Wie stehen wir zum Krieg in der Ukraine?
Vortrag von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), auf der Jugendfront-Veranstaltung „Der Ukrainekrieg und die revolutionäre Arbeiterbewegung“, Wien, 25. Oktober 2022
Die Partei der Arbeit Österreichs hat bereits zu Beginn des Krieges in der Ukraine Stellung bezogen. Am 24. Februar 2022 haben wir die Erklärung veröffentlicht: „Gegen den Krieg in der Ukraine! Für Frieden und Sozialismus!“. Gleich darauf unterzeichnete sowohl die Partei als auch die Jugendfront die internationale gemeinsame Stellungnahme: „Nein zum imperialistischen Krieg in der Ukraine!“. Die erste Festlegung, die wir hierbei getroffen haben, war die Einschätzung, dass der Krieg ein imperialistischer Krieg ist – und ein Krieg, der beiderseits nicht als gerecht einzustufen ist.
Auf Grundlage von Lenins Imperialismustheorie gehen wir davon aus, dass der Imperialismus das höchste Stadium des Kapitalismus ist. Dieses ist insbesondere durch die Herausbildung der Monopole und des Finanzkapitals bestimmt, aber auch dadurch, dass es sich um ein Weltsystem handelt. Die Monopole und ihre imperialistischen Staaten stehen untereinander in scharfer Konkurrenz: Dabei geht um Rohstoffe und Ressourcen, um Transportrouten, um Marktanteile und Investitionsmöglichkeiten, um billige Arbeitskräfte sowie um geopolitische Positionen und Einflusssphären. Um all dies kämpfen die imperialistischen Staaten untereinander und gegeneinander auf internationaler Ebene, zunächst mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln, im Zweifelsfall auch militärisch. Ständiger Ausdruck dessen sind die Interventionspolitik, Handelsbeschränkungen, Wirtschaftssanktionen, Aufrüstung und Militarisierung, militärische Drohungen sowie reale Aggressionen, Okkupationen und der offene Krieg. Obgleich alle Staaten nur ihre eigenen Interessen und die ihres Kapitals im Auge haben, schließen sie untereinander Bündnisse (gegen andere Staaten), so z.B. die EU oder die NATO, es gibt aber auch lose Allianzen, die weniger institutionalisiert sind.
Lenin stellte 1917 fest, die imperialistische – damals: koloniale – Aufteilung der Welt sei abgeschlossen und der Kampf um die Neuaufteilung habe begonnen. Dieser Kampf beruht auf dem Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung im Kapitalismus. Tatsache ist, dass sich im imperialistischen Weltsystem eine gewisse Rangordnung ergibt, von den mächtigsten Akteuren, über regionale Spieler bis hin zu jenen Ländern, die sich in weitgehender Abhängigkeit befinden. Diese Ordnung ist jedoch veränderlich. Aufsteigende Mächte, die bei der Aufteilung der Welt zu kurz gekommen sind, verlangen ihren Anteil an der Beute – das ist z.B. der Grund, warum der deutsche Imperialismus im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege begonnen hat. Umgekehrt verteidigen Führungsmächte, die sich ökonomisch im Abstieg befinden, ihre Positionen umso aggressiver – etwas, das gegenwärtig auf die Hegemonialmacht USA zutrifft. Die USA haben mit den NATO- und EU-Staaten wichtige Verbündete, aber auch ernsthafte Gegner, wie Russland, das sich nach der Konterrevolution in der UdSSR auf kapitalistischer Grundlage konsolidiert hat, aber vor allem China, das die USA als Hegemonialmacht herausfordert – allerdings nicht mit militärischen Mitteln, sondern mit „weicheren“ Methoden.
