Mit Streik wäre mehr drin! „Nein“ zum Verhandlungsergebnis im öffentlichen Dienst
Übernommen von: VKG – Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften
Stellungnahme des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di
Diese Tarifrunde war bisher anders als andere. Das hat schon die enorme Beteiligung an den Warnstreiks mit 500.000 Kolleg*innen gezeigt. Auch bei der Aufstellung der Forderungen wurde deutlich, dass Druck im Kessel ist, denn die Festgeldforderung von 500 Euro monatlich mindestens wurde erst durch Druck von unten aufgenommen. Die ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke und Christine Behle traten sehr kämpferisch auf und drohten mit Erzwingungsstreik. 70.000 neue Mitglieder traten der Gewerkschaft ver.di in den ersten drei Monaten des Jahres bei – eine Rekordzahl. Die Stimmung war sehr kämpferisch, aber wie so oft wurde sie nicht genutzt, um tatsächlich einen konsequenten Kampf zu führen. Stattdessen empfiehlt die ver.di-Bundestarifkommission ein Verhandlungsergebnis auf Grundlage der Schlichtungsempfehlung. Dieses reicht hinten und vorne nicht und sollte klar abgelehnt werden!
Verhandlungsergebnis = Reallohnverlust!
Das Ergebnis bedeutet unterm Strich einen Reallohnverlust. Denn die Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro würde insgesamt für viele im unteren und mittleren Lohnbereich gerade mal die Reallohnverluste aus den Jahren 2021 und 2022 durch insgesamt 10,2% Inflation und nur 3,2% Lohnerhöhung ausgleichen! Entsprechend landet man nun für 14 Monate vom 1.1.2023 bis 28.2.2024 bei einer Nullrunde, und das bei einer prognostizierten Inflation von 6 bis 7 Prozent für 2023 und 3 Prozent für 2024! Es ist nicht zu akzeptieren, dass es in diesem Jahr keine deutliche Lohnsteigerung gibt. Die Forderung nach 10,5% bzw. 500 Euro bei 12 Monaten Laufzeit war dabei völlig angemessen. Denn letztlich müsste es auch darum gehen, eine reale Lohnsteigerung durchzusetzen, um endlich der Personalflucht aus Krankenhäusern, Kitas und vielen weiteren Bereichen des öffentlichen Dienstes ein Ende zu setzen.
Auf Kundgebungen und in der Öffentlichkeit hat Frank Werneke immer wieder betont, dass Einmalzahlungen nur zusätzlich akzeptiert werden und nicht als Kompensation für ein Ausbleiben der Tabellenerhöhungen. Nun wird aber – genau wie beim Post-Ergebnis – plötzlich akzeptiert, dass es 14 Nullmonate bis zur Tabellenerhöhung geben soll. Dieser Schwenk ist nicht nachvollziehbar. Die Erhöhung ab März 2024, die von ver.di für die meisten mit über 11% beziffert wird, muss man mit der bis dahin stattgefundenen Inflation gegen rechnen. Wenn man 9% für 2023 und 2024 wie in der Prognose zugrunde legt, so liegt die Erhöhung noch bei etwas über 2% und nicht 11%!
Laufzeit zu lang
Die Prognosen für die Inflation sind dabei alles andere als sicher! Auch 2021 hat niemand damit gerechnet, dass im Jahr 2022 die Inflation bei 6,9 % liegen würde, ganz abgesehen davon, dass die Preise für Lebensmittel und Energie viel stärker gestiegen sind als die durchschnittliche Inflation. Niemand weiß, wie sich die Preise innerhalb einer extrem instabilen kapitalistischen Wirtschaft weiter entwickeln. 24 Monate Laufzeit sind vor diesem Hintergrund sowieso abzulehnen.
