Frieden geht nur mit Russland und China
Der Parteivorstand der DKP diskutierte im Rahmen seiner Tagung am vergangenen Wochenende intensiv den Krieg in der Ukraine. Der Parteivorsitzende Patrik Köbele leitete die Debatte mit einem Referat ein, das wir hier in Auszügen dokumentieren.
Es besteht unter uns Einigkeit, dass die Russische Föderation ein kapitalistisches Land ist. Somit dürfte Einigkeit bestehen, dass die Regierung der Russischen Föderation den ideellen Gesamtkapitalisten des Landes darstellt. Dabei wissen wir, dass es zwischen der herrschenden Kapitalistenklasse und ihrer Regierung kein einfaches Befehlsverhältnis gibt, sondern der Regierung eine relative Selbstständigkeit zukommt, die sich aus der Aufgabe ergibt, unterschiedliche Interessen einzelner Kapitalfraktionen zu einem möglichst einheitlichen Handeln der Regierung und des Staates im Interesse des herrschenden Kapitals zusammenzuführen.
Diskussionen gibt es unter uns, ob sich die Russische Föderation bereits im imperialistischen Stadium der Entwicklung des Kapitalismus befindet.
Ihr wisst, dass Lenin fünf Merkmale für die Charakterisierung des Imperialismus benennt, von denen drei sich auf die Entwicklung der nationalen Ökonomie und zwei auf die Entwicklung internationaler Verhältnisse beziehen. Wenn wir die ersten drei Merkmale auf Russland anwenden, dann ist das erste – „Konzentration der Produktion und des Kapitals und Bildung von Monopolen, von denen jeweils einige wenige ganze Industriezweige beherrschen“ – in Russland sicherlich gegeben. Es spricht viel dafür, dass das zweite – „die Verschmelzung der Monopole in der Industrie und im Bankwesen zum Finanzkapital“ – ebenfalls gegeben ist. Bei beidem sollten wir allerdings im Auge behalten, dass als geschichtliche Besonderheit des Übergangs zum Kapitalismus durch eine Konterrevolution ein hoher Einflussgrad und Eigentumsanteil des kapitalistischen Staates bestehen. Das ist ein Unterschied zu hoch entwickelten staatsmonopolistischen Gesellschaften – wie etwa Deutschland, die USA, Frankreich oder Britannien. Ein weiterer Unterschied ist die Entwicklung der russischen Monopole und Oligarchen aus dem sowjetischen Volkseigentum. Das gleicht eher den Prozessen der ursprünglichen Akkumulation als den Prozessen der Entstehung der westlichen Monopole im Konkurrenzkampf bei der Herausbildung des Imperialismus.
Einschätzung Russlands
Das dritte Charakteristikum, dass „der Kapitalexport gegenüber dem Warenexport vorrangige Bedeutung gewinnt“, scheint mir in Russland nicht erfüllt zu sein. Die Kapitalabflüsse aus Russland gehen zu großen Teilen in Steuerparadiese wie Zypern, die Schweiz oder Luxemburg. Diese dienen nicht dazu, sich direkt in andere Kapitalien einzukaufen, wie es aus meiner Sicht beim von Lenin genannten Kapitalexport gemeint ist. Eines von drei Kriterien ist meines Erachtens nicht erfüllt. Ich neige deshalb zur Position, dass es sich bei Russland um ein kapitalistisches Land handelt, welches das imperialistische Stadium noch nicht erreicht hat.
Aber: Diese Frage ist nicht entscheidend, wenn es um die Beurteilung des jetzigen Krieges geht. Warum nicht? Seit Ende des Ersten Weltkriegs wissen wir, dass imperialistische Nationen abgehängt oder durch andere imperialistische Nationen unterdrückt werden können. Durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg geriet der deutsche Imperialismus in eine solche Situation. Das zog sich über ein Jahrzehnt hin. Die KPD veröffentlichte eine programmatische Schrift „zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“.
Die KPD tat das, um die Frage der nationalen Befreiung nicht den Faschisten zu überlassen, sie tat das, weil die herrschende Klasse die Lasten der Niederlage im Weltkrieg und deren Folgen auf die Werktätigen abwälzte. Diese Orientierung der KPD war richtig, aber bei einem unterdrückenden imperialistischen Land verbietet sich die Formulierung „nationale Befreiung“, weil man damit Teil der Integrationsstrategie des Imperialismus wird.
