27. Dezember 2024

Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg!

Übernommen von Nie wieder Krieg!:

Erklärung der Initiative Die Waffen nieder zum Jahrestag des russischen Einmarschs in die Ukraine

Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 eskalierte der siebenjährige Krieg niedriger Intensität im Donbass – nach OSZE-Angaben mit 14.000 Toten, darunter 4.000 Zivilisten, zwei Drittel davon in den abtrünnigen Gebieten – zu einer neuen Qualität militärischer Gewaltanwendung. Der russische Einmarsch war ein gravierender Bruch des Völkerrechts und führte zu noch mehr Tod, Zerstörung, Elend und Kriegsverbrechen.

Doch statt die Chance für eine Beilegung durch Verhandlungen, die bis in den April 2022 hinein zunächst auch stattfanden, zu nutzen, wurde der Krieg auch zum „Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO“ eskaliert, wie es in den USA selbst Regierungsmitarbeiter offen sagen.[1]

Dabei hatte schon die Resolution der UN-Vollversammlung vom 2. März, in der 141 Länder den Einmarsch verurteilten, die sofortige Beilegung des Konflikts „durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel“ gefordert und verlangt „sich an die Minsker Vereinbarungen zu halten“ und ausdrücklich auch im Normandieformat „konstruktiv auf deren vollständige Durchführung hinzuwirken.“ Die Aufforderung der Weltgemeinschaft wird jedoch von allen Kriegsbeteiligten ignoriert, auch wenn sie sich sonst gern auf UN-Beschlüsse beziehen – sofern sie zur eigenen Position passen.

Das Ende der Illusionen

Militärisch steckt Kiew in der Defensive und seine generelle Kriegsführungsfähigkeit schrumpft. Schon im November 2022 hatte der Chef des US-Generalstabs deshalb zu Verhandlungen geraten, weil er einen Sieg Kiews für unrealistisch hält. Er hat das jüngst in Ramstein wiederholt. Doch während Politik und Medien an der Siegesillusion festhielten, verschlechterte sich die Lage für Kiew. Das ist der Hintergrund für die jüngste Eskalation: die Lieferung von Kampfpanzern. Doch damit wird der Krieg nur verlängert. Zu gewinnen ist er nicht. Stattdessen ist das ein weiterer Schritt auf einer Rutschbahn: mit Kampfflugzeugen als nächstes, was Kiew dann auch prompt forderte; und dann weiter mit direkter Beteiligung von NATO-Truppen – und am Ende bis zur atomaren Eskalation? Die Ukraine würde als erste untergehen.

Die Anzahl der Ziviltoten beläuft sich im letzten Jahr nach UNO-Angaben auf über 7.000. Die Verluste bei Soldaten bewegen sich im sechsstelligen Bereich. Wer jetzt weiter schießen lässt, statt zu verhandeln, muss sich fragen lassen, ob er noch mal 100.000, 200.000 oder gar mehr Menschen für unrealistische Kriegsziele sinnlos verheizen will. Wirkliche Solidarität mit der Ukraine bedeutet, sich dafür einzusetzen, dass das Sterben so schnell wie möglich aufhört.

It’s Geopolitik– stupid!

Der entscheidende Grund, warum der Westen auf die militärische Karte setzt liegt darin, dass Washington die Chance wittert, Moskau in einem Abnutzungskrieg gründlich zu schwächen. Da die globale Dominanz der USA durch den Umbruch des internationalen Systems zu Ende geht, glaubt man, den Anspruch auf globale Führung – auch in der geopolitischen Rivalität gegenüber China – wieder zu festigen. Das liegt ganz auf der Linie, mit der die USA schon früh nach dem Kalten Krieg alles unternahmen, den Aufstieg eines Rivalen vom Format der Sowjetunion zu verhindern. Das wichtigste Instrument war dabei die Ostexpansion der NATO, mit der Ukraine als „unsinkbarem Flugzeugträger“ vor Moskaus Haustür als Krönung.

