Zum Internationalen Kindertag
Haben Sie schon etwas von der »Europäischen Garantie für Kinder« gehört? Nein? Das ist nicht verwunderlich angesichts der Legion an sozialfeindlichen EU-Verordnungen. 2021 hat sich die Kommission jener EU doch tatsächlich dazu durchgerungen, den Regierungen der Mitgliedstaaten eine »Europäische Garantie für Kinder« vorzuschlagen, mit der Kinderarmut und die soziale Ausgrenzung von Kindern innerhalb des Wirtschaftsblocks entgegengewirkt werden soll. Den Kindern und Jugendlichen soll kostenloser Zugang zu frühkindlicher Betreuung, zu Bildung und außerschulischen Aktivitäten gewährt werden, und auch der kostenfreie Zugang zu gesunden Schulmahlzeiten und einer allgemeinen Gesundheitsversorgung. Nicht mehr kostenlos, dafür »wirksam« soll der Zugang zu adäquater Ernährung sowie einer menschenwürdigen Unterkunft sein.
Es handelt sich um durchweg vernünftige Forderungen, die zu den sozialen Menschenrechten gehören und an sich selbstverständlich sein müssten. Im Kapitalismus ist das Soziale jedoch nicht selbstverständlich. Deshalb richtet die EU-Kommission, eben jene undemokratisch zustande gekommene Exekutive des kapitalistischen Staatenbündnisses, auch nur unverbindliche Vorschläge an die nationalen Regierungen und überlässt diesen mit der Bitte um »Aktionspläne« die Initiative. Politik im Sinne des Kapitals wird von der EU ohne Umschweife mittels Verordnungen dekretiert. Bei den grundlegenden Kinderrechten und der Armutsbekämpfung belässt sie es bei Empfehlungen.
Kinderarmut ist nicht nur ein Phänomen, das man in den vom Imperialismus durch Freihandelsverträge und bewusstes Konflikt-Schwelen ausgebeuteten afrikanischen Staaten in seiner absoluten Form antrifft. Arm ist man nicht nur, wenn man mit weniger als 1,9 Euro pro Tag auskommen muss. Arm ist man im »reichen Europa« bereits, wenn das Einkommen einer Familie unter dem Durchschnittslohn des jeweiligen Landes liegt. Grundbedürfnisse können dann nicht mehr ausreichend befriedigt werden.
Betroffen sind in erster Linie Arbeiterfamilien, Alleinerziehende und Arbeitslose. Die aktuelle Inflation, die wohl nur ein Wetterleuchten der aufziehenden Weltwirtschaftskrise ist, gebiert weitere soziale Verwerfungen, welche die junge Generation besonders treffen werden.
Konkret offenbart sich die Kinderarmut in der EU im Fehlen notwendiger Saisonbekleidung, im Mangel an gesunder Ernährung, in der Unmöglichkeit, kostenintensive Kultur- und Sportaktivitäten zu finanzieren, oder in akuten Wohnungsproblemen und damit verbunden zahlreichen Ortswechseln, die sich negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirken.
Dieser häufig vererbten Armut zu entkommen, gelingt nur wenigen. Die viel gepriesenen sozialen Aufstiegsmöglichkeiten durch Bildung wirken nicht selten wie blanker Hohn angesichts kaum elaborierter Fördermaßnahmen und liberalisierter Schulsysteme.
In Luxemburg ist die Gefahr der Verarmung nicht geringer als in anderen EU-Staaten. Im Gegenteil, seit 2010 ist sie kontinuierlich gestiegen. Ein Jahr vor Pandemiebeginn waren bereits knapp 29 Prozent der Kinder und Jugendlichen armutsgefährdet – das sind vier Punkte über dem EU-Mittelwert. Dies korreliert mit der eklatant ungerechten Einkommens- und Vermögensverteilung hierzulande.
Seit 1950 wird am 1. Juni der Internationale Kindertag begangen. In den spätkapitalistischen Gesellschaften ist dieser Tag für die glückliche und friedliche Zukunft aller Kinder zusehends in Vergessenheit geraten. In Anbetracht der gegenwärtigen Situation entpuppen sich EU-Garantien für Kinder also als verlogene Phrasendrescherei.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek