21. November 2024

Flüssigerdgas verdrängt in Europa das Pipelinegas

Übernommen von: Schweizerische Friedensbewegung

Die europäischen Staaten importieren seit einiger Zeit immer mehr Flüssigerdgas, das mit grossen Tankschiffen aus verschiedenen Ländern der Welt angeliefert wird. Profiteure sind in erster Linie die USA, die ihren Marktanteil massiv ausbauen und weltweit zu einem der grössten Gasexporteure geworden sind. In den USA wird das Gas hauptsächlich mit dem umweltschädlichen Fracking-Verfahren gewonnen, doch auch wegen der aufwändigen Transportinfrastrukturen und der notwendigen Komprimierung und Kühlung des Gases ist der Umstieg vom Pipeline-Erdgas auf Flüssigerdgas ein ökologischer Rückschritt. Die Klimaschädlichkeit von Flüssigerdgas wird mit jener von Kohle verglichen. Die teure Förderung, der komplizierte Transport und die Spekulationen am Spotmarkt erhöhen die Kosten des Gases massiv und tragen weltweit viel zur hohen Inflation bei.

Von Ueli Schlegel

1. Warum will die EU Erdgas durch Flüssigerdgas (LNG) ersetzen?
Seit wenigen Jahren kann in Europa, aber auch weltweit, eine Abkehr von Erdgas, das in Pipelines transportiert wird, und eine grosse Zunahme des Flüssigerdgashandels beobachtet werden.
Dafür gibt es zumindest in Europa mehrere Gründe.
Erstens wurde der Handel zwischen Energieexporteuren und -importeuren in den letzten Jahren zunehmend hektischer, d.h. er folgte der allgemeinen Tendenz des Rohstoff- und Energiehandels – weg von langfristigen. sicheren Staatsverträgen, hin zu Terminverträgen, Optionen, Wetten etc. („Kasinokapitalismus“) und zum sogenannten Spotmarkt, das heisst zu Käufen über die vorwiegend elektronische Börse. Der Verband der schweizerischen Gasindustrie (VSG) umschreibt das schönfärberisch so: „In den letzten Jahren hat die Schweizer Gaswirtschaft ihren Anteil an der ölpreisgebundenen Beschaffung stark reduziert, um die Flexibilität beim Einkauf zu erhöhen. Bei der Beschaffung haben die sogenannten Spot- und Terminmärkte eine zunehmende Bedeutung erhalten. Dies gibt der schweizerischen Gaswirtschaft Spielraum, um bei verschiedenen Marktsituationen Erdgas optimal und kundengerecht einzukaufen.“
Zweitens nahm der Druck der USA zu; die USA unterstützten seit längerer Zeit die Ukraine und Polen im Streit mit Russland um die Pipeline-Durchleitungsrechte russischen Gases durch Polen und die Ukraine. Zwischen Russland und diesen beiden (und weiteren) Staaten gab es seit langem Streit um Gebühren und um die Gaspreise und -mengen für Erdgas, das in diesen Staaten von den grossen Pipelines abgeleitet werden durfte.
Drittens nahm der Druck der USA auch gegen die neuen Pipelines zwischen Russland und Deutschland immer mehr zu. Die USA betonten mehrmals, dass sie die Pipeline Nordstream 2, die Polen und die Ukraine umgeht, auf jeden Fall verhindern würden. Der Hintergrund dieses Kampfes der USA gegen Deutschland ist die Exportpolitik der USA, denn die USA produzieren zunehmend teures Frackinggas, von dem sie möglichst viel im Ausland absetzen wollen.
Viertens konnten von der Nato und der EU mit dem Schreckgespenst der „Rubelzahlungen“ für russisches Pipeline-Erdgas (eine Folge des Ausschlusses Russlands aus dem Swift-Zahlungssystem der westlichen Banken) weitere europäische Gasimporteure verunsichert werden.

2. Was ist Flüssigerdgas?
Gas verflüssigt sich, das heisst es wechselt vom gasförmigen in den flüssigen Zustand, wenn es verdichtet (komprimiert) oder sehr stark gekühlt wird.
Wir alle kennen das Campinggas, das in Europa entweder in kleinen blauen Dosen als „Campingaz“ oder in grösseren Stahl- oder Kunststoffbehältern für grössere Gaskocher, Kühlschränke oder mobile Heizungen verkauft wird. Chemisch besteht es meistens aus Propan oder Butan. Dieses Gas muss relativ wenig verdichtet werden.
Im Gegensatz dazu besteht Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas) genau wie das Pipeline-Erdgas zu über 90 Prozent aus Methan. Für den Transport muss es stark komprimiert und/oder gekühlt werden, damit es überhaupt mit einem annehmbaren, transportfähigen Volumen weggebracht werden kann.
Für den Transport des Flüssigerdgases ist der Bau sehr grosser Infrastruktureinrichtungen erforderlich – bestehend aus druckfesten Containern, Eisenbahnwagen und -geleisen, Tanklastwagen, speziellen Tankschiffen mit Kühlung, riesigen Umschlagplätzen und -hafen, Zwischenlagern, Komprimier- und Dekomprimieranlagen usw. Auf den Schiffen muss das Gas dauernd energieintensiv auf -162 °C gekühlt sein.

3. Wo wird Flüssigerdgas gewonnen und hergestellt?
Die EU bezieht Flüssigerdgas vor allem aus den USA, Katar, Nigeria, Russland und Algerien.
Bei Flüssigerdgas aus den USA und Australien handelt es sich oft um Fracking-Gas. Das ist aufgrund von Leckagen noch klimaschädlicher als konventionelles, fossiles Gas.
Bemerkenswert sind beim Flüssigerdgasimport die politischen Implikationen dieser Importe. Dass die USA nun der wichtigste Lieferant geworden sind, zeigt einmal mehr, dass Rohstoffe und Energieträger heute zu den wichtigsten Motoren der internationalen Politik gehören; die US-Politik ist da – egal ob unter republikanischer oder demokratischer Herrschaft – von harten Exportinteressen bestimmt, zugleich ordnet sich die EU den USA unter und geht mit diesem Staat Deals ein, die ökonomisch für Europa keineswegs vorteilhaft sind.
Ferner bettelt zum Beispiel Robert Habeck von der deutschen Regierung bei Katar um Flüssigerdgas – Katar ist berüchtigt für seine antidemokratische Politik und für seine sklavenähnliche Haltung ausländischer Arbeiter im Land, die unter miserablen Bedingungen die Infrastruktur aufbauen müssen. Doch Katar ist an Verträgen über langfristige Lieferungen zu hohen Preisen interessiert, während der grüne Habeck offensichtlich vorübergehende Lieferungen (nur bis zum stärkeren Ausbau der Sonnen- und Windenergie in Deutschland) zu ähnlich niedrigen Preisen wie früher beim russischen Pipeline-Ergdas wünscht. Entsprechend mager fiel das Resultat dieser Verhandlungen aus.
Der Lieferant Algerien wiederum steht im Streit mit Spanien, weil Spanien mit Marokko, das mit ungebremsten Flüchtlingsströmen nach Spanien droht, einen Deal zu Lasten der Westsahara eingegangen ist – bisher galt die illegale Annexion der Westsahara durch Marokko für die Europäer als völkerrechtswidrig.
Dass nun auch Russland ein bedeutender Exporteur von Flüsssigerdgas nach Europa geworden ist, zeigt die ganze Absurdität der europäischen Energie- und Sanktionspolitik, die eher von Interessen einzelner Konzerne bestimmt wird als von gesamtstaatlicher Rationalität – anders gesagt, artet die Politik immer mehr in Public Relations und Show für das schlecht informierte Publikum aus.
Beim Flüssigerdgas tritt eben im Gegensatz zur weitgehend staatlich bestimmten oder wenigstens staatlich kontrollierten Pipeline-Infrastruktur eine Vielzahl von Akteuren mit unterschiedlichen Interessen auf – Börsen und Banken, Logistikunternehmer jeder Art, Schiffsreeder, Hafenbetreiber, Grosskonzerne für Handel, Einkauf und Verkauf, wie es sich im Kasinokapitalismus gehört, so beispielsweise die als Ölkonzerne bekannten Unternehmen BP, Total, Shell, Chevron, Exxon Mobil, Saudi Aramco und andere, die vor allem in den USA, in Grossbritannien und Saudiarabien sitzen und ihren Marktanteil auf Biegen und Brechen vergrössern wollen. Selbstverständlich sind auch die riesigen Finanzinvestoren wie Backrock etc. dabei – wie überall, wo man Geld abzweigen kann.

