Vor 85 Jahren: „Volksabstimmung“ über den Anschluss Österreichs an Deutschland
Am 10. April 1938 inszenierten die Nazis eine angebliche „Volksabstimmung“, um die Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich propagandistisch zusätzlich zu legitimieren.
Nach dem Einmarsch der deutsch-faschistischen Wehrmacht in Österreich am 12. März 1938 sowie dem tags darauf verkündeten „Anschluss“ sollte die Annexion am 10. April durch eine nachträgliche Volksabstimmung zusätzlich legitimiert werden. Die vorgelegte Frage lautete: „Bist Du mit der am 13. März 1938 vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden…?“ Und um ganz sicher zu gehen, befand sich in der Mitte des Stimmzettels ein großer Kreis, um das Ja anzukreuzen – und links unten ein wesentlich kleinerer Kreis für das Nein.
In Österreich gab zu diesem Zeitpunkt nur noch 4,474 Millionen Wahlberechtigte. Rund 200.000 Juden und Jüdinnen, 180.000 „Mischlinge“ sowie alle politischen Gegner, die sich bereits in Haft oder im KZ befanden, waren ausgeschlossen. Das offizielle Ergebnis behauptete 99,73 Prozent Zustimmung zum Anschluss, bei einer Wahlbeteiligung von 99,71 Prozent. Im „Altreich“, in dem ebenfalls abgestimmt wurde, lagen die Prozentsätze unwesentlich unter dem österreichischen Resultat.
Die 99,73 Prozent beruhten natürlich auf Wahlfälschung. Es ist umstritten und kaum eindeutig zu beantworten, wie groß die Zustimmung zum Anschluss in Österreich tatsächlich war. Bei verschiedenen Historikern reicht die Bandbreite von 30 Prozent bis 80 Prozent. Dass es tatsächlich – ungeachtet der Fälschung – eine Mehrheit gegeben hätte, ist nicht unwahrscheinlich, aus zweierlei Gründen: Einerseits handelte es sich nicht um eine freie Abstimmung, sondern um eine unter den Repressionsbedingungen des totalitären Faschismus und der militärischen Okkupation – davon haben sich gewiss viele Menschen einschüchtern lassen.
Andererseits hatte es in Österreich seit 1918 eine massive Anschlusspropaganda gegeben: Alle Parteien außer der KPÖ waren der falschen deutschnationalen Ansicht, dass die Österreicher Teil des deutschen Volkes wären und daher in einem gesamtdeutschen Staat aufgehen sollten. In diesem Sinn rief auch der frühere sozialdemokratische Kanzler Karl Renner für das Ja auf, wenngleich er kein Freund des NS-Faschismus war. Aber auch die katholische und die evangelische Kirche Österreichs unterstützten den Anschluss mit einem Aufruf.
Für das NS-Regime markierte die inszenierte „Volksabstimmung“ nur eine weitere Facette ihrer Propaganda, eine unmittelbare Auswirkung auf die ohnedies längst laufenden Annexions- und Gleichschaltungsmaßnahmen ergab sich daraus nicht. Und der juristische Stichtag über den Anschluss blieb der 13. März aufgrund des damals in Deutschland und Österreich von den Nazis verlautbarten, freilich völkerrechtswidrigen „Gesetz über die Wiedervereinigung“.
Gleichzeitig mit der Abstimmung fand jedoch auch die erste „großdeutsche“ Reichstagswahl statt – und zwar auf demselben Stimmzettel. Denn die Frage über das Einverständnis gegenüber der „Wiedervereinigung“ ging direkt über in die zweite Frage: „…und stimmst Du für die Liste unseres Führers Adolf Hitler?“ – 1.771 Kandidaten standen auf der Einheitsliste der NSDAP, 814 davon – ausschließlich Männer – bildeten sodann den neuen Reichstag unter dem Vorsitz von Hermann Göring.
In den folgenden Jahren waren die kommunistischen Organisationen die einzige Kraft, die in aller Vehemenz gegen den NS-Faschismus und die deutsche Fremdherrschaft im österreichischen Widerstand aktiv blieb. Unter großen Opfern trugen die Kommunistinnen und Kommunisten maßgeblich dazu bei, dass im April 1945 Österreich als unabhängiger Staat wiedererstehen konnte.
Quelle: Zeitung der Arbeit