28. November 2024

Russlands Botschafter Sergej Netschajew im Interview mit der Zeitung «Izwestija»

Übernommen von: Pressemitteilungen – Botschaft der Russischen Föderation

Vor kurzem wurde in Berlin beschlossen, schwere Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 an die Ukraine zu liefern. Mittlerweile wird über mögliche Lieferungen von Kampfjets an Kiew diskutiert. Auf der einen Seite schließen Berlins offizielle Vertreter diese Möglichkeit aus. Auf der anderen Seite räumen einige SPD-Vertreter diese Entwicklung doch ein. Deutet dies darauf hin, dass die Bundesrepublik ihre Haltung in der Frage noch ändern könnte?

Es ist vergebliche Mühe, Voraussagen über Berlins Entscheidungen über die Aufrüstung des Kiewer Regimes zu treffen. Wir erinnern uns, dass die Militärhilfe Deutschlands für die Ukraine mit den Schutzhelmen anfing. Darauf folgten Munition, tragbare Luftabwehrsysteme und Panzerabwehrraketen. Dann waren Haubitzen, Flakpanzer, Mehrfachraketenwerfer und moderne Raketenabwehrsysteme dran. Nun werden mit den Kampfpanzern vom Typ Leopard 1 und 2 Offensivwaffen buchstäblich ins Feld geführt. Während es ursprünglich für Berlin gewisse «rote Linien» gab, so wurden sie schon längst überschritten. Denken Sie nur an die Abkehr von der Position, die über Jahrzehnte Waffenlieferungen in Konfliktgebiete untersagte.

Tatsächlich erklärt der Bundeskanzler heute öffentlich, dass sich die Frage nach Kampfjets nicht stellen würde. Man möchte hoffen, dass es dabei bleibt. Ähnliches hörten wir jedoch in Bezug auf die schweren Panzer. Dabei bringt man immer wieder die Einschränkung ins Gespräch, zum einen würde Berlin alle seine Beschlüsse zu Waffenlieferungen nach Rücksprache mit Verbündeten fassen. Zum anderen würden sich die Beschlüsse nach der Lage vor Ort richten. Also sollte man die Versprechen des Bundeskabinetts nicht voreilig in Stein meißeln.

Der Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte erneut, er habe kein Interesse an einer Konflikteskalation und wolle seine Kontakte mit Präsident Putin fortführen. Hängt diese «umsichtige» Rhetorik Berlins nach ihrer Meinung damit zusammen, dass die Deutschen sich der Notwendigkeit eines Dialogs über die gesamteuropäische Sicherheit mit Russland bewusst sind?

Aus meiner Sicht gibt es einen gewissen Widerspruch zwischen den «umsichtigen» Äußerungen, man wolle keine Eskalation, und den massenweisen Lieferungen moderner Waffen in die Konfliktzone. Was die europäische Sicherheit anbelangt, so lautet das heutige öffentliche Diktum der deutschen Vertreter: «Sicherheit nicht mit, sondern vor Russland». Dennoch wollen wir uns Gesprächen nicht verweigern. Wir sind der Meinung, dass ein Dialog allwettertauglich sein muss. Diese Gespräche werden bislang jedoch vom Westen ausschließlich genutzt, um die eigene Position durchzudrücken. Wir können  nicht erkennen, dass jemand unsere Argumentation berücksichtigen will.

Bislang kommt Deutschland durch die Energiekrise recht erfolgreich. In vielerlei Hinsicht ist es dem warmen Winter zu verdanken. Könnte sich die Situation in der nächsten Heizperiode abrupt verändern? Deutet etwas darauf hin?

Ich würde nicht so voreilig vom Erfolg sprechen. Als Ende August bzw. Anfang September vergangenen Jahres die Lieferungen ausgesetzt wurden, erreichten hier die Preise für «blauen Brennstoff» mit über 350 Euro pro MWh Rekordhöhen. Um Versorgungsengpässen und einem bezirksweisen Ausschalten der Stromversorgung vorzubeugen, musste ein Aktionsplan aufgelegt werden. Der Gasverbrauch sollte um 20 Prozent gedrosselt werden, was zu Stromausfällen bei einigen Industriebetrieben führte. Einfache Bürger wurden aktiv aufgefordert, Wärme und Strom einzusparen.

Zudem sollte man nicht vergessen, dass die Gasspeicher, die in der Heizperiode als Sicherheitspuffer dienen, bereits zu einem wesentlichen Teil mit russischem Gas befüllt worden waren. Die Frage aller Fragen ist, womit es in Zukunft ersetzt werden kann und zu welchem Preis. Um aus der Abhängigkeit von Russland herauszukommen, baute man in der Bundesrepublik drei LNG-Terminals. Acht weitere sind geplant. Von ihrer kompletten Auslastung — und dabei geht es um über 74 Milliarden Kubikmeter — kann noch keine Rede sein. Es wurden zwei Lieferabkommen für 5 Milliarden Kubikmeter LNG pro Jahr unterzeichnet. Sie werden jedoch frühestens ab 2025 wirksam. Hinzu kommt, dass mit der Erholung der chinesischen Wirtschaft die Nachfrage nach dem LNG in Asien und damit auch der Preis zunehmen werden. Wie auch immer sich die Situation entwickelt, das Zeitalter günstiger russischer Energieträger ist für die Bundesrepublik zu Ende. Ob das ein Erfolg ist?

Bis heute sind die Verantwortlichen für die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines nicht genannt worden. Gleichzeitig sagte Matthias Warnig, der Geschäftsführer der Nord Stream AG, im Gespräch mit „Die Zeit“, ein NATO-Land stehe dahinter. Setzt Deutschland seine Ermittlungen fort? Und verspricht Berlin, die Ergebnisse mit Russland zu teilen?

