2020 ist sie Mitglied in der Communist Party of the United States (CPUSA) und engagiert sich beim Wiederaufbau der der Young Communist League.
Die Berichterstattung in den USA konzentriert sich auf den ALU-Präsidenten Christian Smalls und seine Biographie. Erfolgreiches Organisationsarbeit geht aber nur im Team, in dem du eine führende Rolle gespielt hast. Wo hast du das gelernt?
Chris ist ein großartiger Gewerkschaftspräsident. Er hat als leitendes Vorbild den vollen Respekt des Organizing-Kollektivs. Er hatte vor zwei Jahren damit angefangen, nachdem Amazon ihn rausgeschmissen hatte. Auch die meisten im Kollektiv hatten davor keine Erfahrung mit der gewerkschaftlichen Organisierungsarbeit. Ich selber mache das seit über zehn Jahren.
Begonnen hatte ich als Fundraiserin bei kleinen Nichtregierungsorganisationen und als politische Wahlhelferin für Mainstream-Demokraten. Die Bewegung »Occupy Wall Street« radikalisierte mich. Dann trat ich den Democratic Socialists of America im New Yorker Stadtteil Queens bei, wo ich 2018 für Alexandria Ocasio-Cortez Wahlkampf machte. 2020 arbeitete ich für sie bezahlt. An den Black-Lives-Matter-Revolten beteiligte ich mich ebenfalls, bis mich mehrere Festnahmen durch die Cops daran hinderten.
2020 bin ich der in die Kommunistische Partei der USA (Communist Party USA, CPUSA) eingetreten und beteiligte mich am Wiederaufbau des kommunistischen Jugendverbandes. Dadurch kam ich in Kontakt mit der ALU. Unterstützt von der Partei habe mich im vergangenen September gezielt bei Amazon anstellen lassen, um die Kolleginnen und Kollegen zu agitieren und die Gewerkschaft mit aufzubauen.
Das letzte halbe Jahr hat mein Leben verändert. Anfangs dachte ich, okay, ich helfe da nur kurz aus. Aber nach diesem Sieg werde ich hier in der Amazon-Gewerkschaft über die nächsten Jahre weitermachen.
Bei Amazon eine Gewerkschaft aufzubauen war in der Vergangenheit ein Mißerfolg. Was war dieses Mal anders?
Die Lehre aus den vergeblichen Versuchen der Vergangenheit war, daß eine Gewerkschaft wirklich aus dem Betrieb selbst heraus entstehen muß, ja, daß sie zu 100 Prozent wirklich von den Lohnabhängigen selbst gewollt und aufgebaut wird. Der Arbeiterausschuß muß im Zentrum stehen und die federführende Rolle einnehmen. Wir waren auch nicht der Überzeugung, daß eine von außen kommende Gewerkschaftsbürokratie hilfreich sein könnte und sich den Lohnabhängigen im Werk verpflichtet fühlen würde. In dieser Hinsicht verstießen wir gegen die Gewerkschaftsorthodoxie. Die versteht unter »Organizing«, professionelle Gewerkschafts-Organizer in einen Betrieb zu schicken und mit den Leuten zu sprechen. Das führt aber kaum zu einem soliden Aufbau von innen heraus.
Genau das war ein Fehler bei zurückliegenden Organizing-Versuchen. Ein zweiter Unterschied war, daß wir uns nicht scheuten zu agitieren, den Bossen direkt zu widersprechen und sie sogar gegen uns aufzubringen. Der herkömmliche Ansatz war es, versöhnlicher zu wirken und den Ausgleich zu betonen.
Weshalb mischten sich Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez und andere Prominente dieses Mal nicht ein?
In der Vergangenheit waren sie eingeladen worden und auch gekommen. Wir fanden dagegen, daß solche Besuche zwar eine große Außenwirkung, aber nur wenig Bedeutung für die Beschäftigten im Betrieb haben. Wir haben sie zwar eingeladen, aber sie kamen nicht – wohl weil sie nicht an einen Erfolg glauben wollten. Jetzt kommen sie aber und wollen helfen. Das ist ja auch gut so, nicht zuletzt für das Spendenaufkommen.
Wie geht ihr auf die zu, die gegen die Gewerkschaft gestimmt haben? Das ist mit fast 40 Prozent ja keine kleine Zahl.
Es stimmt, eine beträchliche Zahl hat dagegen gestimmt. Aber man muß die dazuzählen, die sich nicht der Wahl beteiligt haben, etwa ein Drittel der Beschäftigten. Viele der Nein-Stimmen und derjenigen, die gar nicht wählten, machten das aus Angst davor, daß sie von Amazon bestraft würden. Es gab ja etliche solche Einschüchterungsversuche. Obwohl die Wahl anonym stattfinden, fürchten viele Arbeiter, Amazon, das ja auch Daten sammelt, würde erfahren, wer wie abstimmt.
Dann gibt es etliche, die auf die gewerkschaftsfeindliche Propaganda und Lügen von Amazon reingefallen sind, etwa daß die Gewerkschaft ihnen viele Mitgliedsbeiträge abknöpfen werde oder daß die Löhne gekürzt würden. Bei der Siegesfeier kamen Beschäftigte auf uns Organizer zu und stellten neugierige Fragen, auch manche, die mit Nein gestimmt hatten. Ein paar sagten dann, wieso hat mir das vorher niemand erklärt? Amazon hat ja Millionen von Dollars ausgegeben, um die Leute mit falschen Informationen zu versorgen.
Jetzt stehen bald Verhandlungen an. Was ist zu erwarten mit den Scharen von Anwälten und Hürden, die einer der mächtigsten Konzerne der Welt auffahren wird? Wie wollt ihr dem begegnen?
Wir verstärken das, was wir bisher gemacht haben: Die Gewerkschaft weiter bauen, weiter wachsen, die Leute zu Informationsveranstaltungen einladen, Aufklärungsmaterial versenden. Wir erwarten jetzt sehr viel mehr Zuspruch. Wir teilen uns in Abteilungsausschüsse auf, wählen Betriebsräte und Verhandlungsführer, so demokratisch und transparent wie nur möglich.
Und bei allem beobachten wir genau die Tricksereien, die der Betrieb versucht, und klären die Belegschaften darüber auf. Das öffnete in den Wochen zuvor schon vielen Kolleginnen und Kollegen die Augen darüber, was die Amazon-Bosse so alles an legalen und illegalen Methoden anwenden, um bloß keine Gewerkschaft zuzulassen.
Dank unserem Erfolg erwarten wir natürlich ein hohes Spendenaufkommen, mit dem wir dann umso mehr für die Arbeiterfortbildung ausgeben können. Das schließt die Vorbereitung auf direkte Aktionen mit ein, vom Verfassen von Petitionen bis zu Streiks, um Amazon an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek