Laut sein gegen Krieg und Armut
Im Vorfeld des dezentralen Aktionstages der Friedensbewegung „Verhandeln statt Schießen“ sprach UZ mit drei Friedensaktivistinnen und -aktivisten, die in Berlin, Hamburg und München die Demonstrationen am 1. Oktober mitorganisiert haben: Ronja von der SDAJ München, Barbara Majd Amin von der Friedenskoordination Berlin (Friko) und Niki Müller, Sprecher des Bezirksvorstandes der DKP Schleswig-Holstein. UZ fragte darüber hinaus verschiedene Friedensaktivistinnen und -aktivisten, warum man jetzt auf die Straße gehen muss. Auszüge aus den Interviews und den Stellungnahmen veröffentlichen wir an dieser Stelle. Die vollständigen Beiträge und weitere Stellungnahmen findet man unter unsere-zeit.de/thema/1-oktober.
„Für junge Menschen unbezahlbar“
Ronja von der SDAJ München zum 1. Oktober
UZ: Ihr mobilisiert zum 1. Oktober. Was treibt euch als Jugendliche auf die Straße?
Ronja: Ganz kurz zusammengefasst: Der deutsche Imperialismus, der uns auf der einen Seite in den Krieg und auf der anderen Seite in die Armut treibt.
Wir erleben gerade das größte Aufrüstungsprogramm seit 1945, neues deutsches Großmachtstreben. Die letzten beiden Male, als der deutsche Imperialismus das versucht hat, endete es im Weltkrieg. Die Verteidigungsministerin fasst in ihrer „Grundsatzrede zur Sicherheitsstrategie“ eigentlich alles zusammen, wogegen wir auf die Straße gehen:
Sie begrüßt das 100-Milliarden-Paket und dessen Verankerung im Grundgesetz, die weitere NATO-Erweiterung durch die Aufnahme von Finnland und Schweden ordnet sie als Gewinn ein und macht klar, dass Deutschland jetzt auch „militärische Führungsmacht“ in Europa werden muss, um die USA für den Kampf gegen die Volksrepublik China zu entlasten. Und was Deutschland dafür braucht, weiß Lambrecht auch schon, weitere Waffenlieferungen, mehr Geld fürs Militär und nukleare Teilhabe. Gegen all das gehen wir am 1. Oktober auf die Straße: Wir sagen im Aufruf deshalb Nein zum NATO-2-Prozent-Ziel und fordern die Umwidmung des 100-Milliarden-Aufrüstungspakets in ein Investitionsprogramm für Soziales, Umwelt, Gesundheit und Bildung. Wir sagen außerdem: Stopp aller Waffenlieferungen, da diese den Krieg nur verlängern, und wir fordern den Abzug der US-Atomwaffen! Und für uns als SDAJ bleibt darüber hinaus klar: Deutschland raus aus NATO und EU! Frieden mit Russland und China!
Gleichzeitig erleben wir ja gerade massive Preissteigerungen, um mal ein paar Zahlen zu nennen: Im Vergleich zum Vorjahr sind die Nahrungsmittelpreise im August um über 16 Prozent gestiegen; für Speiseöle und Fette, waren es sogar knapp 45 Prozent und die Kosten für Energieversorgung sind auch durch die Decke gegangen: Fernwärme wurde im Vergleich zum Vorjahr um 36 Prozent teurer, Gas einschließlich der Gasumlage um knapp 60 Prozent und Heizöl einschließlich der Umlage fast um 100 Prozent.
Das ist besonders für junge Menschen mit niedrigen Ausbildungsgehältern oder Bafög unbezahlbar. Bereits jetzt lebt jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut und ist damit in der Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe stark benachteiligt.
Von der Regierung wird als Begründung für diese Preissteigerungen vor allem der Wirtschaftskrieg gegen Russland aufgeführt, deshalb fordern wir im Aufruf für die Demonstration am 1. Oktober den „Stopp der katastrophalen Wirtschafts- und Finanzblockaden, unter denen die Menschen weltweit leiden“.
UZ: Wie läuft die Mobilisierung?
Ronja: Ich glaube, wir alle haben seit Anfang dieses Jahres gemerkt, wie schnell es der deutsche Imperialismus geschafft hat, dass die Heimatfront steht, und wie schwierig es für uns ist, Leute für Frieden auf die Straße zu bekommen. Trotzdem würde ich sagen, dass es für den kurzen Zeitraum von circa einem Monat, in dem die Planungen jetzt stattgefunden haben, gut ist, dass mindestens der Aufruf schon mal breitere Unterstützung gefunden hat und neben DKP und SDAJ unter anderem auch die IPPNW, das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus und die Freidenker dabei sind. Und auch in einigen ver.di-Strukturen wurde die Beteiligung an der Demonstration diskutiert.
Die Fragen stellte Christoph Hentschel
Eine Größe erreichen, die die Medien nicht ignorieren können
Barbara Majd Amin (Friedenskoordination Berlin) zum 1. Oktober
UZ: Was erwartest du von der Demo am 1. Oktober in Berlin?
Barbara Majd Amin: Die Mobilisierung läuft auf vollen Touren – und wir hoffen, dass wir bereits im Vorfeld der Demo auch viele Menschen ansprechen und informieren können, die bisher eher nicht aktiv waren und sich angesichts der steigenden Energiepreise unserer Demo anschließen. Wir haben uns vorgenommen, dass wir eine Größe und Ausstrahlungskraft erreichen, die die Medien nicht ignorieren können. (…)
UZ: Du engagierst dich ja in der AG Frieden der GEW Berlin. Wie sieht es denn aus mit der Beteiligung von Gewerkschaften an der Demo?
Barbara Majd Amin: Ich bin zuversichtlich, dass wir auch Gewerkschaftsfahnen und Transparente sehen werden. Nicht nur in Arbeitsgruppen wie unserer wird über die aktuelle Lage, über den Krieg und die Folgen engagiert diskutiert. Meines Wissens gibt es bisher zwar keinen Aufruf aus den Vorständen der Gewerkschaften, an unserer Demo teilzunehmen, aber Mobilisierung in Untergliederungen wie beispielsweise DGB-Kreisverbänden einiger Bezirke. Es liegt auch an uns Gewerkschaftsmitgliedern, den Anspruch der Gewerkschaften, Teil der Friedensbewegung zu sein, aktiv umzusetzen.
Die Fragen stellte Valentin Zill
„Die NATO wird zum Hungermacher“
Niki Müller von der DKP Schleswig-Holstein zum 1. Oktober
UZ: Was bewegt euch, am 1. Oktober auf die Straße zu gehen?
Niki Müller: (…) Uns treibt die täglich steigende Not der einfachen Menschen auf die Straße, das heißt Massenarmut, Existenzzerstörung, steigende Arbeitslosigkeit und auch Deindustrialisierung hier in Deutschland als Folge der gewaltig steigenden Rüstungsausgaben einerseits und andererseits des Wirtschaftskrieges und der Sanktionen. Armutstreiber ist auch hier wieder die gleiche Adresse, die Regierung, insbesondere die flecktarngrüne Partei. Früher war sie ja mal Friedenspartei, lang ist es her. Heute ist sie Hauptkriegspartei.
Die Menschen leiden immer mehr und stehen auf. Es müssen allerdings noch viel mehr werden und auch die Gewerkschaften sind gefordert. Man sieht, es geht vor Ort etwas: In Erfurt zum Beispiel, unter der Losung „Nicht mit uns! Wir frieren nicht für eure Profite!“ sind dort viele Menschen auf die Straße gegangen. Das ist verständlich, wenn man nur mal bedenkt, dass die Gasumlage, die jetzt die Menschen bedrückt, höher ist als zum Beispiel der Gaspreis in den USA. Die NATO wird zum Hungermacher. Es wird einen Wettbewerb geben zwischen den immer knapper werdenden Ressourcen und die Verlierer sind dabei die armen Länder in Afrika, Asien und auch Lateinamerika.
UZ: Was erwartet ihr von der Demonstration?
