NATO-Gegner am Pranger
Der Mailänder »Corriere della Sera« hat am 6. Juni mit der Veröffentlichung von Namen offen den Versuch unternommen, NATO-Gegner mundtot zu machen. Auf der Liste, die auch mit Fotos der genannten Personen versehen ist, finden sich unter anderem der Präsident des italienischen Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Vito Petrocelli, von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), der Direktor des Observatoriums für Internationale Sicherheit an der LUISS-Universität von Rom, Alessandro Orsini, und der freiberufliche Journalist Maurizio Vezossi.
Petrocelli, der sich gegen die Unterstützung des Krieges in der Ukraine durch die Regierung von Mario Draghi aussprach, wurde auf Betreiben von Außenminister Luigi Di Maio aus der Partei ausgeschlossen. Professor Orsini hatte am 12. April laut dem französischen Marktforschungsinstitut Ipsos die von der EU ergriffenen Maßnahmen abgelehnt, da sie den Konflikt »eskalieren, statt zu versuchen, ihn beizulegen«. Orsini war für »Verhandlungen eingetreten«, und dafür, daß »die Sanktionen gegen Rußland aufgehoben oder gemildert werden« sollten. Er war danach an der Universität von der Arbeit suspendiert worden, was er als »eine neue Form des Totalitarismus«, die ihm »Angst mache,« bezeichnete.
Der Journalist Vezossi enthüllte, daß es sich bei den angeblichen Massengräbern in Mariupol, über die geschrieben worden war, um »Einzelbestattungen auf einem Friedhof handelte und daß sich unter den Bestatteten auch ukrainische Soldaten befanden, die im Kampf gefallen sind«, was er mit Fotos belegte. Er fand auch heraus, daß diese Propaganda von Bürgermeister Wadym Bojtschenko verbreitet wurde, der noch vor dem russischen Angriff aus Mariupol geflohen war.
»Es ist eine Liste der Putin-Anhänger Italiens, die mit Fahndungsfotos und mit von COPASIR (Parlamentarisches Komitee für die Sicherheit der Republik, Anm. d. Red.) gesammeltem Material erstellt wurde«, schrieb das linke Magazin »Contropiano« am Montag auf seinem Internetportal. Das großbürgerliche Mailänder Blatt behaupte hingegen, es handle sich um »eine Untersuchung in Fernsehen, Zeitungen, sozialen Netzwerken zur Klärung einer möglichen russischen hybriden Bedrohung, mit der versucht wird, die Debatte in westlichen Ländern mit Propaganda, Desinformation, Fake News zu beeinflussen«. Das »Pro-Putin-Netzwerk« werde, so zitierte das linke Magazin den »Corriere«, Politiker angreifen, »die sich auf die Seite Kiews stellen und unterstützt diejenigen, die die prorussischen Thesen vertreten«. Weiterhin werde versucht, »Entscheidungen der Regierung zu boykottieren«.
»Contropiano« erwähnte, daß sich inzwischen selbst italienische Armeeangehörige, wie der General und Professor für Militärgeschichte an der Universität von Tuscia in Viterbo, Paolo Capitini, gegen die italienische Unterstützung wenden. Er kritisiere zwar Rußlands Angriff, halte aber fest, es sei »ein strategischer Fehler« zu glauben, »daß wir Rußland mit Sanktionen und militärischer Hilfe für die Ukraine stürzen könnten«.
Die Denunziationen des »Corriere« haben eine Welle der Empörung ausgelöst. Die Filmemacherin Sara Reginella, Friedensaktivistin und Autorin des Buches »Donbass: ein Geisterkrieg im Herzen Europas«, hat unter dem Motto »Aggiungetemi alla Lista« (Nehmt mich in die Liste auf) eine Solidaritätskampagne mit den vom »Corriere« Verfolgten gestartet. Sie erklärte, »daß die Menschen auf der Liste den Wunsch haben, für eine diplomatische Lösung in der Ukraine zu kämpfen, und daß sie Partei ergriffen haben, damit die verborgenen Motive dieses Krieges aufgedeckt werden, was auch die Mehrheit der italienischen Bevölkerung wünscht«.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek