Auf Friedensmission?
Krankheitsbedingt musste der brasilianische Präsident Lula seinen für letzte Woche geplanten Besuch bei Präsident Xi in Peking absagen. Doch der Besuch ist nur aufgeschoben. Neben Abkommen zur wirtschaftlichen Kooperation geht es um eine Friedenslösung für die Ukraine. Lula hatte sich bereits letztes Jahr um chinesische Vermittlung bemüht und vertritt damit eine Position, wie sie auch von anderen Partnerländern der BRICS-Initiative formuliert wurde.
In deutschen Leitmedien ist derweil über die diplomatischen Bemühungen der chinesischen Regierung nur Hohn und Verklärung übrig: Xi habe mit seinem Besuch in Moskau den Verbrecher Putin legitimiert, der doch eigentlich vor den Internationalen Strafgerichtshof gehöre. Die beiden ähnelten sich in Staatsführung und Weltanschauung, behaupten die, die sich an ein unwissendes Publikum richten. Sie vermitteln weniger Fakten als Meinung, darunter auch die, dass sich der Rest der Welt an die vom Westen aufgestellten Regeln zu halten habe. Da passt nicht ins Bild, dass zum Beispiel der Präsident Südafrikas öffentlich betont, dass Putin natürlich zum BRICS-Gipfel Ende August eingeladen bleibt und Xi seinen russischen Kollegen zum nächsten Gipfel der Neue-Seidenstraße-Initiative in Peking begrüßen wird.
Isolation sieht anders aus, dabei hatten die USA und ihre Verbündeten so viel geopfert, um ihren Kontrahenten auszubooten: Militärische Unterstützung der Ukraine mit dem Ziel, dass Russland den Krieg nicht gewinnen dürfe und klare Absage an die russische Forderung, einen NATO-Beitritt der Ukraine auszuschließen. Das größte Opfer kam vom engsten Verbündeten der USA in der EU, von Deutschland: Vollständiger Verzicht auf russische Energie – worauf sich Washington oder Paris aus ökonomischem Eigeninteresse nicht einlassen konnten.
Mittlerweile werden jedoch auch die europäischen Stimmen lauter, die von einer militärischen Niederlage Russlands als Kriegsziel Abstand nehmen. Denn das Aufrechterhalten des diplomatischen Drahts nach Moskau, immerhin Regierungssitz einer der großen Atommächte der Welt und einer Veto-Macht im Weltsicherheitsrat, entspricht der Anerkennung geopolitischer Realitäten. Dass dies in der herrschenden Legitimationsideologie mit Wortwolken wie „feministische Außenpolitik“ kaschiert wird, ändert nichts daran, dass es auch dem deutschen Imperialismus immer um Interessen geht – die der deutschen Banken und Konzerne. Deren Interesse an Waffenlieferungen an die Ukraine ist das eine, an langwierigem Krieg gegen Russland, dauerhaft hohen Energiepreisen in Abhängigkeit von den USA und schnelle Entflechtung vom chinesischen Markt jedoch das Strittige andere.
Im Gegensatz zum ukrainischen 10-Punkte-Plan, der den kompletten Abzug der russischen Truppen zur Vorbedingung für Gespräche macht, setzt der chinesische 12-Punkte-Plan auf eine Lösung, der beide Seiten zustimmen könnten, wenn sie die Realitäten zu akzeptieren bereit sind. Hier unterscheidet sich der chinesische Plan von bisherigen Vorschlägen, hier ist aber auch seine Achillesferse: Er setzt auf einen Sieg der Vernunft.
Diese setzt sich anscheinend auch im EU-Beamtenheer durch, im Sinne des Besinnens auf eigene Interessen. Das „Wall Street Journal“ schrieb in einem Bericht mit Berufung auf Regierungsmitarbeiter aus Britannien, Frankreich und Deutschland über „wachsende Zweifel“, darüber, „dass die Ukraine in der Lage sein wird, die Russen aus der Ostukraine und der Krim (…) zu vertreiben“, sowie „dass der Westen die Kriegsanstrengungen nur eine bestimmte Zeit lang aufrechterhalten kann“.
Davon war beim Hohen Repräsentanten Borrell auch nach dem jüngsten EU-Gipfel nichts zu hören, das könnte aber erklären, warum selbst er mittlerweile vorhat, nach Peking zu reisen. So wie auch die Regierungschefs von Frankreich (Macron, in Begleitung von EU-von-der-Leyen!), Italien (Meloni) und Spanien (Sanchez) – Letzterer sogar mit dem erklärten Ziel, über den chinesischen Friedensplan zu beraten, in dem er eine Chance zur Beendigung des Kriegs in Europa sieht.
Quelle: Unsere Zeit