Die zwischenimperialistischen Gegensätze spitzen sich häufig in Regionen zu, die strategische Relevanz haben oder über wichtige Rohstoffe verfügen und dementsprechend umstritten sind. Eine dieser Regionen ist die Ukraine und das südlich davon liegende Schwarze Meer. Seit der Unabhängigkeitserklärung im Zuge der Auflösung der UdSSR stand die Ukraine unter wechselndem Einfluss, unter russischem, unter westimperialistischem. Das hat den Grund, dass es auch in der Ukraine selbst verschiedene Kapitalfraktionen mit unterschiedlicher Orientierung gibt. 2014 haben sich die westorientierten Kräfte an die Macht geputscht und eine Anbindung an die EU, die NATO und die USA verfolgt, dementsprechend einen Bruch mit Russland, was sich auch in Maßnahmen gegen die russischsprachige Bevölkerung manifestierte. Daher erfolgte die Loslösung der Krim, und daher dauert der Krieg des Kiewer Regimes gegen den Donbass schon über acht Jahre, wobei es die Ukraine und die USA waren, die die Minsker Abkommen beständig hintertrieben haben.
Es versteht sich von selbst, dass Russland damit ein traditionelles Einflussgebiet verloren hat und dies ungern hinnehmen will. Gleichzeitig ist die NATO immer weiter nach Osten ausgedehnt worden, bis an die russische Grenze. Und eine potenzielle Einbeziehung der Ukraine als „klassisches“ Aufmarschgebiet für einen Angriff auf Russland markiert natürlich ein gewisses Bedrohungsszenario, was mit einer entsprechenden kriegstreiberischen Rhetorik seitens der USA und Großbritanniens, in geringerem Ausmaß der EU, forciert wurde. In den letzten 25 Jahren wurde zudem mit den westimperialistischen Angriffen u.a. auf Jugoslawien, Afghanistan, den Irak, Libyen oder Syrien deutlich gezeigt, wohin die Reise geht, mit den Umsturzversuchen etwa in Weißrussland oder andernorts ebenso: Die von den USA geführte NATO ist die globale Hauptgefahr für den Frieden und das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Umso widersprüchlicher wirkte es, als die Russische Föderation im vergangenen Februar mit dem Angriff auf die Ukraine begann – fast drängte sich damals der Gedanke auf, Moskau entspräche hier einem Wunsch aus Washington. Bis zu einem gewissen Grad wurde Russland, bereits einigermaßen in die Enge getrieben, zu einer Reaktion gezwungen, was aber nur eine Erklärung, keine Rechtfertigung ist. Denn keinesfalls führt Russland einen Verteidigungskrieg, auch keinen antizipierten. Ebenso wenig geht es Russland um den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung oder um die „Entnazifizierung“ der Ukraine, was lediglich Vorwände sind, wenngleich diese Fragestellungen mitspielen. Es sind imperialistische Interessen des russischen Monopolkapitals, der Finanzoligarchie, die diesem Angriff zugrunde liegen, es geht um die Wiedererlangung von Einflusssphären, um Eroberung und die Angliederung von Gebieten an die Russische Föderation. Ein solcher Angriffskrieg ist kein gerechter Krieg, sondern ein imperialistischer Krieg, der entsprechend zu verurteilen ist.
Das bedeutet aber keinesfalls, dass man sich mit der westimperialistischen Position und dem Kiewer Regime identifizieren soll. Letzteres ist bekanntlich aus einem blutigen Putsch gegen einen gewählten Präsidenten hervorgegangen, es ist nationalchauvinistisch und antidemokratisch, es bedient sich faschistoider und rassistischer Facetten, es führte seit 2014 einen Krieg gegen Menschen im Osten des Landes, die es als „eigene“ Bevölkerung beansprucht, aber tagtäglich terrorisierte. Hinter dem Regime stehen in sehr direkter Weise die USA und Großbritannien, abgeschwächt und differenziert verschiedene andere NATO-Staaten, die Waffen liefern, Aufklärungshilfe leisten, Ausbildungsmissionen durchführen und das ganze Regime finanzieren. In dieser Hinsicht kann man von einem Stellvertreterkrieg sprechen, der Wirtschaftskrieg ist allerdings schon ein unmittelbarer. Diese gesamte Vorgehensweise bedeutet, dass wir natürlich auch die westimperialistischen Staaten und das Kiewer Regime nicht unterstützen werden, denn hier geht es um die Interessen der USA, von Teilen der EU und NATO sowie der westukrainischen Oligarchie.
