Opfer der Berufsverbote enttäuscht über Gespräch mit Kretschmann
Die „ Initiativgruppe gegen Radikalenerlass und Berufsverbote Baden-Württemberg“ begrüßt es, dass Ministerpräsident Kretschmann sich nach der Veröffentlichung seines Offenen Briefes mit Berufsverbotsbetroffenen der 70er und 80-er Jahre zu einem Gespräch am 08. Februar 2023 getroffen hat. Leider wurden die Erwartungen der Betroffenen nicht erfüllt.
Christina Lipps, die Sprecherin der Initiative meinte dazu: „Wir sind außerordentlich enttäuscht, dass der Ministerpräsident unsere Forderungen nach Entschuldigung, umfassender Rehabilitierung und nach einem Entschädigungsfonds in keiner Weise erfüllt hat. Nachdem er in seinem Offenen Brief die Auswüchse des Radikalenerlasses bedauert hat, müssten nun selbstverständlich Taten folgen.“
Sigrid Altherr-König, die von 1983 bis 1996 als Grundschullehrerin vom Berufsverbot betroffen war und deshalb jetzt mit einer schmalen Pension auskommen muss, führte in dem Gespräch aus: „Der Radikalenerlass war vom Ansatz her kollektives Unrecht. Es ging damals um zulässige politische Betätigung, die vom Grundgesetz abgedeckt war, auch bei Ihnen, Herr Kretschmann!“ Die Auffassung, dass es einzelne Betroffene gegeben habe, die zu Recht sanktioniert worden wären, sei in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Heidelberger Historiker eindrucksvoll und umfassend widerlegt worden.
Martin Hornung, als Lehrer lebenslang vom Berufsverbot betroffen, betonte: „Wir sprechen hier u.a. für Menschen, die aufgrund ihrer Diskriminierung heute mit einer Armutsrente von 680 bis 830 Euro leben müssen. Deshalb fordern wir gemeinsam mit den Gewerkschaften, dass das Land für Betroffene von besonders hohen Pensions- und Rentenverlusten einen Entschädigungsfonds einrichtet, um das ihnen zugefügte Unrecht wenigstens in ihren letzten Lebensjahren auszugleichen.“
Herr Kretschmann blieb konsequent bei seiner Haltung, dass er ja sein Bedauern ausgedrückt habe. Von seinen Formulierungen im Offenen Brief werde er nicht abrücken. Mit einer Rehabilitierung wäre eine Entschädigung verbunden. Deshalb werde es erstmal keine Entschädigungsfonds geben.
Andreas Salomon, der während seines ganzen Lebens Berufsverbot hatte, kommentierte die Ausführungen des Ministerpräsidenten: „Damit habe ich nicht gerechnet und empfinde es ausgesprochen deprimierend, dass sich der Ministerpräsident bei uns nicht einmal entschuldigt hat. So kann man nicht mit Menschen umgehen. Wir wollen endlich vom Unrecht ins Recht gesetzt werden und werden weiterhin nicht locker lassen.“
Angesichts dieses leider nicht überraschenden Ergebnisses blickt die Initiativgruppe in die Zukunft: Sie sieht ihre Aufgabe darin, ihren Forderungen weiter größtmöglichen Druck zu verleihen – auch deshalb, weil ein Wiederaufleben einer ähnlichen Politik der Gesinnungsprüfung durch die Pläne der Brandenburgischen Regierung droht, wo eine Regelanfrage – wieder ausgerechnet beim „Verfassungsschutz“ – auf der Grundlage eines Gesetzes bereits in der parlamentarischen Beratung ist. „Wir sehen uns da als Demokratinnen und Demokraten auch in der Verantwortung gegenüber der nachkommenden Generation,“ fügte Christina Lipps abschließend hinzu.