Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung beklagt rechtsfreien Raum an polnischer Grenze
Die Stiftung PRO ASYL hat am heutigen Samstag ihren Menschenrechtspreis an die polnische Anwältin Marta Górczyńska und die Helsinki Foundation for Human Rights (Polen) verliehen. In ihrer Laudatio benannte Luise Amtsberg, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, auch „die Verantwortungslosigkeit der Europäischen Union in der Flüchtlingsfrage“.
Die polnisch-belarussische Grenzregion sei zu einem „rechtsfreien Raum in europäischer Verantwortung“ geworden, in dem Menschen ohne Zelte, ohne Nahrung, ohne ärztliche Versorgung festsitzen, „eingeklemmt zwischen geopolitischem Machtgerangel“. Das sagte Luise Amtsberg, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, am Samstag anlässlich der Verleihung des PRO ASYL-Menschenrechtspreises an Marta Górczyńska.
Gemeinsam mit dem Präsidenten der Stiftung, Maciej Nowicki, nahm sie die Auszeichnung von PRO ASYL am 3. September in Frankfurt am Main entgegen. „Marta Górczyńska und die Helsinki Foundation for Human Rights stellen sich seit vielen Jahren gegen die Verschärfung des Asylrechts in Polen und setzen sich jeden einzelnen Tag und sehr konkret für eine menschenrechtsbasierte Flüchtlingspolitik ein“, begründete Andreas Lipsch, Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung PRO ASYL, die Ehrung. Diese käme zur rechten Zeit, sagte Maciej Nowicki – unter anderem, weil die „humanitäre Krise an der polnisch-belarussischen Grenze sich überlappt mit der Krise der Rechtsstaatlichkeit in Polen“. Das sei eine Krise, in der man sich nie sicher sein könne, ob die Urteile von Gerichten überhaupt befolgt würden.
Marta Górczyńska setzt sich in Polen für die Rechte von Geflüchteten ein, berät diese juristisch und kämpft gegen illegale Zurückweisungen und Gewalt an der Grenze. Zahlreiche Schutzsuchende konnten sie und ihre Kolleg*innen dank Eilanträgen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor illegalen Pushbacks bewahren. Die Helsinki Foundation ist zudem Teil des Netzwerks Grupa Granica, das in den Wäldern im polnisch-belarussischen Grenzgebiet seit Sommer vergangenen Jahres humanitäre Nothilfe leistet. Górczyńska, die seit zehn Jahren für die Helsinki Foundation tätig ist, spricht mit Blick auf die katastrophale Lage von Geflüchteten, die über Belarus nach Polen kommen, von einem „Ausnahmezustand, der sich zu verstetigen droht“.
Mutige Frauen gegen Menschenrechtsverletzungen
„Es ist dem Mut von Frauen wie Marta zu verdanken, dass massive Menschenrechtsverletzungen systematisch dokumentiert werden konnten“, fuhr Luise Amtsberg in ihrer Laudatio auf Marta Górczyńska fort. „Es ist Ihnen zu verdanken, dass der Versuch des polnischen Staates, diese Menschenrechtsverletzungen vor der Öffentlichkeit zu verbergen, nicht gelungen ist. Ihr Einsatz steht damit beispielgebend für die Verteidigung der Menschenwürde, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Europa.“ Amtsberg beklagte „die Verantwortungslosigkeit der Europäischen Union in der Flüchtlingsfrage“ und forderte „ein humanitäres, faires europäisches Asylsystem auf der Grundlage von Solidarität und Verantwortung“.
Das forderte auch Marta Górczyńska. Es sei unbeschreiblich, „in welchem Maße Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Selbst Familien mit Kindern, die vor den Gräueln der Kriege in Syrien, Afghanistan oder dem Jemen geflohen sind, werden von den polnischen Grenzbeamten brutal zurückgeschickt, ohne Zugang zu einem fairem Asylverfahren, ohne Trinkwasser, ohne Nahrung, ohne ein Dach über dem Kopf.“ Schmerzhaft fehlten an der polnisch-belarussischen Grenze professionelle Hilfsorganisationen. Die gesamte humanitäre Anstrengung wurde und werde ausschließlich von Graswurzelorganisationen geleistet, „also von Menschen, die zuvor keinerlei Erfahrung hatten, Menschenleben zu retten. Menschen, die einfach ihren Rucksack gepackt haben und hingegangen sind, die Essen gebracht haben und Geflüchtete mit selbstgebastelten Tragen ins nächste Krankenhaus gebracht haben“, sagte sie in ihrer Rede.
Sie setze wenig Hoffnung in die polnische und die europäische Politik, aber große Hoffnung in die Zivilgesellschaft und die menschliche Solidarität, betonte Górczyńska und endete mit dem Appell, die Gewalt an den Grenzen und das massenhafte Leid, das sie verursacht, „niemals zu akzeptieren, uns nie daran zu gewöhnen, es nie als normal hinzunehmen“.
Hintergrund
Den Menschenrechtspreis verleiht die Stiftung PRO ASYL seit 2006 jährlich an Personen, die sich in herausragender Weise für die Achtung der Menschenrechte und den Schutz von Flüchtlingen einsetzen. Der Preis ist mit 5.000 Euro und der Plastik der PRO-ASYL-Hand des Künstlers Ariel Auslender, Professor an der Technischen Universität Darmstadt, dotiert. Bisherige Preisträger*innen waren beispielsweise der Anwalt Peter Fahlbusch für sein Engagement für Abschiebehäftlinge, das Netzwerk Watch the Med – Alarm Phone, das Notrufe von Flüchtlingen im Mittelmeer entgegennimmt, und der italienische Journalist Fabrizio Gatti, der seit den neunziger Jahren Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen aufdeckt.
Interviews mit Marta Górczyńska lesen Sie hier und hier, außerdem hier einen Bericht zu Abschiebungen von Deutschland nach Polen.
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Quelle: Pro Asyl