26. Dezember 2024

Kiew erlässt „Kriegsarbeitsrecht“

[otw_shortcode_info_box border_style=“bordered“]ÖGB in großer Sorge über die gewerkschaftsfeindlichen Entwicklungen in der Ukraine (Okt. 2021) – und anlässlich des Kriegsarbeitsrechts heute?[/otw_shortcode_info_box]

Dass das rechts-nationale Oligarchen-Regime in der Ukraine nicht gerade ein „Arbeiterparadies“ ist, dürfte selbst für heutige Selenskyi-Apologeten außer Streit stehen. Entsprechend ließ denn auch der ÖGB noch im Oktober 2021 verlautbaren: „Der ÖGB ist wie viele Gewerkschaften Europas in großer Sorge über die Entwicklungen in der Ukraine. Die geplanten Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen können nicht widerstandslos akzeptiert werden“ – und prangerte Selenskyis offen arbeiter- und gewerkschaftsfeindliche Politik an.

Den Machthabern in Kiew von West-Parvenü Wiktor Juschtschenko und „Gasprinzessin“ Julija Timoschenko, über den „Schokokönig“ Petro Poroschenko bis zu Selenskyi waren die aus der Sowjetzeit ererbte Arbeitsgesetzgebung und Gewerkschaftsfreiheit schon lange ein Dorn im Auge. Schon zu Poroschenkos Frontalangriff im Frühherbst 2015 meinte etwa der Präsident des unabhängigen ukrainischen Gewerkschaftsverbandes KPVU Michail Wolynez pointiert: Die aus dem Maidan hervorgegangene Kiewer Putschregierung will „im Interesse des Investitionsklimas die ukrainischen Arbeiter zu Sklaven machen“.

Nach zahlreichen „Reformen“ des ukrainischen Arbeitsgesetzes wurden unter dem neuen politischen Statthalter der blau-gelben Oligarchen, Wolodymyr Selenskyi, Ende Dezember 2019 dann die Kollektivverträge in der Ukraine gesetzlich ausgehebelt, sprich: abgeschafft und durch Einzelverträge ersetzt, die auch gegenüber gesetzlichen Mindeststandards Vorrang haben.

Die Proteste und Mobilisierungen der ukrainischen Beschäftigten hiergegen im Jänner 2020 standen denn auch vielsagend unter dem Motto: „Gegen legalisierte Sklaverei“. Zu dem im Februar desselben Jahres von den Gewerkschaften der Ukraine organisierten landesweiten Protesttag riefen zudem auch mehrere internationale Gewerkschaftsverbände (bis in die USA) weltweit zu Solidaritätsaktionen, u.a. unter dem Hashtag #HandsOffUkraineUnions, auf.

Parallel mit diesem Radikalumbau, die die etablierte Arbeitsrechtsordnung geradezu auf den Kopf stellt und kollektive Vereinbarungen und gesetzliche Mindeststandards zur Makulatur degradiert, wurden mit der Arbeitsgesetzesnovelle auch die Rechtmäßigkeit (der in anderen Ländern zunehmend verbotenen) Arbeit auf Abruf (in Österreich vielfach auch als KAPOVAZ: Kapazitätsorientierter variabler Arbeitszeit, firmierend) auf den Weg gebracht, Kündigungen erleichtert und die Verantwortung der Unternehmer für die Nichtzahlung von Löhnen markant geschliffen.

Gleichzeitig mit der brachialen Arbeitsrechtsnovelle ging es den Gewerkschaften auch ganz direkt an den Kragen und wurden diese zudem im großen Maßstab enteignet. „Offiziell“, so auch der ÖGB seinerzeit, „sollen die Gewerkschaftsimmobilien als ehemaliges sowjetisches Eigentum enteignet werden; in Wirklichkeit, so der Vizepräsident des Gewerkschafts-Dachverbands FPU (Föderation der Gewerkschaften der Ukraine) Oleksandr Shubin, gehe es aber um die wertvollen Gewerkschaftshäuser, die meist auf den Hauptplätzen fast aller großen Städte stehen.“