Folgen der Konterrevolution
Nach der Konterrevolution merkten alle Klassen und Schichten des neuen kapitalistischen Russlands, dass es im imperialistischen Stadium keine Gleichberechtigung geben kann. In den verschiedenen Ländern herrschen zwar Kapitalistenklassen, die bezüglich der inneren Ausbeutungsverhältnisse ein gleichgerichtetes Klasseninteresse haben. Dem entgegen stehen die imperialistische Konkurrenz und die Gesetzmäßigkeit der ungleichmäßigen Entwicklung im Kapitalismus.
Die russischen Klassen und Schichten lernten, dass die führenden Imperialisten Russland den Rang eines rohstoffliefernden Vasallenstaates zuweisen wollten. Ein Teil der kompradorenhaft agierenden neuen Bourgeoisie war bereit, darauf einzugehen – ein gutes Leben auf dem Rücken der Werktätigen war ja trotzdem möglich. Für diesen Teil stand Boris Jelzin. Ein anderer Teil wollte sich damit nicht arrangieren, für diesen Teil stand Wladimir Putin. Um dieser Unterordnung unter den Imperialismus etwas entgegensetzen zu können, war eine Integrationsstrategie gegenüber den Werktätigen nötig. Dies führte dazu, dass der ideelle Gesamtkapitalist gar nicht darum herumkam, sich positiv auf die Sowjetunion und ihre Geschichte zu beziehen. Gleichzeitig geht das Teilen der heute dominierenden Kapitalfraktionen, die Putin stützen, offensichtlich zu weit. Dies dürfte der Hintergrund für den widersprüchlich bis manchmal irrational wirkenden Umgang Putins mit der Sowjetgeschichte sein, der sich in seiner langen Rede vor Beginn des Krieges spiegelt.
Wjatscheslaw Tetekin, Mitglied des ZK der KPRF, schreibt in einem Artikel, dass sich Russland und die Ukraine hinsichtlich des Klassencharakters gar nicht so sehr unterscheiden. Beide Länder seien beherrscht von einer oligarchisch-bürokratischen Macht. Die russische Macht, im Unterschied zur Ukraine, greife aber nicht auf Faschisten zurück und stehe nicht unter US-Kontrolle.
Der Krieg in der Ukraine
Wenn wir den jetzigen Krieg charakterisieren, dann ist er ein Angriffskrieg – er begann mit dem russischen Angriff. Dabei ist ein Unterschied zu machen zwischen dem Angriff auf die Gebiete der Volksrepubliken, die von der Ukraine besetzt waren, also die Gebiete von der sogenannten Kontaktlinie bis zu den Grenzen der beiden Oblast-Gebiete Lugansk und Donezk, und dem Angriff auf das übrige Territorium der Ukraine.
Vieles spricht dafür, dass die beiden Volksrepubliken spätestens mit der Anerkennung von Minsk-2 durch den UN-Sicherheitsrat zu völkerrechtlichen Subjekten geworden waren. Der Boykott von Minsk-2 sowie der Krieg gegen die Volksrepubliken durch die Ukraine macht die Anerkennung der Volksrepubliken durch die Russische Föderation nachvollziehbar.
Für mich spricht vieles dafür, dass die Anerkennung der Volksrepubliken völkerrechtlich nach Boykott und Krieg legitim ist. Damit gilt das für die Beistandsabkommen und letztlich für die militärische Unterstützung der Volksrepubliken gegen die ukrainische Armee. Für die Bevölkerung des Donbass stellt diese Seite des Angriffs Russlands die Hoffnung auf die Beendigung des achtjährigen Krieges dar.
Der Angriff auf die Restukraine ist zuerst ein Angriffskrieg. Solche Kriege widersprechen dem Völkerrecht, der UN-Charta. Allerdings wäre eine Verhinderung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs legitim.
Vieles wurde getan, um der Russischen Föderation einen Angriff zu suggerieren. Ich beziehe mich auf Jacques Baud, ehemaliger Militär und Geheimdienstler der Schweiz und früherer UNO-Mitarbeiter. Er verweist darauf, dass der ukrainische Präsident Wladimir Selenski bereits im März 2021 ein Dekret zur Rückeroberung der Krim unterzeichnet hat und dass im Februar 2022 die Provokationen der ukrainischen Armee im Donbass massiv zugenommen hatten.