Gleichzeitig wurde die ökonomische Westintegration der Ukraine per EU-Assoziierungsvertrag vorangetrieben, der ab 2007 verhandelt wurde – und die Abkopplung von Russland verlangte. Als ideologische Basis wurde der antirussische Nationalismus in Osteuropa angeheizt. In der Ukraine eskalierte das in den gewalttätigen Auseinandersetzungen 2014 auf dem Maidan, und in Reaktion darauf im Donbass, was dann zur Abspaltung der Krim und der Gebiete Donezk und Luhansk führte.

Inzwischen ist der Krieg zu einem Amalgam aus zwei Konflikten geworden:

  • zum einen der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, wie er aus dem chaotischen Zerfall der Sowjetunion resultiert, und der schwer belastet ist von der widersprüchlichen Geschichte der Herausbildung einer ukrainischen Nation,
  • zum anderen die schon lange bestehende Konfrontation zwischen den zwei größten Nuklearmächten.

Damit kommen die ebenso gefährlichen wie komplexen Probleme des nuklearen Gleichgewichts (des Schreckens) ins Spiel. Aus Moskauer Sicht birgt die militärische Westintegration der Ukraine die Gefahr eines Enthauptungsschlags gegen Moskau. Zumal die Rüstungskontrollabkommen aus dem Kalten Krieg alle gekündigt wurden, vom ABM-Vertrag noch unter Bush 2002 bis zum INF- und Open Sky-Vertag unter Trump. Unabhängig von ihrer Triftigkeit ist die Moskauer Wahrnehmung deshalb ernst zu nehmen. Eine solche Furcht ist nicht durch Worte, sondern nur durch glaubwürdige Maßnahmen zu beschwichtigen. Aber Washington hat entsprechende Schritte, die Moskau im Dezember 2021 vorschlug, abgelehnt. Hinzu kommt, dass der Missbrauch völkerrechtlicher Verträge ebenfalls zu den Praktiken des Westens gehört, wie u.a. das Eingeständnis Merkels und François Hollandes zeigt, Minsk II nur abgeschlossen zu haben, um Zeit zur Aufrüstung Kiews zu schinden.

Vor diesem Hintergrund kann die Verantwortung für den Krieg – und das gilt erst recht, seitdem wir es mit einem Stellvertreterkrieg zu tun haben – nicht auf Russland allein reduziert werden. Die Verantwortung des Kremls verschwindet damit nicht. Auch in Russland breiten sich nationalistische Stimmungen aus und es kommt zur weiteren Verstärkung des autoritären Staates. Aber nur wer auf die lange Eskalationsgeschichte durch die Brille simpler Schwarz-Weiß-Feindbilder blickt, kann die Mitverantwortung Washingtons – und in dessen Schlepptau der EU – ausblenden.

In bellizistischem Fieber

Die politische Klasse und die Massenmedien kehren all diese Zusammenhänge unter den Teppich. Stattdessen sind sie regelrecht in ein bellizistisches Fieber verfallen. Deutschland ist de facto Kriegspartei und die Bundesregierung wurde Kriegsregierung. Die deutsche Außenministerin glaubte in dünkelhafter Selbstüberschätzung von wahrhaft wilhelminischer Größe, Russland „ruinieren“ zu können. Ihre Partei hat sich mittlerweile von einer Friedenspartei zum schärfsten Kriegstreiber im Bundestag entwickelt. Als es dann noch einige taktische Erfolge der Ukraine auf dem Schlachtfeld gab, deren strategische Bedeutung jedoch maßlos übertrieben wurden, entstand die Illusion, ein militärischer Sieg über Russland sei möglich.