Im Zusammenhang der anhaltenden großen Bergarbeiterstreiks seit dem Jahr darauf, zeigte der schon aus seiner Zeit als TV-Komiker bekannte Gewerkschaftsfeind Wolodymyr Selenskyj abermals unmissverständlich seinen Standort im Klassenverhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Die brutale Unterdrückung der Streikführer durch die bestreikten Grubenbesitzer wurde (von dem am Tropf der Oligarchen, allem voran jenen des „Kohleoligarchen“ Rinat Achmetow sowie jenen des berüchtigten „Bankenzars“ und Asow-Förderers Igor Kolomojskij hängenden) neuen Präsidenten ebenso gedeckt, wie die Strafverfahren gegen aktive Streikende und Anklagen gegen die Kumpels wegen „Anstiftung zu Massenunruhen“. Selbst der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU wurde in die Niederbügelung des Arbeitskampfs sowie Unterdrückung und Einschüchterung der Streikführer und mehrere Dutzend der aktivsten Kumpels eingebunden und ohne viel Federlesen mobil gemacht.

Unter dem nun herrschenden Kriegsrecht hat Kiew das Arbeitsrecht mit dem Gesetz 2136-IX „Über die Organisation der Arbeitsbeziehungen unter dem Kriegsrecht“ (vorerst für die Dauer des Kriegszustands) per Dekret Selenskyis weiter verschärft. Unternehmer können die Wochenarbeitszeit nach Gutdünken von 40 auf 60 Stunden hinaufgesetzen, arbeitsfreie staatliche Feiertag verkürzen oder ganz kassieren, Überlaubstage streichen. Die Begrenzung von Überstunden wurde ebenso aufgehoben wie Kündigungen weiter wesentlich erleichtert.

„Die Geschäftsführer können“ zudem, so Benjamin Kirchhoff, „verlangen, dass die Beschäftigten Arbeiten verrichten, die nicht in ihrem Arbeitsvertrag festgeschrieben sind, wenn das zu Verteidigungszwecken erforderlich ist, sofern diese Tätigkeit nicht die Gesundheit der Arbeiter beeinträchtigt.“ Ebenso können Frauen jetzt, was nach den dahingehend bis dato noch aus der Sowjetunion ererbten Arbeitsschutzbestimmungen verboten war, auf Weisung der Firmenleitungen auch zu körperlich schweren und gefährlichen Arbeiten (etwa in Bergwerken oder Tagebau) verpflichtet werden.

„Die Unternehmer können den Arbeitsvertrag, insbesondere im Falle einer erzwungenen Arbeitsniederlegung aufgrund der Kriegsmaßnahmen aussetzen und den Lohn vorenthalten. Die Zahlung des Gehalts und anderer Garantien und Entschädigungen wird dem ‚Staat, der die militärische Aggression begeht‘, also Russland, übertragen.“ Der in der Ukraine nun in Kraft gesetzte Erlass eines ‚Kriegsarbeitsrechts‘ hebt in der Tat, wie Kirchhoff zutreffend zusammenfasst „denKündigungsschutz, Lohnansprüche, Arbeitsschutzbestimmungen und Rechte aus Tarifverträgen in weiten Teilen auf“, die von den Oligarchen und Otto-Normal-Kapitalisten nun auch jederzeit einseitig gekündet werden können. (Ausführlicher zum nun in Kraft getretenen „Kriegsarbeitsrecht“ https://www.jungewelt.de/beilage/art/425243)

Jegliche Streiks wiederum wurden flankierend zu diesem Frontalangriff verboten. Die Gewerkschaften ihrer Funktion als Kollektivvertragspartner enthoben.

Ukrainische GewerkschafterInnen zweifeln indes am vorübergehenden Charakter des erlassenen neuen Gesetzes und sind der Auffassung, dass Selenskyi die Gelegenheit gleichsam beim Schopf gepackt hat um seine gewerkschafts- und arbeiterfeindliche Agenda durchzupeitschen.

Es wird sich weisen, ob der ÖGB seine „große Sorge“ über dieses Zurück zu Zuständen des „150 Jahre alten Manchesterkapitalismus“, das in der Tat „nicht widerstandslos akzeptiert werden“ kann, auch in der gegenwärtigen schrillen Kriegshysterie beibehält, auf der nachdrücklichen Forderung nach Rückgabe des Eigentums an die Gewerkschaften beharren wird, die Wiederzulassung der verbotenen Parteien und Kräfte der ArbeiterInnenbewegung einfordert und im gebotenen proletarischen Internationalismus seine Kräfte für die Aufhebung des brachialen Umbaus des Arbeitsrechts sowie der Entmachtung der Gewerkschaften geltend macht.

Quelle: KOMintern

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