Ministerrat beschließt neue Antikorruptionsstrategie
Wie das Nachrichtenportal „Cubadebate“ berichtet, hat der Ministerrat des Landes bei seiner jüngsten Tagung „ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen“ über das sich verschärfende Korruptionsproblem in Kuba beraten. Dabei herausgekommen ist der Beschluss einer integralen Strategie, die sich gegen „jede Form von Illegalitäten, Gaunerei und Korruption“, sowohl im staatlichen als auch im Privatsektor richtet.
Korruption und Dollarisierung
Korruption, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Spekulation und andere „soziale Disziplinlosigkeiten“ verschiedenster Art sind spätestens seit der Sonderperiode auf Kuba weit verbreitet. Sie gehören zur ökonomischen Überlebensstrategie vieler Personen mit und ohne festem Arbeitsverhältnis. Im Kontext der aktuellen Wirtschaftskrise hat das Phänomen jedoch neue Dimensionen angenommen. Der Schwarzmarkt spielt seit der Ausweitung der Dollarisierung ab 2020 inzwischen eine zentrale Rolle bei der Güterverteilung. Zahlreiche Produkte, die früher zum Standardsortiment gehörten, sind inzwischen nur noch gegen Kartenzahlung in Fremdwährung erhältlich und damit für die meisten Kubaner nicht mehr legal erreichbar. Gleichzeitig fehlt mit dem Einbruch des Tourismus und der Einschränkung von Geldüberweisungen durch US-Finanzsanktionen vielen Familien ein ein über den staatlichen Lohn hinausgehendes Einkommen. Entsprechend wenig überraschend die Feststellung, dass Erscheinungen wie Bestechlichkeit und Veruntreuung von staatlichen Ressourcen zugenommen haben.
„Wir haben eine Kaste geschaffen, in der ein korrupter Handelsaustausch im Rahmen einer illegalen Schattenwirtschaft stattfindet. Und das soll Sozialismus sein; das soll sein, was wir wollen? Und ist es das, was uns Entwicklung bringt?“, fragte Premierminister Manuel Marrero rhetorisch auf der Sitzung. Die Gesellschaft stehe vor einem massiven Werteproblem, wovon auch die lebhafte Debatte über die Sitzung zeugt. „Viele dieser Dinge passieren, weil wir nicht im Rahmen der Befugnisse und Verantwortlichkeiten unserer Institutionen gehandelt haben“, erklärte Präsident Miguel Díaz-Canel.
Im Zentrum des Antikorruptionsprogramms stehen der Schwarzmarkt und dessen Preise. Parallel zu den Gesetzen wurde hier eine neue Inspektionskampagne gestartet, über die umfangreich in den staatlichen Medien berichtet wird: Vor wenigen Tagen erst wurde ein Schlag gegen Händler auf dem Bauernmarkt 19 y 42 in Havannas Stadtteil Vedado gemeldet. Dort waren Karotten für 300 Pesos (2,5€) pro Pfund verkauft worden, was dem drei- bis vierfachen des marktüblichen Preises entspricht. Darüber hinaus sind bei der Kontrolle Nylontüten ohne Rechnung und fehlende Preisschilder bemängelt worden. Eine andere Inspektion stellte auf dem bekannten Handelsplatz 100 y Boyeros Pakete von Eiern und Hähnchenfleisch sicher, die von staatlichen Reserven abgezwackt und zum mehrfachen Preis verkauft wurden. In einer Bodega in Havanna wurde „vergessen“, das angelieferte Tomatenpüree zu verkaufen. Wer als privater Händler keinen Beleg für die zum Verkauf stehende Ware hat, läuft dieser Tage Gefahr, ein Bußgeld zu kassieren.
An sich sind die geschilderten Fälle keine neuen oder ungewöhnlichen Phänomene. Vergleichbare Razzien brachten schon vor Jahren ähnliche Ergebnisse zu Tage. Die Botschaft, die dabei gesendet wird: Die Regierung versucht (mal wieder) den Schwarzmarkt einzudämmen. Damit werden in der Regel zwei Ziele verfolgt: 1. Spekulative Exzesse in die Schranken weisen und 2. Präsenz zu zeigen, und daran zu erinnern, dass allzu laxes Verhalten in Bezug auf informellen Handel am Fiskus vorbei eine Missachtung der Gesetze darstellt, die in Kuba denormalisiert bleiben soll. Wie in vorangegangenen Kampagnen auch, werden die meisten Schwarzmarkthändler „den Kopf einziehen und abwarten bis der Sturm vorüber ist“, wie es in Havanna dieser Tage heißt.
Integrale Strategie?
Dabei muss man wissen, dass der Kampf gegen den Schwarzmarkt so alt wie die Revolution selbst ist. Dass dessen strukturellen Ursachen im Mangel liegen und horrende Preise nur durch eine Vergrößerung des Angebots in den Geschäften nachhaltig bekämpft werden können, ist der Regierung heute wohl bewusst. Auf die Einführung genereller Preisobergrenzen wird deshalb verzichtet. Wirtschaftsminister Alejandro Gil betonte mehrfach, dass man dieses Instrument ad acta gelegt habe. Es deutet sich an, dass sich die jetzige Kampagne gezielt gegen Exzesse richtet und anders als früher die meisten Privatbetriebe nichts zu befürchten haben. Alles andere wäre auch extrem kontraproduktiv, würde es doch den zarten Aufschwung des Kleingewerbes nach zwei Jahren Corona, und damit auch die Verbesserung der Versorgungslage gefährden.
Ein weiterer Aspekt betrifft die Sozialpolitik. „Wir müssen genau definieren, wer zu den vulnerablen Gruppen gehört. Eine Person, die arbeiten kann aber dies nicht tut, ist nicht vulnerabel. Der erste Ansatz muss hier nicht Sozialhilfe, sondern die Vermittlung einer Stelle sein“, sagte Díaz-Canel. Viele der Schwarzmarkthändler seien junge Menschen, die mangels legaler Beschäftigung auf diese Einkommensquelle zurückgriffen.
Insgesamt umfasst die neue Antikorruptionsstrategie 40 Direktiven, die von der Bekämpfung des Diebstahls in Betrieben, stärkeren Kontrollen über Steuerdisziplin bis hin zur Reform der Generalstaatsanwaltschaft und des Rechnungshofs reichen. Mit der Gründung des obersten Rechnungshofs im Jahr 2009 wurde auf Kuba zum ersten Mal eine Institution geschaffen, die sich dem Thema Korruptionsbekämpfung gezielt annimmt. In den vergangenen Jahren scheint die Rolle der Behörde jedoch etwas verwässert worden zu sein. Die Befugnisse der „Controlaria General“ sollen nun in Übereinstimmnug mit der neuen Verfassung neu abgesteckt werden. Ob damit auch die notwendigen Instrumente geschaffen werden, auch auf höchster Ebene gegen Korruption zu ermitteln, bleibt abzuwarten. Dort sind in der Vergangenheit kaum Fälle aufgedeckt worden, die in den Medien dann oft nur eine Fußnote ausmachten. Die Praxis wird zeigen, wie integral die neue Antikorruptionsstrategie wirklich ausfällt. Die beiden Gesetze liegen derzeit als Entwurf zur öffentlichen Diskussion vor und sollen im Dezember von der Nationalversammlung beschlossen werden.
Quelle: Cuba heute