22. November 2024

Frauenpolitischer Vertragsbruch

Anne Rieger zum Thema Frauenpensionsalter

Frauen können seit 1956 mit 60 in Pension gehen. Das muss so bleiben. Ab 1. Jänner 2024 soll das derzeitige Pensions-Antrittsalter von Frauen erhöht werden. Für alle Frauen, die ab dem 1. Jänner 1964 geboren wurden, ist die schrittweise Anhebung vorgesehen. Die beginnt mit 60,5 Jahren für die 1964 geborenen Frauen. Alle Frauen ab dem 2. Juni 1968 geboren, können erst mit 65 Jahren in Pension gehen.
Das ist ein frauenpolitischer Vertragsbruch. Denn im Gleichbehandlungspakt von 1992, mit Johanna Dohnal vereinbart, wurde festgehalten, dass es ohne komplette Gleichbehandlung der Frauen, keine Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters geben darf.

Gesamtschau aus Frauensicht notwendig

Seit 1956 lag das gesetzliche Pensionsantrittsalter der Frauen über Jahrzehnte bei 60, das der Männern bei 65 Jahren. 1990 veröffentlichte der Verfassungsgerichtshof, dass das dem „Gleichheitsgrundsatz“ widerspreche. Bei politischen Frauenorganisationen und Gewerkschafterinnen löste das heftige Kritik und Ablehnung aus. Die Frauenministerin Johanna Dohnal forderte eine „Gesamtschau“ der aus Frauensicht notwendigen Mindestvoraussetzungen, bevor schrittweise eine Angleichung des Pensionsalters erfolge.

Diese ergab, dass von den 310 000 „ArbeitnehmerInnen“, die weniger als 10 000 Schilling brutto verdienten, 225.000 Frauen waren. Ähnliches bei den Durchschnittspensionen. Bei Männern lag sie bei 10.922 Schilling, bei Frauen nur bei 6.343 Schilling. 78 Prozent der berufstätigen Frauen waren allein für die Kinder- und Altenbetreuung und den Haushalt zuständig. Nur vier Prozent der Spitzenjobs in der Wirtschaft waren mit Frauen besetzt und im Jahr 1990 gab es nur für 55 Prozent der drei- bis sechsjährigen Kinder einen Kindergartenplatz.

Keine Verschlechterung für unselbstständig erwerbstätige Frauen

Die ÖGB-Frauen verteilten umgehend Flugblätter mit dem Titel „Keine Verschlechterung für unselbstständig erwerbstätige Frauen“. Innerhalb weniger Tage formulierten sie ein „Überschriftenpapier“, in dem sie u. a. die Gleichstellung von Frau und Mann im Beruf und Gesellschaft, gleiche Aufstiegschancen, die Sicherung der Arbeitsplätze von älteren Arbeitnehmerinnen sowie die Berücksichtigung der Belastungen der Familienarbeit bei den Pensionsanrechnungszeiten forderten. Mitte Dezember 1990 überreichte eine Frauendelegation das Papier der neuen Bundesregierung. Gleichzeitig organisierten die ÖGB-Frauen eine Postkartenaktion.

Gleiches Pensionsrecht NUR bei völliger Gleichstellung der Frauen in Arbeitswelt, Familie und Gesellschaft.

Beim ÖGB-Frauenkongress 1991 „überraschten“ sie Bundeskanzler Vranitzky mit mehr als 70.000 Postkarten, auf denen Frauen forderten: Keine Schlechterstellung für unselbstständig erwerbstätige Frauen im Pensionsrecht. Gleiches Pensionsrecht für Frau und Mann NUR bei völliger Gleichstellung der Frauen in Arbeitswelt, Familie und Gesellschaft. Sie übergaben dem Bundeskanzler symbolisch die 70.000ste Postkarte. In seiner Rede stimmte Vranitzky den Forderungen zu.

Mit einem juristisch wasserdichten Forderungskatalog verhandelten Frauenorganisationen gemeinsam mit Johanna Dohnal das rund 50 Punkte umfassende Paket. Die Forderung war klar: “Ohne komplette Gleichbehandlung darf es keine Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters geben.“

Erst volle Gleichbehandlung

Nach harten Verhandlungen, begleitet von kreativen Aktionen, stand Ende Dezember 1992 der Gleichbehandlungspakt. Das Frauenpensionsalter werde ab dem Jahr 2024 angehoben. Dabei wurde vereinbart, dass erst nach der vollkommenen Gleichbehandlung die Erhöhung erfolgen darf. Im Gegenzug wurden zahlreiche Gesetze novelliert, um die Gleichbehandlung zwischen Männern und Frauen in der Arbeitswelt zu erreichen.