Ich halte es für möglich, dass dies den Zweck hatte, die russische Regierung zu einem Militäreinsatz zu provozieren, sie also in eine Falle zu locken. Ich halte auch für möglich, dass tatsächlich ein Großangriff der Ukraine auf die Volksrepubliken geplant war. Ich halte es für möglich, dass mit der Aufrüstung der Ukraine der Zweck ihrer schleichenden Integration in die NATO verfolgt wurde. Blickt man auf die Landkarte und schaut sich noch einmal die Wellen der NATO-Osterweiterung an, dann wird deutlich, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine für Russland den Sack zumachen würde.
Seit 2007 hat Präsident Putin darauf immer wieder hingewiesen. Zuletzt wurden der NATO und der EU Ende vergangenen Jahres Vorschläge für eine vertragliche Vereinbarung vorgelegt, die eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine verhindern sollten. Diese wurden durch NATO, EU, USA, Deutschland, Frankreich und Britannien brüsk vom Tisch gewischt.
Viele sagen, das alles rechtfertige keinen Angriffskrieg. Und solange der Charakter ausschließlich der eines Angriffskriegs ist, ist das richtig. Das ist aber genau die Frage, über die wir uns eine Meinung bilden müssen.
Wir sind uns einig, dass der Angriff der Russischen Föderation einen weiteren Schritt in der Aushöhlung – wir sprachen von Kannibalisierung – des Völkerrechts darstellt. Diese Aushöhlung wurde seit 1990 in unterschiedlichen Konstellationen von NATO-Staaten betrieben – die Stichworte dazu sind Jugoslawien, Syrien, Irak, Libyen. Dazu gehört die unmenschliche und völkerrechtswidrige Sanktionspolitik gegen Kuba, Venezuela, den Iran und andere. Dazu gehört die vertragsbrüchige Stationierung von NATO-Kontingenten an der russischen Grenze.
Deshalb haben wir uns in der zweiten Erklärung des Sekretariats auf die Formulierung des Außenministeriums der Republik Kuba bezogen, die den Krieg als „Anwendung von Gewalt und Nichtbeachtung von Rechtsgrundsätzen und internationalen Normen“ be- und damit verurteilt, aber gleichzeitig darauf verweist, dass dieser schreckliche Krieg eine Vorgeschichte hat.
Oftmals wird argumentiert, dass wir die Kriege des Imperialismus immer als völkerrechtswidrig eingeschätzt haben. Das stimmt und es war richtig, weil wir in keinem dieser Fälle darüber nachdenken mussten, ob die Kriege geführt wurden, weil ein Angriff der Gegenseite drohte. Wir mussten nie über eine ähnliche Situation wie die der Menschen im Donbass nachdenken.
Formierung in Deutschland
Ursula Vogt sagte im Bezirksvorstand Nordbayern:
„Der ukrainische Botschafter Andrej Melnik bekommt im Bundestag Standing Ovations. Eben genau dieser provozierende und in Talkshows pöbelnde Andrej Melnik, der bei seinem Besuch in München am 27. April 2015 am Grab des ukrainischen Antisemiten und Nazikollaborateurs Stepan Bandera Blumen niederlegte.
Wir haben uns in unserer Partei geschult zum Thema der Formierung der Gesellschaft. Wir haben uns geschult in Sachen Manipulation und der modernen Techniken der Massenbeeinflussung. Wir sollten in der Lage sein zu erkennen, dass für uns die größte Gefahr im Moment die Ausrichtung des deutschen Volkes auf den nächsten Ostlandritt ist. Umso mehr ist es oberste Aufgabe unserer Partei, kühlen Kopf zu bewahren. Um es klar zu sagen: Mit Entsetzen und Empörung und Schrecken werden wir nicht weit kommen.