Wer für einen Kompromissfrieden plädiert, wird als „Unterwerfungspazifist“ oder „Sekundär-Kriegsverbrecher“ beleidigt. Es entstand ein politisches Klima, wie es für die Heimatfront im Krieg typisch ist, mit einem massiven Konformitätsdruck, dem viele sich nicht zu entziehen wagen. Zum äußeren Feindbild tritt zunehmende Illiberalität im Inneren der Wagenburg. Meinungs- und Pressefreiheit erodieren, wie u.a. das Verbot von „Russia Today“ und „Sputnik“ zeigen.

Der Wirtschaftskrieg – ein Rohrkrepierer

Der Wirtschaftskrieg gegen Russland, der ebenfalls bereits 2014 begonnen hatte, nahm nach dem russischen Einmarsch zwar historisch beispiellose Ausmaße an. Aber ein Effekt auf die russische Kriegsführung blieb aus. Zwar schrumpfte die russische Wirtschaft 2022 um drei Prozent, die der Ukraine aber um dreißig Prozent. Wie lange hält das Land einen solchen Abnutzungskriegs durch?

Gleichzeitig führen die Sanktion zu Kollateralschäden in der Weltwirtschaft. Der globale Süden ist besonders schwer betroffen. Sie verschlimmern Hunger und Armut, verstärken die Inflation, und verursachen kostspielige Turbulenzen auf den Weltmärkten. Es ist deshalb kein Wunder, dass der Globale Süden weder bereit ist, sich am Wirtschaftskrieg zu beteiligen, noch Russland zu isolieren. Das ist nicht sein Krieg.

Aber auch bei uns hat der Wirtschaftskrieg negative Effekte. Die Abkopplung vom russischen Erdgas verschärft die Energiekrise, was sozial schwächere Haushalte trifft und zu einem Exodus energieintensiver Industrien aus Deutschland führen kann. Rüstung und Militarisierung gehen immer zulasten von sozialer Gerechtigkeit. Gleichzeitig sind mit Fracking-Gas aus den USA, das um bis zu 40% klimaschädlicher ist als russisches Erdgas, und mit dem Rückgriff auf Kohle alle CO2-Reduktionssziele schon jetzt Makulatur.

Absolute Priorität für Diplomatie, Verhandlungen und einen Kompromissfrieden

Der Krieg absorbiert politische, emotionale, intellektuelle und materielle Ressourcen, die für den Kampf gegen Klimawandel, Umweltzerstörung und Armut zwingend benötigt werden. Die faktische Kriegsbeteiligung Deutschlands spaltet die Gesellschaft und insbesondere jene Sektoren, die sich für sozialen Fortschritt und den sozial-ökologischen Umbau einsetzen.

Wir setzen uns dafür ein, dass die Bundesregierung ihren Kriegskurs sofort beendet. Von deutschem Boden muss eine diplomatische Initiative ausgehen. Das will auch die Mehrheit der Bevölkerung. Wir brauchen einen Waffenstillstand und den Beginn von Verhandlungen, eingebettet in einen multilateralen Rahmen unter Beteiligung der UNO.

Am Ende muss ein Kompromissfrieden stehen, der den Weg in eine europäische Friedensarchitektur ebnet, die den Sicherheitsinteressen der Ukraine, Russlands und aller am Konflikt Beteiligten – Rechnung trägt und eine friedliche Zukunft für unseren Kontinent ermöglicht.

Der Text wurde verfasst von: Reiner Braun (International Peace Bureau), Claudia Haydt (Informationsstelle Militarisierung),
Ralf Krämer (Sozialistische Linke in der Partei Die Linke), Willi van Ooyen (Friedens- und Zukunftswerkstatt),
Christof Ostheimer (Bundesausschuss Friedensratschlag), Peter Wahl (Attac).

Angaben zu den Personen dienen nur zur Information.

[1] So z.B. Hal Brands, Mitglied im Foreign Affairs Board des State Department. Washington Post, 1.5.2022


Quelle: Nie wieder Krieg!

FriedensbewegungUkraine