4. Wie steht es mit den Produktionskapazitäten von Flüssigerdgas?
Bis vor kurzem gab es beim Flüssigerdgas grosse Ueberkapazitäten. Das ändert sich nun zur Freude der Produzenten und der ganzen Handelskette, allen voran der USA, wegen der Sanktionen der westlichen kapitalistischen Staaten – zum Beispiel wegen des Ausschlusses Russlands aus dem Swift-Zahlungssystem mit der Folge, dass Russland wie schon früher Kuba, Venezuela, Iran und Afghanistan und andere nicht mehr über ihre Dollars oder Euros verfügen können, die sie verdient haben. Auch der Widerstand Polens, der Ukraine und in erster Linie der USA gegen die innereuropäischen Pipelines sowie deren kürzliche Sabotage mittels Sprengungen vor der dänischen Insel Bornholm beschleunigt den Übergang vom Pipelinegas auf Flüssigerdgas, so dass die Überkapazitäten abnehmen. Dies führt natürlich zu weiteren Preissteigerungen der bereits stark gestiegenen Preise.

5. Wo kam Flüssigerdgas bisher zum Einsatz?
Flüssigerdgas kam bisher vor allem in Staaten zum Einsatz, die nicht den Vorteil hatten, Nachbarn mit grossen Gasvorkommen wie Russland und Norwegen zu haben und nicht mit Pipelines von diesen Staaten versorgt wurden. Zu nennen sind vor allem Japan, Südkorea, Pakistan, Indien und zahlreiche afrikanische Länder.
Der Verbrauch von Flüssigerdgas wird in den ärmeren Ländern wegen der Sanktionen gegen Russland und wegen des Ersatzes des billigen russischen Erdgases durch teures nordamerikanisches Flüssigerdgas sicher relativ zum gesamten Weltmarkt, wohl aber auch in absoluten Zahlen zurückgehen.

6. Wie wird Flüssigerdgas produziert, transportiert und verteilt?
Flüssigerdgas kann grundsätzlich überall dort produziert werden, wo Erdgas gefördert werden kann.
In den USA, in Kanada und teilweise auch in andern Ländern wie Australien wird das Erdgas (und damit auch das Flüssigerdgas) zu grossen Teilen mittels „Fracking“ aus den Gesteinsschichten unter dem Erdboden herausgepresst. Dabei wird ein Gemisch aus Wasser und Chemikalien in den Boden gepresst. Dieses Gemisch verdrängt das Erdgas und bringt es an die Oberfläche. Fracking ist in Europa aus naheliegenden Gründen (Gewässerschutz!) noch in den meisten Staaten verboten.
Auf dem amerikanischen Kontinent und in Australien gibt es immer wieder Widerstand gegen Fracking. Indigene Bevölkerungen protestieren zu Recht gegen das Fracking und wehren sich gegen die Verseuchung ihres Grundwassers und gegen die Zubetonierung ihrer Gebiete mit Industrieanlagen und Strassen.
Im Empfängerland müssen wie in den Lieferländern riesige Häfen und Umschlagplätze, neue Pipelines und Strassen, erstellt werden, um das gelieferte Flüssigerdgas zu verteilen. Die nötige Infrastruktur verbaut gewaltige Mengen an grauer Energie – um so absurder, als mit Nord Stream 1 und 2 ja eigentlich eine funktionierende Erdgasverteilung vorhanden wäre.