Die Bandbreite der Meinungen in unserer Partei ist groß. Es gibt einige, die bereits ausgetreten sind, weil sie in den Erklärungen des Parteivorstands keine eindeutige und scharfe Verurteilung des ‚Aggressors Putin/Russland‘ sehen. Es ist in Reden und Flugblättern die Rede von dem ‚durch nichts zu rechtfertigenden‘ Angriff Russlands. Es gibt andererseits Genossinnen und Genossen, die in dem Einmarsch des russischen Militärs in der Ukraine einen Akt der Nachvorneverteidigung sehen. Es gibt Überlegungen, ob Russland den westlichen Falken auf den Leim gegangen ist. Es gibt die Warnung vor einer nächsten Falle wie Afghanistan. Das Sekretariat des Parteivorstands hat in dieser Situation, die uns alle überrascht hat, von der wir alle wie vor den Kopf geschlagen waren, das einzig Richtige getan: Es hat auf die Hintergründe dieses Krieges hingewiesen, es hat die NATO als den eigentlich ursächlichen Aggressor identifiziert, es hat die Rückkehr zur Diplomatie und an den Verhandlungstisch gefordert und auf diesem Weg die Einstellung der kriegerischen Handlungen. Die Partei hat darüber hinaus festgestellt, dass wir eine fürchterliche Niederlage erlitten haben. Wir konnten dem Kriegstreiben unserer Herrschenden keinen Einhalt gebieten. Das ist die konkrete und bittere Anwendung der Erkenntnis: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“
Unabhängig davon, wie man zu diesem Krieg steht, ob man den russischen Angriff verurteilt oder nicht, kommt man nicht darum herum, sich mit den von Russland formulierten Zielen dieses Angriffs auseinanderzusetzen: Die Neutralität der Ukraine, ihre Demilitarisierung und ihr Verzicht auf Atomwaffen beziehungsweise deren Stationierung auf dem Gebiet der Ukraine. Darüber hinaus die Anerkennung der beiden Volksrepubliken sowie die Zugehörigkeit der Krim zu Russland und schließlich die Zurückdrängung des Einflusses faschistischer Kräfte.
All diese Punkte werden letztlich in irgendeiner Form Bestandteil eines Systems sein müssen, das die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands, der Ukraine und der beiden Volksrepubliken beinhaltet. Ein solches System schließt einen NATO-Beitritt der Ukraine genauso aus wie den Beitritt zur EU, denn auch der EU-Grundlagenvertrag beinhaltet in Artikel 42, Absatz 7, die militärische Komponente. Ein solches System fordern wir. Und wir sagen: Eine dauerhafte Friedensordnung in Europa kann es ohne Russland nicht geben – und für eine dauerhafte Friedensordnung geht es um ein Rollback der NATO.
Die internationale Lage
Bei NATO-Osterweiterung, Jugoslawienkrieg und Umzingelung Russlands geht es vor allem gegen China. Bekannt ist die US-amerikanische Forderung, dass die europäischen NATO-Staaten hochrüsten müssten, um den USA die stärkere Fokussierung auf China zu ermöglichen.
Dies ist in diesem Krieg zu spüren. Es wird versucht, die engen Verbindungen zwischen Russland und China zu stören. Die Propaganda gegen China wird fortgesetzt. Die führenden Imperialisten wissen sehr genau, dass China der „systemische“ Gegner ist.
China hat mittlerweile eine Stärke erreicht, die es ihm erlaubt, Außenpolitik im globalen Maßstab zu betreiben, in der sich ihr Interesse an der Friedensschaffung und Friedenserhaltung niederschlägt. Von den Vetomächten im UN-Sicherheitsrat ist China die einzige, die noch in der Lage wäre, im Krieg in der Ukraine eine vermittelnde Rolle einzunehmen, weil sie nicht Kriegspartei ist.
Geopolitische Auswirkungen
Erstens hat sich in dramatischer Weise erwiesen, dass die NATO-Osterweiterung Krieg verursacht. Dies wird verdeckt, weil die massive Propaganda wirkt und Friedenskräfte umfallen – das erleben wir vor allem in der Linkspartei.
Zweitens ist die Gefahr riesig, dass sich der Krieg zu einem Flächenbrand ausweitet, die Gefahr eines Atomkriegs ist enorm. Da reichen die massiven Waffenlieferungen der NATO an die Ukraine, die jederzeit Angriffsziel sein können. Die von manchem NATO-Aggressor geforderte Flugverbotszone wäre eine dramatische Eskalation, der Übergang zu einer direkten Konfrontation zwischen Russland und der NATO nicht mehr vermeidbar.
Drittens drängt die ganze Entwicklung Russland enger nach China. Indien scheint sich eine größere Unabhängigkeit zu erarbeiten.