Offene Forderungen

Der Gleichbehandlungspakt war ein Zwischenerfolg der Frauen. Aber die Liste der noch offenen Forderungen und notwendigen Regelungen bis zur Geschlechtergleichstellung ist lang: Rechtsanspruch auf Gratiskindergartenplatz ab dem 1. Lebensjahr, bundeseinheitliche Regelung in der Elementarpädagogik und Kinderbetreuung, Anrechnung von Kindererziehungszeiten von bis zu acht Jahren auf die Pensionszeit und natürlich: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.

Österreich in der EU hat einen der größten Lohnunterschiede

Nun schreibt aber das Bundeskanzleramt selbst auf seiner Homepage: „Obwohl in den letzten Jahren Verbesserungen umgesetzt und dadurch die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede verringert werden konnten, zählt Österreich nach wie vor zu den EU-Ländern mit dem größten Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern.

Diese Differenz wird meist mit dem EU-Indikator Gender Pay Gap veranschaulicht. In Österreich lag der Gender Pay Gap laut Eurostat 2020 bei 18,9 Prozent, und damit deutlich über dem EU Schnitt (EU-27) von 13,0 Prozent.“ Das Frauenpensionsantrittsalter darf also nach der Vereinbarung von 1992 nicht erhöht werden!

„Fehlender Karriereschritt“? – ein Hohn

Der „Gender Gap“ erstreckt sich bis ins Pensionssystem. Im August 2022, am Equal Pension Day wurde festgestellt, dass Frauen eine um 41 Prozent niedrigere Pension erhalten als Männer. Die unzureichende Altersversorgung ist nicht dem angeblich letzten fehlenden Karriereschritt im hohen Alter geschuldet, wie die ÖVP versucht uns einzureden. Sie ist Ergebnis typischer – oft erzwungener – Frauenerwerbsverläufe. Die Einkommens- und Karriereentwicklung von Beginn des Berufslebens an ist geprägt durch Familienarbeit verbunden mit Teilzeit, gläserner Decke und oft bewusst oder unbewusst eingeschränkten Berufswünschen.

Im Ergebnis wirkt sich das negativ auf die Pensionshöhe aus. Durch Verschlechterungen im Pensionsrecht wie die Ausweitung des Bemessungszeitraums auf lebenslange Durchrechnung hat sich dieser Effekt verstärkt. Die große Diskrepanz bei der durchschnittlichen Pensionshöhe von Frauen im Vergleich zu Männern wird durch eine Angleichung des gesetzlichen Antrittsalters nicht ausgeglichen werden, im Gegenteil.

Die Arbeitsmarktrealität – die schlechten Erwerbschancen für Frauen der Generation 50+ und die Tatsache, dass die Chancen der Wiedereingliederung nach Jobverlust oder Erwerbsunterbrechung durch Familienarbeit sinken – bewirken, dass Frauen oft ab Mitte 40 auf ein berufliches Abstellgleis gestellt werden. Umfassende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sind erforderlich, damit die Erwerbsintegration von Frauen verwirklicht werden kann. Investitionen in kollektivvertraglich bezahlte Arbeitsplätze in Bildung, Daseinsvorsorge und Umweltschutz wären ein erster Schritt. Drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein weiterer.

Übertritt in die Pension aus der Arbeitslosigkeit

Der Übertritt in die Pension wird oft durch Arbeitslosigkeit initiiert. Eine Angleichung des Antrittsalters würde nach derzeitiger Arbeitsmarktlage in vielen Fällen nur eine Transferverlagerung von der Pensions- zur Arbeitslosenversicherung auslösen, die verbunden ist mit geringerem Einkommen und die zu steigender Langzeitarbeitslosigkeit führen würde. Wollten Frauen weiterhin mit 60 in die Pension gehen, müssten sie sich auf höher Abschläge einlassen. Ein weiterer Verlust.

Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und erweiterten Bundesvorstand des GLB

Quelle: GLB – Gewerkschaftlicher Linksblock

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