Afghanistan unter den Taliban: Massive Gewalt und gebrochene Versprechen
Übernommen von Amnesty International:
Die Taliban haben seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan vor einem Jahr Minderheiten verfolgt, friedliche Proteste gewaltsam niedergeschlagen und Frauen unterdrückt. Unter der Herrschaft der Taliban kommt es zu außergerichtlichen Hinrichtungen und Verschwindenlassen, wie Amnesty International in einem neuen Bericht zeigt. „The Rule of Taliban: A Year of Violence, Impunity and False Promises“ dokumentiert schwerste Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan seit der Machtergreifung der Taliban im August 2021. Er offenbart zudem die weit verbreitete Straflosigkeit für Verbrechen wie Folter, Morde aus Vergeltung und Vertreibungen von Minderheiten.
Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty International in Deutschland sagt: „Vor einem Jahr haben sich die Taliban öffentlich dazu verpflichtet, die Menschenrechte zu schützen und zu fördern. Ein Jahr später ist die menschenrechtliche Bilanz jedoch katastrophal. Auch wichtige Errungenschaften der letzten 20 Jahre, insbesondere im Bereich der Rechte von Mädchen und Frauen, machen sie zunichte. In den letzten zwei Jahrzehnten haben Millionen Mädchen Zugang zu Bildung erhalten, und Frauen konnten aktiv am politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben des Landes teilnehmen. Nun werden ihnen Ausbildung und Teilhabe am öffentlichen Leben verwehrt, sie erfahren in nahezu jedem Lebensbereich systematisch Diskriminierung. Insgesamt regieren die Taliban mittels gewaltsamer Unterdrückung: Willkürliche Inhaftierungen, Folter, Verschwindenlassen oder Hinrichtungen im Schnellverfahren sind an der Tagesordnung.“
Massive Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Die Recherchen von Amnesty International zeigen, dass die Sicherheitskräfte der Taliban exzessive Gewalt anwenden, um das Verbot friedlicher Proteste durchzusetzen. In mehreren Großstädten lösten sie friedliche Proteste auf, indem sie auf unbewaffnete Demonstrierende einschlugen und schossen. Auch Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen der Zivilgesellschaft sind ins Visier geraten: Die Taliban schikanierten, bedrohten, inhaftierten und töteten zahlreiche Personen allein aufgrund von deren Menschenrechtsarbeit.Die Taliban gehen zudem gegen die Pressefreiheit vor. Am 19. September 2021 erließ das Medien- und Informationszentrum der De-facto-Regierung eine Anordnung mit vagen Formulierungen, die es Journalist*innen verbietet, Inhalte zu veröffentlichen, die „dem Islam widersprechen“ oder „nationale Persönlichkeiten beleidigen“. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 80 Journalist*innen festgenommen und gefoltert, weil sie über friedliche Proteste berichteten.
Folter, Hinrichtungen und Verschwindenlassen
Seit August 2021 gibt es zahlreiche Berichte über Taliban-Soldaten, die Afghan*innen verprügelten und folterten, die gegen Erlasse der De-facto-Regierung verstoßen haben sollen oder der Zusammenarbeit mit der früheren Regierung beschuldigt werden. Hunderte von Zivilpersonen wurden rechtswidrig festgenommen. Viele von ihnen wurden bei der Festnahme geschlagen oder ausgepeitscht.
Rachemorde, Hinrichtungen von mutmaßlichen Widerstandskämpfer*innen im Schnellverfahren und andere Verbrechen, die Berichten zufolge seit der Machtübernahme der Taliban begangen wurden, könnten als Kriegsverbrechen gelten. So wurden Hunderte Leichen mit Schusswunden oder Folterspuren gefunden, die auf außergerichtliche Hinrichtungen hindeuten. Dutzende von Menschen sind verschwunden, weil sie unter der vorherigen Regierung gearbeitet haben oder weil sie verdächtigt werden, am Widerstand gegen die Taliban beteiligt gewesen zu sein.
Verfolgung von ethnischen und religiösen Minderheiten
Wenige Wochen nach der Machtübernahme durch die Taliban wurden Berichte über rechtswidrige Vertreibungen von nicht-paschtunischen Afghan*innen aus ihren Häusern und von ihren Farmen bekannt. Solche Enteignungen – insbesondere von Hazaras, Turkmen*innen und Usbek*innen – wurden aus dem ganzen Land gemeldet, unter anderem aus den Provinzen Balkh, Helmand, Daikundi, Kandahar und Uruzgan. Dieses Vorgehen der Taliban ließ die ohnehin schon hohe Zahl der Binnenvertriebenen weiter ansteigen.
Am 30. August 2021 töteten die Taliban in der Provinz Daikundi 13 Angehörige der Hazara, darunter ein 17-jähriges Mädchen. Augenzeug*innen berichteten Amnesty International, dass die Taliban neun ehemalige Sicherheitskräfte außergerichtlich hingerichtet haben, nachdem diese sich bereits ergeben hatten. Diese Tötungen können Kriegsverbrechen darstellen.
Unterdrückung von Frauen und Mädchen
Seit der Machtübernahme durch die Taliban sind Frauen zunehmend Gewalt ausgesetzt. Dutzende von Frauen wurden festgenommen und gefoltert, weil sie sich angesichts zunehmender Einschränkungen friedlich für ihre Rechte einsetzten. Die Taliban haben zudem Millionen von afghanischen Mädchen das Recht auf Bildung – und somit die Zukunftsperspektive – genommen, u.a. durch die Verweigerung des Schulbesuchs.
Quelle: Amnesty International