Der Generalbundesanwalt Deutschlands sagt, dass die Ermittlungen der Sabotage an den Nord-Stream-Leitungen fortgeführt würden, und will noch keine Ergebnisse bekannt machen. Am 5. Oktober 2022 regte der russische Ministerpräsident Michail Mischustin in einem Schreiben an den Bundeskanzler Olaf Scholz an, russische Spezialisten in die Untersuchungen einzubeziehen. Auf diesen Vorschlag wurde von Berlin trotz unserer wiederholten Nachfragen nicht geantwortet. Auch die Ersuchen der russischen Generalstaatsanwaltschaft, die am 24. Oktober 2022 an das deutsche Bundesamt für Justiz in der Frage der Einrichtung eines gemeinsamen Ermittlungsteams und am 1. November 2022 in der Frage der Rechtshilfe ergangen waren, bleiben unbeantwortet.

5) Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat sich vor kurzem dafür ausgesprochen, Voraussetzungen für eine Reparatur der Nord-Stream-Pipelines zu schaffen. Wird eine solche Möglichkeit in der Bundesregierung diskutiert? Oder sind die deutschen Behörden bereit, dieses Projekt endgültig zu „begraben“?

Vom gesunden Menschenverstand aus betrachtet ist es für jeden offensichtlich, dass das Nord-Stream-Projekt eine stabile und verlässliche Gasversorgung zu vereinbarten Preisen ermöglicht, die dem Importeur Wettbewerbsvorteile verschafft. Allerdings wird der gesunde Menschenverstand hier heutzutage nicht hochgeschätzt. Alles wird von der politischen Konjunktur bestimmt, die die Deutschen einen dringenden Verzicht auf die russischen Energieressourcen nahelegt. Gerade das tun sie nun zu ihrem eigenen Nachteil.

Sogar deutsche Medien weisen darauf hin, dass in Russland eine beträchtliche Anzahl von deutschen Unternehmen geblieben ist. Bedeutet das, dass die Handelsbeziehungen zwischen unseren Ländern am wenigsten beeinträchtigt sind? Zeigen sich deutsche Unternehmen bereit, nach Russland zurückzukehren?

Laut Umfragen haben sich die meisten deutschen Firmen dafür entschieden, auf dem russischen Markt in irgendeiner Form präsent zu bleiben und das trotz des beispiellosen Drucks seitens der Behörden und Medien in Deutschland. Die Unternehmer  sind sich darüber im Klaren, dass das verlorene Terrain auf dem russischen Markt schnell von Konkurrenten eingenommen wird. Ihre Aufgabe besteht also nicht darin, möglichst bald zurückzukehren, sondern in Russland zu bleiben.

Wie hat sich der deutsch-russische Warenumsatz 2022 im Vergleich zu 2021 verändert?

2022 betrug der deutsch-russische Warenumsatz laut vorläufigen statistischen Angaben 49,8 Milliarden Euro, was einen Rückgang von 16,5% im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Die deutsche Exporte brachen sanktionsbedingt um 45% ein und sanken auf 14,6 Milliarden Euro. Die Importe aus Russland stiegen hingegen um 6,5% auf 35,2 Milliarden Euro an. Grund dafür war eine drastische Preissteigerung bei Energieträgern. Aber die Gesamtentwicklung erfüllt einen nicht mit Optimismus.

Wie stehen deutsche Behörden zur möglichen Enteignung von russischen Vermögenswerten? Deutet etwas darauf hin, dass Deutschland diesen Schritt gehen wird?

Das Eigentum einer Reihe von russischen Energieunternehmen in Deutschland ist de facto schon beschlagnahmt worden. Man „jagt“ nach Vermögen und Kapitalanlagen der  sanktionierten russischen Unternehmer. Es werden Wege gesucht, „eingefrorene“ russische Staatsmittel zugunsten der Ukraine zu beschlagnahmen. Wenn darüber überhaupt diskutiert wird, dann dreht sich der Diskurs nur darum, wie man die Enteignungspläne juristisch korrekt begründen und ansehnlich machen könnte. Unsere Kontrahenten sollten sich aber keinen Illusionen hingeben: So ein Schritt würde sich unheilvoll auf die Attraktivität des deutschen Rechtsraumes für ausländisches Kapital auswirken und zu unseren Gegenmaßnahmen führen.

Am 20. Januar 2023 berichteten deutsche Medien, dass Berlins  Staatsanwaltschaft gegen das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin ermitteln würde. Wie entwickelt sich die Situation weiter? Wie erklärt die deutsche Seite diese Entscheidung?

Vonseiten der Berliner Staatsanwaltschaft wurde weder die Botschaft noch das Russische Haus über die Ermittlungen informiert. Auf Anfrage der Botschaft bestätigte das Auswärtige Amt in der entsprechenden Verbalnote, dass das deutsch-russische Abkommen über die Tätigkeit von Kultur- und Informationszentren von 2011 in Kraft bleibe und die Kulturtätigkeit des Russischen Hauses nicht verboten sei. Also bleibt das Russische Haus  trotz gewisser Schwierigkeiten mit seinen Bankkonten für Besucher offen. Es werden Filme gezeigt, russische Sprachkurse angeboten sowie Ausstellungen und diverse Kulturveranstaltungen durchgeführt. Wir können uns grundsätzlich nicht vorstellen, wer vom Abbruch der kulturellen und humanitären Beziehungen zwischen unseren Völkern profitieren würde. Aber die Lage ist aber so, dass man auf alles gefasst sein sollte.

Quelle: Pressemitteilungen – Botschaft der Russischen Föderation

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