Viertens schweißt der Krieg die NATO zusammen. Dies könnte eine Entwicklung sein, die sich schnell als trügerisch erweist. Die Sanktionspolitik ist neben den Auswirkungen auf die Menschen in Russland Teil des Konkurrenzkampfs zwischen den USA, der EU und Deutschland. Kein Gas mehr aus Russland, dafür Fracking-Gas aus den USA – ein einfaches Beispiel. Viele Tatsachen sprechen dafür, dass die Ökonomien in Deutschland und der EU wesentlich härter von den Rückwirkungen der Sanktionspolitik getroffen werden als die der USA. Schneidet sich die herrschende Klasse in Deutschland also ins eigene Fleisch oder hofft sie tatsächlich auf den „Ruin Russlands“, wie Annalena Baerbock sagt? Brandgefährlich ist die Sache in jedem Fall.
Auswirkungen in Deutschland
Ich habe mir die Bundestagssitzung am 27. Februar angesehen und war geschockt. Mit etwas Abstand scheint sie mir Züge einer großen Inszenierung gehabt zu haben. Wir wissen heute, dass die Großmachtambitionen, die Rüstungspläne, der verkündete ideologische Kampf gegen alle NATO- und Hochrüstungskritiker, die Ankündigung, endlich Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, die Entscheidung für bewaffnete Kampfdrohnen und die Modernisierung der Bomber für die nukleare Teilhabe nicht Entscheidungen waren, die in drei Tagen getroffen wurden. Diese Entscheidungen nahmen den russischen Angriff als Anlass – Ursache für diese Entscheidungen ist er keineswegs, die Pläne waren längst erarbeitet.
Die Ampel, gestützt durch die CDU, hat offensichtlich den Auftrag, den deutschen Großmachtanspruch mit einem qualitativen Sprung zu befördern und durchzusetzen. Insofern war diese Bundestagssitzung eine Zäsur.
Wir haben es mit dem größten Hochrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik zu tun – Hochrüstung soll Verfassungsrang bekommen. Wir werden es mit einem erneuten Umbau der Bundeswehr zu tun bekommen. Nachdem nun lange Zeit Auslandseinsätze mit überschaubaren Kontingenten in allen Teilen der Welt erlernt wurden, soll die Bundeswehr zusätzlich zum Führen großer Kriege in Europa befähigt werden.
Ökonomisch wird eine tiefe Rezession, eine massive Inflation in Kauf genommen, weil die Herrschenden sich wohl recht sicher sind, dass die Massen bereit sind „gegen Putin zu frieren“. Das heißt, sie gehen davon aus, dass dieser Kurs durch sozialen Kahlschlag bezahlt wird und die Massen trotzdem eingebunden und daher ruhig bleiben.
Das wird ideologisch, aber auch mit Repression abgesichert. Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber der Umgang mit „RT“ und „Sputnik“ ist ein massiver Anschlag auf die Pressefreiheit. Im Arbeitsrecht werden neue Präzedenzfälle für Berufsverbote geschaffen. Die Russophobie wird angeheizt und der Verfassungsschutz in Stellung gebracht.
Die Einbindung der Massen kann brüchig werden. Spätestens, wenn wir alle unsere Heizkostenabrechnung bekommen, wird es für viele eng. Die versteuerten und damit erheblich minimierten 300 Euro Zuschuss werden dann schon mehrfach von den höher gewordenen Lebensmittelpreisen aufgefressen sein. Und: Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose, ALG-II-Bezieher bekommen – Stand heute – sowieso wesentlich weniger oder gar nichts. Der ideologische Zusammenhalt, die Bereitschaft, gegen „den Russen zu frieren“, ist für die Herrschenden also recht wichtig. Und sie haben natürlich noch die Möglichkeit, Brüche nach rechts umzuleiten. Aus meiner Sicht wird sich das vor allem an der Frage entscheiden, ob es den Herrschenden gelingt, ihre Lüge aufrechtzuerhalten, dass dieser Krieg am 24. Februar 2022 begann. Wenn der Jugoslawienkrieg vergessen wird, wenn keiner über die seit 1999 laufende NATO-Osterweiterung redet. Wenn schließlich der achtjährige Krieg der Ukraine gegen den Donbass verschwiegen wird – dann ist das ideologisch die Voraussetzung zur Einbindung der Massen in den Kurs gegen Russland und China. Dann ist das die Voraussetzung, dass die Massen diesen Kurs auch noch möglichst freiwillig bezahlen.
