PRO ASYL: Neues Chancen-Aufenthaltsrecht pragmatisch und wohlmeinend umsetzen!
Im Januar 2023 tritt das neue Chancen-Aufenthaltsrecht in Kraft. Das Gesetz gibt Tausenden von Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland leben und arbeiten und dennoch in ständiger Angst vor Abschiebung leben müssen, Hoffnung auf einen gesicherten Aufenthalt. Es gibt aber auch schlechte Nachrichten: Gut integrierte junge Menschen sind in der einjährigen Vorduldungszeit, die sie aufweisen müssen, um überhaupt von dem Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren zu können, einer erhöhten Abschiebegefahr ausgesetzt. Wichtig ist nun vor allem, dass das Bundesinnenministerium die Anwendungshinweise an die Ausländerbehörden so gestaltet, dass möglichst viele Menschen von dem Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren können.
„Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht ist ein richtiger Schritt hin zur Abschaffung der Kettenduldungen, unter denen Zehntausende von Menschen leiden. Es enthält aber auch noch einige Konstruktionsfehler: So bietet die Stichtagsregelung nur eine Lösung für die Gruppe von Menschen, die zum 31. Oktober 2022 fünf Jahre in Deutschland lebten und bestimmte Bedingungen erfüllen. Das grundsätzliche Problem der Kettenduldungen und der damit einhergehenden erschwerten Integration wird aber nicht gelöst, es gibt keine Abkehr von den Kettenduldungen. Weiterhin werden Zehntausende Menschen in Angst und Schrecken leben müssen, weil sie keine dauerhafte Perspektive haben und ständig die Abschiebung fürchten müssen“, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.
Gut integrierten Jugendlichen droht Abschiebung
Erhöhte Abschiebegefahr besteht für gut integrierte junge Menschen. Zwar sollen sie künftig bereits nach drei statt nach vier Jahren Aufenthalt in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 25a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erhalten können und dies nicht mehr nur bis zum 21., sondern bis zum 27. Lebensjahr. Doch dafür müssen sie sich künftig seit mindestens einem Jahr im prekären Status der Duldung befinden.
Diese Vorduldungszeit verschafft Ausländerbehörden zusätzliche Spielräume, gut integrierte Jugendliche abzuschieben, bevor die Bleiberechtsregelung überhaupt greift – obwohl ein junger Mensch zum Beispiel mitten in einer Ausbildung steckt. „Um solche Abschiebungen zu verhindern, muss das Bundesinnenministerium klare Anwendungshinweise mit pragmatischen Lösungen an die Behörden formulieren: Bei jungen Menschen, die alle Bedingungen außer der neuen zwölfmonatigen Vorduldungszeit erfüllen, müssen die Ausländerbehörden auf eine mögliche Abschiebung verzichten. Die jungen Menschen brauchen ihre Energie für die Ausbildung – und sollen sie nicht für Zukunftssorgen verschwenden müssen“, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.
Ausländerbehörden müssen in klarer Sprache mündlich und schriftlich beraten
„Wichtig für den Erfolg des neuen Chancen-Aufenthaltsrechts ist auch, dass die Ausländerbehörden ihre im Gesetz verankerte Hinweispflicht bestmöglich erfüllen und ihr so nachkommen, dass die Menschen die Hinweise auch verstehen und ihre Chance auf das Chancen-Aufenthaltsrecht nutzen können. Mündliche Hinweise, die oft unverständlich sind, reichen hier nicht aus. Nötig sind verständlich formulierte Hinweisblätter in einer klaren Sprache“, sagt Alaows.
Dazu gehört zum Beispiel auch eine schriftliche Zusicherung der Behörde für diejenigen, die innerhalb des Chancen-Aufenthaltsrechts einen Pass beschaffen müssen. In dieser Zusicherung muss stehen, dass die Person, wenn sie alle Bedingungen des Anschlussstatus nach dem Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllt, inklusive Identitätsklärung, in Deutschland bleiben kann und eine Aufenthaltserlaubnis bekommt.
Praktische Lösungen im Sinne der Begünstigten sind nötig
Auch sonst geht es oft um praktische Lösungen. So haben diejenigen, die das Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten, 18 Monate Zeit, um die Bedingungen für einen dauerhaften Aufenthalt zu erfüllen. Diese Frist sollte aber erst dann beginnen, wenn der oder die Begünstigte die Aufenthaltserlaubnis auch tatsächlich in der Hand hält. Das bedeutet: Die Ausländerbehörden sollten das Ablaufdatum der Aufenthaltserlaubnisse so setzen, dass die Dauer des Drucks bei der Bundesdruckerei, der Versand an die Behörden und die Übergabe an die Begünstigten einberechnet sind.
So macht es beispielsweise keinen Sinn, wenn in einer Aufenthaltserlaubnis bereits das Ablaufdatum 15. Juni 2024 eingetragen ist, der oder die Begünstigte aber erst für Ende Juli 2023 einen Termin bei der Ausländerbehörde zur Übergabe bekommt – denn dann sind schon Wochen der kostbaren Zeit verstrichen.
Zum Hintergrund
Mit dem Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts sollen vor allem Langzeitgeduldete eine Perspektive der Aufenthaltssicherung bekommen. Zudem sollen für diesen Personenkreis Anreize zur Integration und Identitätsklärung geschaffen werden, ohne dass die Betroffenen eine Abschiebung befürchten müssen. Dafür ist das Chancen-Aufenthaltsrecht im § 104c AufenthG eingeführt worden.
Als langfristiges Ziel sollen die begünstigten Personen dann in die Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige nach § 25a AufenthG oder in die Aufenthaltserlaubnis für Erwachsene bei nachhaltiger Integration nach § 25b AufenthG wechseln. Diese beiden Aufenthaltstitel sind im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens ebenfalls geändert worden.
Ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, der bisherigen Praxis der Kettenduldungen mit einem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht entgegenzuwirken, setzt die Bundesregierung leider nur unzureichend um. In ihrem am 7. Dezember 2021 verabschiedeten Koalitionsvertrag kündigte die Regierungskoalition an:
»Der bisherigen Praxis der Kettenduldungen setzen wir ein Chancen-Aufenthaltsrecht entgegen: Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, sollen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen (insbesondere Lebensunterhaltssicherung und Identitätsnachweis gemäß §§ 25 a und b AufenthG).«
Hinweis:
Die Entwurfsversion des Gesetzes vom 28.09.2022 finden Sie hier. Das Gesetz soll Anfang Januar 2023 am Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.
PRO ASYL hat umfangreiche Beratungshinweise zum Chancen-Aufenthaltsrecht veröffentlicht: https://www.proasyl.de/hintergrund/hinweise-zum-chancen-aufenthaltsrecht/
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Quelle: Pro Asyl