25. Dezember 2024

Keine Ruhe an der Preisfront …

Fast reflexartig gibt es angesichts der Gewerkschaftsaktionen Rufe nach Einschränkungen des Streikrechts. Gleichzeitig trommeln alle Medien im Takt für Lohnabschlüsse unterhalb der aktuellen Preisentwicklung mit dem Hinweis auf lediglich „akute Belastungen“, wie es die „FAZ“ am 24. März zu formulieren schaffte. Die Argumentation geht davon aus, dass die große Welle der Inflation vorbei sei und daher durch die abgabefrei gestellten Sonderzahlungen von bis zu 3.000 Euro im Jahr aufgefangen werden könnte. Alles, was dann noch über eine tabellenwirksame, also dauerhafte Lohnsteigerung von 3 oder 4 Prozent pro Jahr hinausginge, sei nicht gerechtfertigt und ein Arbeitskampf dafür müsse eben notfalls per Gesetz unterbunden werden.

Abgesehen von der Unverfrorenheit, das in der Verfassung garantierte Streikrecht einschränken zu wollen, hakt die Argumentation.

Erstens wäre selbst dann, wenn die Inflation bald abflauen würde, die Sache mit einer Einmalzahlung nicht getan. Denn wenn die 3.000 Euro verbraucht sind, werden die Nudeln danach nicht wieder auf die Preise von 2021 zurückgehen. Selbst wenn die weitere Inflation null wäre, würde jeder von uns für Lebensmittel dauerhaft mehr bezahlen müssen. Folglich reicht eine Einmalzahlung nicht. Sie ergäbe nur dann Sinn, wenn die Preise nicht auf dem jetzigen Niveau stehenblieben, sondern wieder sinken würden. Von einer solchen negativen Inflation oder „Deflation“ ist aber weit und breit keine Spur zu sehen – im Gegenteil.

Zweitens geht beispielsweise die Europäische Zentralbank überhaupt nicht von einem Abflauen der Inflation aus, sondern sogar von einer Beschleunigung. Die dortigen Experten unterteilen die inflationären Prozesse in drei Bestandteile: Die Entwicklung der Energiepreise, die Entwicklung der Lebensmittelpreise und die sogenannte „Kerninflationsrate“ ohne Energie und Lebensmittel. Die lag nach den Daten aus Frankfurt im letzten Jahr knapp unter 3 Prozent und wird dieses Jahr über diesem Wert liegen. Oben drauf kommen dann noch 2 Prozent für die Entwertung von Lebensmitteln – der Wert wird für 2023 in derselben Höhe wie für 2022 erwartet. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass wir uns aus der Sicht von Christine Lagarde auch dieses Jahr auf bis zu 20-prozentige Preissteigerungen bei Gemüse, Obst, Brot, Milch und Käse einstellen müssen – von Wurst und Fleisch mal ganz zu schweigen. Angesichts dieser Analysen nur den möglicherweise sehr vorübergehenden Preisrückgang an Tankstellen und bei Heizöllieferanten als Beleg für einen Rückgang der Inflation heranzuziehen ist dreist.

Die Dreistigkeit hat System: In laufenden Lohnrunden werden Preisentwertungen schöngeredet und wenn die mageren Abschlüsse unter Dach und Fach sind, kommt die Wahrheit ans Licht. So ist das beispielsweise zurzeit auf den britischen Inseln, wo große Lohnrunden zu Ende gegangen sind. Von dort berichtete die „FAZ“ Ende letzter Woche: „Inflation steigt unerwartet.“ Wer sich in den Lohnkämpfen jetzt von angeblich sinkenden Inflationsraten blenden lässt, wird morgen mit Grimm auf ähnliche Schlagzeilen für die deutsche Geldentwertung schauen müssen.

Quelle: Unsere Zeit

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