Situation der Friedensbewegung
Die Chancen, das zu verhindern, steigen in dem Maße, wie es uns gelingt, die Wut über die sozialen Angriffe, über die Inflation, über die Explosion von Energiepreisen und Mieten in einen Zusammenhang mit den Hochrüstungs- und Großmachtplänen des deutschen Imperialismus zu bringen.
Wir müssen nüchtern bilanzieren, dass die größten Teile der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung der geschichtslosen Analyse der jetzigen Situation völlig auf den Leim gehen. Für sie gibt es nur einen Aggressor: Russland und Putin – die NATO spielt kaum mehr eine Rolle und das Hochrüstungspaket der Bundesregierung wird in mehr oder minder großem Umfang nicht nur akzeptiert, sondern zum Teil als nötig empfunden.
Das hat natürlich damit zu tun, dass wiederum eine sozialdemokratisch geführte Regierung die Drecksarbeit macht, aber als alleinige Erklärung ist das zu kurz gegriffen.
Ich sehe es als Teil unserer Niederlage. Wir hatten die Illusion, dass eine politisch fundierte Friedenshaltung zumindest im Funktionärskörper der Gewerkschaftsbewegung breiter verankert war.
Die Linkspartei zerlegt sich derzeit. Wobei ich erwarte, dass das Ergebnis dieses Zerlegens weniger Spaltungstendenzen sein werden als vielmehr die Integration der Linkspartei in die Strategie des deutschen Imperialismus. Die Rosa-Luxemburg Stiftung hat sich schon aus der Unterstützung von NATO-kritischen Veranstaltungen zurückgezogen, weil dies inhaltlich heute nicht mehr im Fokus stehe und überlebt sei.
In den traditionellen Strukturen der Friedensbewegung gibt es nicht wenige, die sich der Einbindung widersetzen. Dazu gehören auch einzelne Friedensstrukturen innerhalb von Einzelgewerkschaften. Das muss gestärkt werden, vor allem da die Herrschenden einiges daran setzen, eine „alternative“ Friedensbewegung zu installieren, deren zentraler Inhalt „Solidarität mit der Ukraine“ ist – also Solidarität mit einem nationalistischen Staat, der seit acht Jahren einen blutigen Krieg gegen den Donbass führt. Da erschallen dann plötzlich Friedenslieder und danach „Ruhm der Ukraine, Ruhm den Helden“, der alte antikommunistische und faschistische Slogan, mitgebrüllt oft von Menschen, die tatsächlich nur Angst vor dem Krieg haben.
Mit dieser Situation umzugehen ist mit „dicke Bretter bohren“ zu harmlos beschrieben. Wir müssen überall, auf allen Ebenen diskutieren und entscheiden, wo und wie wir unsere wenigen Kräfte am effektivsten einbringen. Das gilt für Strukturen der Friedensbewegung, das gilt für die Teilnahme an öffentlichen Aktionen, das gilt aber vor allem auch für Strukturen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung.
Aufgaben im Friedenskampf
Ich glaube, dass sich einigermaßen trennscharf formulieren lässt, was aus unserer Sicht Gemeinsamkeiten und Trennendes im Kampf um Frieden darstellt.
Wir sind solidarisch mit allen Menschen, die unter Kriegen leiden, das betrifft die Menschen in der Ukraine, in den Volksrepubliken, die direkt von den Kampfhandlungen betroffen sind, das betrifft die Menschen in Russland, die unter den Sanktionen leiden, das betrifft die Millionen Geflüchteten insgesamt und diejenigen, welche nach Deutschland kommen. Eine Grenze, die wir aber nicht mit überschreiten können, ist die Grenze zur Solidarität mit der Ukraine, also dem Staat, der Regierung. Dieser führt Krieg – und zwar, wie bereits gesagt, seit schon acht Jahren.
Hinsichtlich der Geflüchteten wollen wir, dass alle, die vor Krieg flüchten, vernünftige und gute Lebensbedingungen erhalten. Die Flüchtlinge aus der Ukraine können nichts dafür, dass durch die politische Instrumentalisierung nun offensichtlich mehrere Klassen von Flüchtlingen existieren. Auf die Heuchelei müssen wir aber schon hinweisen.