Wir sagen: Es sind zwei Räuber, die hier um die Beute streiten und einander bekämpfen. Es ist ein zwischenimperialistischer Konflikt. In einer solchen Situation wird eine kommunistische Organisation selbstverständlich keine der beiden Seiten wählen und unterstützen, auch nicht das „kleinere Übel“ oder die eigene Regierung. Unsere Sorge gilt der Arbeiterklasse in der Ukraine und Russland, die für imperialistische Interessen auf die Schlachtfelder geschickt wird. Unsere Sorge gilt einer weiteren Ausweitung und Eskalation des Krieges, was in Richtung eines Weltkrieges führen könnte – dies verfolgen besonders reaktionäre Gruppen in der NATO und EU, letztlich sind es aber die USA, die früher oder später China als eigenen Hauptkonkurrenten und wichtigsten Verbündeten Russlands konfrontieren wollen.
Was Österreich als zumindest Wirtschaftskriegspartei betrifft, verweigern wir den Burgfrieden. Der Hauptfeind der österreichischen Arbeiterklasse sitzt nicht in Moskau und ist nicht in die Ukraine einmarschiert, sondern er steht im eigenen Land – es ist der eigene Imperialismus, es sind die eigenen Kapitalisten und deren Regierungen. Wir lehnen die Beteiligung an der Finanzierung des Kiewer Regimes ab, wir lehnen Sanktionen ab, die vorrangig der eigenen Bevölkerung schaden, wir lehnen Waffenlieferungen über österreichisches Territorium ab und wir verlangen eine konsequente Neutralitätspolitik, die im Rahmen der EU und der NATO-PfP nicht gegeben ist. Wir unterstützen Friedens- oder zumindest Waffenstillstandsinitiativen, die auf ein Ende des Mordens orientieren – das hat Priorität, nicht der Kampf bis zum letzten ukrainischen Soldaten, nicht die weitere Aufrüstung, nicht die Entscheidung auf dem Schlachtfeld, eventuell gar unter Anwendung von Atomwaffen.
Aber wir sind nicht naiv. Friedensphasen zwischen den imperialistischen Mächten sind nur Atempausen zwischen Kriegen. Eine multipolare Weltordnung, die manche herbeiwünschen, wäre nur Ausdruck neuer Ungleichgewichte und das Vorspiel neuer Kriege. Eine starke Friedensbewegung, die die Kommunistinnen und Kommunisten auf ihrer antimilitaristischen Grundlage mittragen, kann die Herrschenden nur für limitierte Zeiträume zum Frieden zwingen. Einen nachhaltigen Frieden kann es unter den Bedingungen des Imperialismus und Kapitalismus nicht geben.
Daher halten wir es nicht nur in Österreich, sondern auch gegenüber den Völkern der Welt und der globalen Arbeiterklasse mit Lenin und Liebknecht. Der Aufruf gilt: Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Die Waffen müssen gegen die eigenen Herrschenden gerichtet werden, deren Niederlage wir wünschen. Die Umwandlung des imperialistischen Krieges in den revolutionären Bürgerkrieg für den Sozialismus mag nicht auf der unmittelbaren Tagesordnung stehen, doch dies bleibt in entsprechend angepasster Form immer die Zielsetzung: Im Kriegsfall verstärken Kommunistinnen und Kommunisten den Klassenkampf, um den Frieden zu erzwingen und die herrschenden Kriegstreiber zu stürzen. Das gilt in der Ukraine ebenso wie in Russland, aber natürlich – unter anderen Vorzeichen, versteht sich – auch für die EU-Staaten und die USA, ja eben überall.
Nur eine sozialistische Welt wird eine Welt sein ohne Ausbeutung und Unterdrückung – sowie ohne Krieg. Das beweist gerade der Ukrainekonflikt: In der UdSSR, die vor 100 Jahren gegründet wurde, lebten die Völker untereinander in Eintracht und Frieden. Mit der Konterrevolution vor 30 Jahren sind Nationalismus, Rassismus und Krieg zurückgekehrt. Wer nun für die Rückkehr des Friedens und der Völkerfreundschaft ist, muss für den Sozialismus Partei ergreifen, die imperialistischen Pläne durchkreuzen und den Kapitalismus überwinden.
Quelle: Partei der Arbeit