Niki Müller: (…) Wir erwarten einen engeren Zusammenschluss der Friedensbewegung mit der sozialen Bewegung. Das ist uns ganz wichtig. Mit Menschen, die ihre Energierechnungen nicht mehr zahlen können, die sich nur noch zwischen Hungern oder Frieren entscheiden können. Deren Frust und Wut darf nicht als geballte Faust in der Tasche veröden, sondern muss auf den wirklichen Feind gerichtet werden. Das ist die deutsche Regierung, das sind die aggressiven NATO-Kräfte, die mit allen Mitteln den Krieg befeuern und das sind die Monopole, die daran verdienen. Es gibt ja eine ganze Reihe von Industriezweigen, die tüchtig verdienen und jetzt schenkelklopfend johlen. Das ist vor allem die Rüstungsindustrie, aber auch andere Profiteure. Dies alles steht auf der Agenda der kommenden Demonstration.
Das Gespräch führte Christoph Hentschel
Kommt in allen Städten zu den Friedensaktionen am 1. Oktober. Bringt massenhaft Gewerkschaftsfahnen mit. Wir wollen Schluss machen mit den Profiten auf Kosten der Bevölkerungen.
Anne Rieger, Ko-Sprecherin des
Bundesausschusses Friedensratschlag
Der Krieg in der Ukraine muss durch Waffenstillstand und Verhandlungen beendet werden. Friedenslogik statt Kriegsdynamik. Wir müssen uns engagieren, jetzt und heute – gerade wenn es kompliziert ist, um eine soziale und friedenspolitische Katastrophe abzuwehren.
Reiner Braun, Mitinitiator des Aufrufs
„Abrüsten statt Aufrüsten“
Die Herrschenden liefern Waffen in die Ukraine für den Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland. Dass Millionen bedroht sind, im Winter zu frieren und im Dunkeln zu sitzen, interessiert sie nicht. Im Gegenteil: Sie verhöhnen die Armen, prekär Beschäftigte, Erwerbslose und Rentner. Sie reden von ‚Waschlappen‘ und ‚weniger essen‘, während sie selbst mit Bonusmeilen von einer Party zur nächsten fliegen.
Wer diese Zusammenhänge benennt und verurteilt, auf die dreschen ihre Schreiberlinge und Talkshow-Claqueure ein und werfen ihnen Verbrüderung mit dem Feind vor. Linke und Friedensbewegung müssen dem widerstehen und dürfen nicht zurückweichen.
Henning von Stoltzenberg,
Bundessprecher der Roten Hilfe e.V.
Wir wollen keine Aufrüstung, keinen Krieg, und dafür hungern und frieren wollen wir schon gar nicht.
Marion Köster, Bezirksvorsitzende
der DKP Ruhr-Westfalen
Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) fordert, als Alternative zu Waffenexporten und militärischen Lösungen mit Gesprächen auf internationaler Ebene zu beginnen und diplomatische Initiativen zu ergreifen, um die Kampfhandlungen zu stoppen. Sie lehnt die europäische Sanktionspolitik ab, die vor allem die ärmsten Menschen bis in zahlreiche afrikanische Länder massiv belastet.
Ulrich Schneider, Generalsekretär
der Internationalen Föderation der
Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten
Wir verurteilen die Erweiterung der NATO nach Osten. Damit soll Russland systematisch unter Druck gesetzt werden. Wir verurteilen die westliche Unterstützung für den faschistischen Putsch in Kiew 2014 und die daraus folgende Unterdrückung der russischen Bevölkerung in der Ukraine.
All das hat den Krieg vorbereitet. Wir fordern jetzt die Aufgabe aller Pläne, die Ukraine in die NATO aufzunehmen.
Andreas Wehr, Journalist und Gründer
des Marx-Engels-Zentrums in Berlin
Aktuell beherrscht dumpfe Stimmungsmache die Medien. Mahnende Stimmen, die davor warnen, weiter Öl ins Feuer zu gießen, werden als „Putinversteher“ diffamiert. Ich hoffe, die Aktionen am 1. Oktober helfen, den Orwellschen Propagandakäfig zu durchbrechen und die Tür für einen ernsthaften Friedensdiskurs zu öffnen.
Silvia Rölle, Landessprecherin
der VVN-BdA Nordrhein-Westfalen
Quelle: Unsere Zeit