Die Forderung nach der Herstellung der territorialen Souveränität der Ukraine können wir nicht teilen, wenn sie die Realität der Krim und der Volksrepubliken rückgängig machen will. Die Umsetzung dieser Forderung hätte vermutlich Massaker an den dort Wohnenden zum Ergebnis und würde geopolitisch und militärstrategisch der Aggressionsstrategie der NATO dienen.
Solidarität mit den Menschen in der Ukraine heißt für uns auch, Solidarität mit den Menschen zu üben, die seit Jahren verfolgt werden, weil sie für Frieden mit Russland eintreten, heißt Solidarität mit der Kommunistischen Partei der Ukraine und dem Komsomol, deren Mitglieder und Freunde aktuell von Verfolgung, Lynchjustiz und Mord bedroht sind. Ja – wir sind solidarisch mit allen Kriegsopfern in der Ukraine, aber die besondere Bedrohung ukrainischer Antifaschisten und Kriegsgegner durch die Regierung Selenski, deren Organe und nationalistische und faschistische Banden erfordert unsere besondere Solidarität: Freiheit für unsere Genossen Michail und Aleksander Kononowitsch! Genauso gehört unsere besondere Solidarität den vergessenen Opfern des Krieges der Ukraine gegen die Donbassrepubliken.
Unsere Orientierungen, die wir in der Friedensbewegung vertreten und die wir als Mitglieder der Gewerkschaften dort einbringen, sind klar:
- Es geht gegen das Hochrüstungsprogramm der Bundesregierung, gegen die 100 Milliarden Sondervermögen, die im Grundgesetz verankert werden sollen, und die Steigerung des Rüstungshaushalts auf 80 Milliarden Euro, also gegen das 2-Prozent-Ziel.
- Es geht gegen die Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen und die neuen F-35-Bomber für Büchel, es geht gegen die „atomare Teilhabe“, den Griff des deutschen Imperialismus nach der Atombombe.
- Es geht gegen die NATO, deren Osterweiterung und Aggressionspolitik zentrale Ursachen des jetzigen Krieges sind. Es stimmt immer noch: „Deutschland raus aus der NATO – NATO raus aus Deutschland!“
- Es geht darum, dass dieser Krieg seine Vorgeschichte im achtjährigen Krieg der Ukraine gegen die Donbass-Volksrepubliken hat – über diesen Krieg wurde in den bürgerlichen Medien in der Vergangenheit nicht berichtet und heute wird er mit Absicht vergessen.
- Es geht gegen die völkerrechtswidrige Sanktionspolitik, gegen eine Großmachtpolitik des deutschen Imperialismus, die Russland ruinieren will und die gnadenlos auf dem Rücken der Menschen in Russland und Deutschland ausgetragen wird.
- Es geht gegen Rüstungslieferungen an die Ukraine, weil Waffenlieferungen und Hochrüstung keinen Frieden schaffen.
- Wir wollen weder die Waffen für die Ukraine noch für eine sonstige Beteiligung Deutschlands an der NATO und an diesem Krieg bezahlen.
- Es geht gegen Russophobie und neue Repression gegen Friedenskräfte. Wir bleiben dabei: „Für Frieden mit Russland und China“ – das dient den Menschen in Deutschland und Europa, das dient dem Frieden in der Welt.
- Und vor allem: Der Krieg muss aufhören, die Waffen müssen schweigen. Dafür brauchen wir ein System, das die legitimen Sicherheitsinteressen der Ukraine, Russlands und der Volksrepubliken sichert. Als zweiten Schritt brauchen wir ein Rollback der NATO.
Diese Ziele werden wir dann strategisch besser erreichen können, wenn den Menschen klar wird, dass es nicht in ihrem Interesse ist, für die NATO-Aggression, für die deutsche Hochrüstung und für die Verlängerung des Krieges durch Waffenlieferungen zu bezahlen.
Dieses Ziel werden wir strategisch besser erreichen, wenn die Menschen verstehen, dass die jetzige Inflation, dass die jetzigen Energiepreise, dass die jetzigen Lebensmittelpreise Ergebnis dessen in Kombination von Mitnahmeeffekten durch Konzerne sind.
Sie nennen es „Frieren gegen Putin“ und tatsächlich ist es Zahlen für die NATO-Osterweiterung, für deutsche Großmachtpläne und in Konzernkassen.
Quelle: Unsere Zeit