Fünf, sechs, sieben? Acht.
Vor dem Abschluß der Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie fand vergangenen Freitag in Dortmund ein Warnstreik der IG Metall statt. UZ-Volontär Valentin Zill war vor Ort und schildert seine Eindrücke:
Rote Westen, rote Caps, rote Fahnen – die Prinz-Friedrich-Karl-Straße in Dortmund ist an diesem Vormittag ein Meer aus rot. In Hausnummer 14 residiert der Unternehmensverband der Metallindustrie für Dortmund und Umgebung e.V. Mehr als 1.600 Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie versammeln sich am 17. November ab halb elf hier, um lautstark zu demonstrieren, dass sie ihre Forderung nach 8 Prozent mehr Lohn ernst meinen.
Eine moderne Version von „Bella Ciao“ dröhnt durch die Straße und animiert zum Tanzen. Die Musik konkurriert mit dem Krach mehrerer Hundert Ratschen und Trillerpfeifen. Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann ist angereist. Kolleginnen und Kollegen nutzen die Gelegenheit für Fotos mit ihm.
Um viertel vor elf greift Ulrike Hölter zum Mikrofon. Die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ruhrgebiet Mitte ruft ihren Kollegen aus Bochum, Herne, Lünen und Dortmund entgegen: „Ihr macht jeden Tag nen guten Job, ihr habt mehr verdient!“ Sie erinnert daran, wie lange sich die Arbeitgeberverbände Zeit gelassen haben für ein erstes Angebot. Das sei Arbeitsverweigerung, aber „das können wir auch!“ Man brauche die Kohle, um zu essen und in die Arbeit fahren zu können. Hofmann sekundiert: Nach vier Monaten ohne brauchbares Tarifangebot sei die Geduld aufgebraucht.
Bei der Angebotsverweigerung könne es nicht bleiben, sagt Hölter Ernst-Peter Brasse. Der Geschäftsführer des Dortmunder Unternehmensverbands der Metallindustrie hat das unverbindliche Dauergrinsen gut bezahlter Personalchefs aufgesetzt. Hölter überreicht ihm eine Packung „Nimm8“, ein Goodie, das auf eine bekannte Bonbonmarke anspielt.
Um zehn nach elf zieht die Demonstration dann los. Vorneweg gibt eine Trommlergruppe den Takt vor. Dahinter zwei Fronttransparente, „Gemeinsam für 8 Prozent“ und „Ohne Wenn und Aber! 8 Prozent mehr Geld für Auszubildende und dual Studierende!“ Dazwischen Jörg Hofmann. Der Nieselregen hat mittlerweile aufgehört. Auf die Stimmung hatte er ohnehin nicht gedrückt. „Ende der Bescheidenheit, wir sind streikbereit!“ schallt es durch die Straßen Dortmunds, und „Fünf, sechs, sieben, acht – Solidarität ist Macht!“ Kurz vor dem Einlauf vor der Geschäftsstelle der IG Metall Ruhrgebiet Mitte zünden Kollegen noch Bengalos.
Vor dem Gewerkschaftsbüro stehen rote Pavillons. Geübte Hände teilen Getränke aus, belegte Brötchen und süße Brezeln in Form einer Acht. Hungrige Streikende beißen fast so schnell von ihnen ab, wie Arbeitgeber Tarifforderungen unterbieten. Der Duft frisch gegrillter Bratwürste weht über den Platz. Das Gedränge ist so dicht, dass man kaum durch kommt.
Marc Schneider eröffnet das Bühnenprogramm um kurz vor zwölf. Der Kassierer der IG Metall Ruhrgebiet Mitte übergibt schnell an Jörg Hofmann. Dessen Terminkalender ist heute eng getaktet. Er darf seinen ICE Richtung Stuttgart nicht verpassen. In Ludwigsburg stehen entscheidende Tarifverhandlungen an.
„Wir lassen uns nicht mehr vertrösten, wir wollen ein Ergebnis jetzt!“, beginnt Hofmann. Er ist auch Präsident der globalen Gewerkschaftsföderation IndustriALL Global Union. Zwei Tage zuvor habe er die Möglichkeit gehabt, mit Kollegen aus der ganzen Welt zu sprechen. „Was uns eint, ist immer das Gleiche. Ob du Textilarbeiter bist in Malaysia, ob du Stahlarbeiter in den USA bist, oder ob du Facharbeiter Maschinenbau in Deutschland bist: Es sind immer die arbeitenden Menschen, es sind die Arbeitslosen, die Rentner, die am meisten leiden unter dieser Teuerungsrate!“ Anders als Unternehmen könnten die schließlich erhöhte Preise nicht weitergeben. „Und wir sehen das ja gerade: Die Konzerne veröffentlichen mitten in der Krise Bilanzen, die goldgeladen sind, wo Milliardengewinne ausgewiesen werden.“
3.000 Euro Einmalzahlung bei 30 Monaten Laufzeit war das bislang einzige Angebot der Arbeitgeber. Umgerechnet gerade einmal 100 Euro pro Monat also. Das sei, ruft Hofmann empört, als bestelle man bei einem Handwerker eine Warmwasser-Therme und bekäme stattdessen einen freien Tag im Hallenbad angeboten. 8 Prozent mehr in der Tabelle sei nicht nur eine Forderung der Gerechtigkeit, sondern auch der Vernunft. Jetzt müsse die Kaufkraft gestärkt werden, um die Konjunktur zu stabilisieren. Gebe es am Abend kein zufriedenstellendes Ergebnis, stünden 24-Stunden Warnstreiks und teilweise gleich Urabstimmungen an. Dafür bekommt Hofmann den größten Applaus seiner Rede. Mit einem „Glück auf“ verabschiedet er sich nach Ludwigsburg.
Auch aus den folgenden Redebeiträgen spricht Unverständnis über die Verweigerungshaltung der Konzernleitungen und Bereitschaft zum Streik. Tags zuvor hätten sich mehr als 100.000 Metaller an Warnstreiks in Nordrhein-Westfalen beteiligt, sagt Ulrike Hölter, „so viele wie noch nie“. Ein Arbeitgeber-Vertreter habe ihr gegenüber kürzlich bekundet, er verstehe nicht, warum die IG Metall jetzt zu Warnstreiks aufrufe. Man sei doch schon nahe beisammen. „Bei 0 Prozent? Wir haben uns gefragt, welche Drogen die denn nehmen.“
Wie man Abhilfe schafft, weiß Michael Peschke, Vorsitzender des Betriebsrats bei WILO. „Wenn wir alle in der Gewerkschaft wären, wäre der Spuk längst vorbei!“ Er findet: „Es ist geil, mit euch heute solidarisch sein zu dürfen.“ Dieser Meinung sind die 1.600 Metallerinnen und Metaller vor der Bühne auch, das ist weithin hörbar. Sie sind gerne bereit, ihren Chefs die rote Karte zu zeigen.
Quelle: Unsere Zeit