Schlichtung
Die Schlichtung hat genau zu dem geführt, wovor kämpferische Kolleg*innen von Anfang an gewarnt haben – der Annahme eines faulen Kompromisses, der weit unter den Forderungen liegt. Die freiwillige Schlichtungsvereinbarung, die ver.di mit den kommunalen Arbeitgebern vor Jahren vereinbart hat, muss schnellstmöglich gekündigt werden. Das gesamte Konzept der Schlichtung ist absurd. Denn im Verteilungskampf innerhalb des Kapitalismus kann es keine neutrale Instanz von außen geben. Entscheidend ist immer das Kräfteverhältnis, welches sich aus einem Arbeitskampf entwickelt. Hier muss auch betont werden, dass auch der von ver.di einbestellte Schlichter Hans-Henning Lühr nicht „neutral“ ist, sondern über Jahrzehnte verschiedene Funktionen auf Seiten der kommunalen Arbeitgeber inne hatte. Schlimm war in diesem Zusammenhang aber, dass die Vertreter*innen von ver.di innerhalb der Schlichtungskommission dieser Empfehlung auch noch geschlossen zustimmten. Auch, wenn das in den Veröffentlichungen von ver.di zunächst unter den Tisch gekehrt wurde, bedeutete das natürlich, dass Verhandlungsführung und Teile der Bundestarifkommission bereits die Annahme eines Ergebnisses auf dieser Grundlage befürworteten. In vielen Versammlungen wurden keine Abstimmungen über die Frage, ob man die Empfehlung ablehnen und Urabstimmung einleiten sollte, durchgeführt. Umso bemerkenswerter ist, dass in einigen Orten Beschlüsse gegen die Schlichtungsempfehlung gefasst wurden. In der Bundestarifkommission haben 17 Kolleg*innen gegen die Annahme des Verhandlungsergebnisses gestimmt und fünf haben sich enthalten.
Kolleg*innen aus dem „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ haben nach Verkündung der Schlichtungsempfehlung und vor den entscheidenden Verhandlungen darüber einen Brief gegen Annahme und für Streik in Umlauf gebracht. Viele Kolleg*innen haben ähnliche Forderungen aufgestellt, was auch in Beschlüssen bei Teamdelegiertentreffen deutlich wurde, wie in Leipzig, Nürnberg, Berlin, in denen die BTK aufgefordert wurde, die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. Auch in vielen anderen Orten haben Kolleg*innen davon berichtet, dass es in ihren Betrieben eine mehrheitlich Ablehnung eines solchen Ergebnisses und klare Streikbereitschaft gab. Dies wird sicherlich in der Mitgliederbefragung nicht mehr voll zum Tragen kommen, weil die Bundestarifkommission und die ver.di-Führung die Annahme empfiehlt.
Doch 500.000 Streikbeteiligte, das sind mehr als je zuvor, sowie 70.000 Eintritte in ver.di – all das spricht doch dafür, dass die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Erzwingungsstreik gegeben sind. Das wird jetzt leider völlig anders dargestellt, um zu begründen, warum man nicht in die Urabstimmung gehen wollte. Wir sind der Meinung: es mangelt nicht an der Bereitschaft von hunderttausenden Kolleg*innen in den Betrieben, sondern an der Bereitschaft in der hauptamtlichen Führung von ver.di. Somit wird leider erneut eine riesige Chance vertan, die Gewerkschaft neu aufzustellen und an der Dynamik der letzten Wochen anzuknüpfen. Mit einem Streik könnten noch mehr Mitglieder gewonnen werden und aktive Strukturen in vielen Betrieben wiederbelebt oder neu aufgebaut werden!
Wir rufen dazu auf, in der Mitgliederbefragung mit Nein zu stimmen. Es muss jetzt ein deutliches Signal aus der Mitgliedschaft geben, dass dieses Ergebnis abgelehnt wird. Darüber hinaus aber ist es wichtig, aus dieser Erfahrung heraus die Lehren zu ziehen und sich bewusst und systematisch bundesweit zu vernetzen. Wir sind der Meinung, dass die Gewerkschaften eine konsequente und kämpferische Ausrichtung brauchen. Dafür muss aber ein bewusster Kampf in ver.di geführt werden. Auch, wenn es unwahrscheinlich ist, dass nach Empfehlung durch die BTK das jetzige Verhandlungsergebnis von einer klaren Mehrheit abgelehnt wird, so beginnen die Diskussionen zur nächsten Tarifrunde bereits in 1,5 Jahren. Auf diese gilt es sich schon jetzt vorzubereiten. Es gibt auch die Möglichkeit, in einem Jahr eine Nachschlagsforderung aufzustellen. Außerdem liegen schon weitere Angriffe wie auf Renten, Streikrecht und andere in den Schubladen. Deshalb brauchen wir starke und kämpferische Gewerkschaften mehr denn je. Setzt euch deshalb gemeinsam mit uns in ver.di für einen kämpferischen Kurs ein.