Digitalisierung zu Lasten der Schaffenden
In den vergangenen Jahren, und insbesondere in der Coronakrise, haben vor allem Tech-Konzerne die aktuellen Entwicklungen im Kapitalismus getrieben. Amazon & Co. verkaufen nicht nur Waren über das Internet, sondern sie stehen in der vordersten Reihe der Digitalisierung und dominieren mit ihrer »Plattformökonomie«, in der Arbeit über Apps und Internetportale »vermittelt« wird, immer mehr Bereiche des Handels und Dienstleistungssektors.
Die Plattformarbeiter gelten in der Regel als Selbständige, sind aber de facto fast immer von den digital erteilten Aufträgen abhängig. In diesem Bereich – für den exemplarisch der US-amerikanische Fahrdienstleister Uber steht – sind die Schaffenden wie im Frühkapitalismus den gänzlich unregulierten Marktkräften ausgesetzt. Die prekäre Beschäftigung geht einher mit einem hohen Wettbewerbsdruck und einer Entlohnung oft unterhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns. Gleichzeitig steht die »Uberisierung« für die totale Entbetrieblichung, bei der die betriebliche Organisation der Arbeit vollständig verlorengeht – und mit ihr die Regulation von Arbeitsbeziehungen und Rechten der Lohnabhängigen.
In der Coronapandemie ist vor allem der Sektor der plattformvermittelten Essenlieferungen enorm angewachsen, auch in Luxemburg. Deshalb ist es zu begrüßen, daß die Chambre des salariés (CSL) zusammen mit den Gewerkschaften OGBL, LCGB und ALEBA eine Kampagne lanciert hat, um auf die Lage von Essenlieferanten und anderen Plattformarbeitern aufmerksam zu machen – und für einen Gesetzesvorschlag zu werben, mit dem die Salariatsvertreter den sogenannten Clickworkern zu ihren arbeitsrechtlichen und sozialen Rechten verhelfen wollen.
Doch eine rechtliche Regulierung der Plattformarbeit – wenn sich denn eine Mehrheit der Chamberdeputierten oder die EU dazu durchringen würde – dürfte nicht reichen. Was hat ein Plattformarbeiter von der allgemeinen Feststellung eines Salariatsverhältnisses, wenn die Plattformbetreiber ihn weiter als »selbständigen Dienstleister« ohne Anspruch auf den Mindestlohn, bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etc. sehen? Ohne eine kollektive Interessenvertretung durch Personaldelegation und Gewerkschaft besteht die Gefahr, daß auf dem Papier bestehende Rechte in der Praxis nicht wirksam werden. Die Plattformbetreiber, das zeigen Dutzende Beispiele aus dem Ausland, reagieren auf Organisationsversuche der Schaffenden nämlich regelmäßig mit Union Busting, also mit der systematischen Bekämpfung, Unterdrückung und Sabotage von Personaldelegationen und Gewerkschaften.
Trotzdem ist es zum Beispiel beim Essenlieferdienst Foodora (heute bekannt unter der Marke Lieferando) in der westdeutschen Millionenstadt Köln schon vor fünf Jahren gelungen, den Kurieren zu einem Betriebsrat zu verhelfen. Aufgrund des Fehlens einer gemeinsamen Betriebsstätte war die vorausgehende Organisierung der Essenlieferanten ein schwieriges Unterfangen. Ermöglicht wurde die Kontaktaufnahme und Organisierung vor allem dadurch, daß sich die Kuriere in einem engen Radius um einen zentralen Platz ins System einloggten, um sich doch zu begegnen.
Von solchen, auf Seiten der Schaffenden mit viel Kreativität geführten Auseinandersetzungen um betriebliche Mitbestimmung im Bereich der plattformvermittelten Essenlieferungen in anderen europäischen Ländern können die hiesigen Salariatsorganisationen bestimmt noch viel lernen.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek