Mega-Streiktag und kein Chaos
Mit der Ankündigung, am 27. März gemeinsam im öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie im Flugverkehr bundesweit und in zahlreichen Bundesländern zu streiken, erhielten die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit einem Paukenschlag die größtmögliche Aufmerksamkeit für ihre Tarifauseinandersetzung. Sofort setzte seitens der Arbeitgeberverbände eine Medienkampagne ein. Monster- oder Mega-Streik, unzulässige Ausnutzung des Streikrechts oder Geiselnahme der Bevölkerung sind nur die harmlosesten Bezeichnungen.
Mit Hilfe der Stimmungsmache sollte verhindert werden, was zum Wochenbeginn dann zum Massenkampftag wurde. ver.di und EVG hatten schon in den letzten Wochen mit zahlreichen Aktionen gegen die „Angebote“ der Unternehmen Stimmung gemacht. Die EVG konnte mit einer sich entwickelnden Dynamik die Streikbereitschaft spüren. Immer mehr Standorte melden ihre Teilnahme, so dass am letzten Montag im EVG-Organisationsbereich in 269 Unternehmen an fast 1.000 Standorten circa 35.000 Beschäftigte die Arbeit niederlegten. Für die Bahnen in Deutschland der größte Warnstreik seit mehreren Jahrzehnten.
Ein Streik in dieser Größenordnung durch eine kleine Gewerkschaft mit begrenztem eigenem Personal konnte nur gelingen, weil die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in den Betrieben selbst aktiv wurden. So legten diesmal nicht nur die wirksamsten Berufsgruppen in den Betriebszentralen oder Werkstätten die Arbeit nieder, sondern auch das Personal von Reisezentren, Lounges oder im Servicebereich an kleinen und größeren Standorten. Die Kolleginnen und Kollegen versammelten sich an zahlreichen Treffpunkten. Das spürte auch der größte Player, die Deutsche Bahn AG (DB AG), und kündigte kurz nach dem Streikaufruf die Einstellung des Fernverkehrs für den ganzen Tag an. Damit versuchte sie ein unkoordiniertes Abstellen der Züge zu verhindern, um eine gute Basis für die geordnete Wiederaufnahme des Zugverkehrs zu haben. Die Folgewirkungen des Streiks wurden damit abgemildert. Trotz Ankündigung der DB AG, an einem Notfahrplan zu arbeiten, war das eine vergebliche Mühe. Die EVG organisiert in der DB AG über die Hälfte der Beschäftigten. Da die Stellwerke nicht besetzt werden konnten, konnten auch keine Züge mehr fahren. Ausgeblieben ist weitgehend das in den Medien prognostizierte Chaos durch den Streik, was vielerorts mit dem in den letzten Jahren geübten Home-Office-Möglichkeiten zusammenhing.
Die schon in den letzten Wochen zunehmende Koordination mit der Gewerkschaft ver.di zahlte sich für die EVG ebenfalls am Streiktag aus. An zahlreichen Standorten traten auf den Kundgebungen die Gewerkschaftsvertreter gemeinsam auf. In Potsdam – am Verhandlungsort mit den Arbeitgebern im Öffentlichen Dienst – wurde eine gemeinsame Großkundgebung durchgeführt. Während ver.di zum Redaktionsschluss noch verhandelte, stehen die Verhandlungen mit der DB AG erst in der letzten Aprilwoche an. Die EVG verlangt als Voraussetzung, dass ein wirkliches Angebot vorgelegt wird, das sich an ihrer Forderung von 650 Euro Mindestbetrag beziehungsweise 12 Prozent bei einer 12-monatigen Laufzeit orientiert. Das ist derzeit nicht zu erwarten. Die EVG bereitet sich auf weitere Aktionen vor.
Quelle: Unsere Zeit