7. Wie sieht die Preisentwicklung bei Flüssigerdgas aus?
Das aufwendige Förderverfahren, grösstenteils mit Fracking, die teure Kühlung und der komplizierte Transport des Flüssigerdgases sowie die grosse Zahl der beteiligten privaten Unternehmer, die wie im Kapitalismus üblich alle einen Teil des Gesamtprofites beanspruchen, treiben die Preise in die Höhe. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sagte vor der französischen Nationalversammlung, es sei inakzeptabel, wenn Washington sein verflüssigtes Erdgas zum vierfachen Preis an die EU verkaufe, den es für seine heimischen Industrien festlege. Die hohen Preise führen zu wachsenden Widersprüchen innerhalb der EU.

8. Welche aussereuropäischen Länder leiden unter der zunehmenden Nachfrage nach Flüssigerdgas?
Die nun wegen der erwähnten Spekulationen und der anschliessenden Sanktionen gegen Russland sowie der Kappung der russischen Pipelines weiter steigenden Gaspreise stellen für die Bevölkerung der ärmeren Staaten eine gewaltige Bedrohung dar – erstens müssen Weltmarktpreise bezahlt werden und zweitens ist in diesen Ländern der Anteil für Brennstoffe am persönlichen Budget der Menschen ohnehin schon viel höher als im reichen Westen.
Das betrifft unter anderem Länder wie Pakistan, Indien, Bangladesch, Thailand sowie grosse Teile des afrikanischen Kontinentes. Gerade in schwach elektrifizierten Ländern ist Gas neben dem in einigen Gegenden seltenen Brennholz und andern gesammelten Brennstoffen oft für das Kochen und manchmal auch für die Lebensmittelkühlung unabdinglich. Selbstverständlich steigen auch die Preise für Butan und Propan in Gasflaschen ähnlich wie die Preise für das Flüssigerdgas und das Erdgas generell.

9. Wie sieht die Ökobilanz beim Flüssigerdgas aus?
Die Ökobilanz von Flüssigerdgas wird von vielen Experten als extrem schlecht bezeichnet und mit jener von Kohle verglichen; mit anderen Worten ist die Ökobilanz des Flüssigerdgases so schlecht wie jene des negativen Rekordhalters unter den fossilen Energien. Schon die Verflüssigung verschlingt 10 bis 25 % seines Energiegehaltes. Somit ist die Abkehr vom in Pipelines geführten Erdgas zu Flüssigerdgas ein gewaltiger Rückschritt, der uns in der Klimapolitik wieder zurückwirft.
Beim Flüssigerdgas sind die ökonomischen und energetischen Investitionen in die nötige Infrastruktur weitgehend „für die Katze“, denn so oder so wird die Sonnen- und Windenergie auch das Flüssigerdgas ersetzen. Der Ersatz fossiler durch nachhaltige Energien sollte jedoch aus ökologischen und volkswirtschaftlichen Gründen planmässig und überlegt möglichst schnell passieren und nicht über einen ökologischen Rückschritt, den insbesondere die deutschen „Grünen“ mit ihrer sich den Interessen des Flüssigerdgasexporteurs USA vollständig unterordnenden Aussenpolitik den Völkern Europas eingebrockt haben. Die „Grünen“ in Deutschland haben sich mit ihrer blinden USA-Hörigkeit in eine in ökologischer, ökonomischer, sozialer, innen- und aussenpolitischer Hinsicht schier ausweglose Situation manövriert und die früheren Ziele der Gründergeneration ihrer Partei verraten und damit Europa nachhaltigen Schaden zugefügt.

Quelle: Schweizerische Friedensbewegung

EuropaSFB